Während vier Tagen war Biologe Pascal Vonlanthen auf dem Ägerisee im Einsatz. Es ging darum, erstmals im grossen Stil die dortige Fischfauna zu erfassen. Dazu werden Tiere auf verschiedene Arten gefangen, vermessen und gewogen.
Fast zwei Drittel der einheimischen Fischarten sind vom Aussterben bedroht. Um die aquatische Artenvielfalt und die nötigen Lebensräume zu erhalten oder gezielt aufzuwerten, ist eine Bestandesaufnahme der Arten in den Schweizer Seen notwendig. Bereits in über 30 voralpinen Seen wurde deshalb im Rahmen des «Projet Lac», an dem unter anderem das Wasserforschungsinstitut der ETH, das Bundesamt für Umwelt und die kantonalen Fischereibehörden mitwirken, eine Bestandesaufnahme gemacht, 2013 auch im Zugersee. Ziel ist es, eine standardisierte Inventur, also ein sogenanntes Monitoring, zu entwickeln. Vergangene Woche war nun der Ägerisee an der Reihe. Ein externes Projektteam der Firmen Aquabios und Teleos unter der Leitung des Biologen Pascal Vonlanthen aus Fribourg kümmerte sich in Zusammenarbeit mit dem Amt für Wald und Wild des Kantons Zug darum. Am Mittwoch gewährten sie Einblick in ihre Arbeit.
Es ist kurz nach 14 Uhr. Bei der Schiffshütte am Ägerisee gegenüber des Hotels Eierhals in Morgarten haben die 11 Mitarbeiter des externen Projektteams ihr Lager aufgeschlagen. Am Nachmittag steht die Kontrolle der vertikalen Netze an, Netze also, die wie Vorhänge von der Oberfläche bis zum Seegrund reichen, zudem finden Elektroabfischungen am Ufer statt. «Im Gegensatz zu einem Fliessgewässer kann man beim See nicht einfach einen gewissen Abschnitt absperren, um den Bestand darin komplett zu erfassen», erklärt Biologe Pascal Vonlanthen. «Wir müssen also in möglichst allen Tiefen und in allen Uferhabitaten standardisierte Befischungen durchführen. Schlussendlich geht es um den Vergleich, mit welchem Aufwand in welchem See wie viele Fische gefangen werden können.»
Am Morgen haben die Biologen die sogenannten benthischen Netze eingeholt, die jetzt alle ausgebreitet auf dem Boden liegen. Diese Bodennetze werden in verschiedenen Tiefen im See ausgelegt, die Netzmaschen haben unterschiedliche Grössen, sodass Fische mit unterschiedlicher Grösse hängen bleiben. Markiert wird der Standort der Netze per GPS. Nachdem das Team die Fische aus den Netzen geholt hatte, wurden sie gewogen, vermessen und teils wurden Gewebeproben oder Proben der Schuppen entnommen. Nun liegen sie in zwei Kühltruhen. Ein Mitarbeiter des Hotels kommt vorbei. Die grösseren Fische landen auf dem Teller, die kleineren werden als Futter an einen Tierpark gespendet. Biologe Vonlanthen zeigt auf eine Liste. 15 der 20 im See vermuteten Arten gingen bereits ins Netz. Über 1000 gefangene Fische können es pro Tag sein.
Ein Boot mit drei Biologen legt nun ab. Sie fahren das Ufer des Sees ab. Dabei haben sie eine weisse Stange mit einem Metallring, die Strom in den See fliessen lässt. «Damit werden die Fische aus ihren Verstecken gelockt», erklärt Vonlanthen. Sie fahren tief ins Schilf, was gar nicht so einfach ist – da sie zum Fangen stehen müssen – zu grossen Steinen am Ufer und zu den Zuflüssen des Sees. «Wichtig ist, alle verschiedenen Habitate mehrmals zu befischen», erklärt der Biologe. Unter anderem fangen sie einen Hecht. Diese gehen in solchen Habitaten gerne auf die Jagd. Die Fische hier werden direkt auf dem Boot vermessen und dann gleich wieder freigelassen.
Die Besatzung eines anderen Bootes ist währenddessen damit beschäftigt, die Vertikalnetze einzuholen. Diese wurden am Vortag ausgelegt und werden nun nach 24 Stunden wieder eingeholt. An der Oberfläche sind sie durch Bojen gekennzeichnet. «Anhand der Vertikalnetze sehen wir, welche Fische auf welcher Tiefe an einem gewissen Punkt im See vorkommen», erklärt Vonlanthen. Pro Standort werden sechs solche Netze ausgelegt, die alle mit anderen Maschenweiten bestückt sind. Mit einer Kurbel wird nun eines der Netze, das dieses Mal rund neun Meter lang ist, hochgeholt. Je nach Tiefe hängen teils andere Fischarten daran.
Während sechs Wochen sind die Biologen auf verschiedenen Seen unterwegs. Danach geht’s ins Büro, um die Ergebnisse auszuwerten. In rund einem halben Jahr stehe dann das Ergebnis zum Monitoring am Ägerisee fest. Bisher liesse sich noch nicht viel sagen, nur dass der Bestand am Ufer in etwa dem von anderen Voralpenseen entspreche.
Priska Müller, Leiterin der Abteilung Fischerei und Jagd im Amt für Wald und Wild, sagt zur Untersuchung: «Das erleichtert Vorhersagen, wie die Fischvielfalt auf künftige Veränderungen in der Umwelt reagieren wird. Für den langfristigen Schutz der Artenvielfalt helfen die Erkenntnisse, Prioritäten zu definieren.» Und nicht zuletzt profitiere auch die Fischerei von den Informationen. Denn aus dem erstmals objektiv möglichen Vergleich zwischen verschiedenen Seen in Bezug auf ihre Fischbestände liessen sich wichtige Schlüsse für ein nachhaltiges Management dieser Bestände ziehen.
Erste solche Schlüsse gibt es beim Gesamtprojekt schon. «Viele Habitate an Schweizer Seen sind durch Eingriffe in die Natur in keinem guten Zustand mehr oder wurden zerstört», sagt Biologe Vonlanthen. Diese seien aber für die Fische als Aufenthaltsraum sehr wichtig. Flussdeltas etwa seien wahre biologische Hotspots für die Artenvielfalt. Zudem zeige sich, dass die Fische in den Tiefen vieler Seen unter dem geringen Sauerstoffgehalt leiden würden. Dies, weil die Seen Jahrzehnte überdüngt gewesen seien. Solche Erkenntnisse könnten dann etwa in die einzelnen kantonalen Renaturierungsprojekte einfliessen.