Bevor die Abbruchmaschinen auffahren, lebt ein Haus am Stanser Neuweg richtig auf. Alles, was noch gebraucht werden kann, wird vorher entfernt und die Wände werden zur kreativen Freifläche für kleine und grosse Künstler.
Ein letztes Mal sorgt das Mehrfamilienhaus am Stanser Neuweg für mannigfache Freude und blüht nochmals richtig auf. Wenn es am 8. Oktober das Zeitliche segnet, um einem Neubau Platz zu machen, dann geht es in einem farbenfrohen, frischen Kleid - und viele seiner Bestandteile finden anderorts ein neues Leben. Denn anstatt das Gebäude einfach mit dem Abbruchhammer dem Erdboden gleichzumachen und dann den Schutt zu rezyklieren, gingen die über 80-jährigen Besitzer auf Anregung ihrer Mieterin Theres Odermatt einen neuen Weg, der Beachtung verdient.
«Hinter der Aktion steckt die Idee der Nachhaltigkeit», erzählt Theres Odermatt, die 18 Jahre lang am Neuweg gewohnt hat. «Im Haus hat es so viel Baumaterial, Teile oder Maschinen, die weiter genutzt werden können. Das sollte man nicht einfach entsorgen.» Mit dem Einverständnis der Besitzer fotografierte, beschrieb und vermass Theres Odermatt alles Brauchbare und stellte es auf eine Internet-Plattform zum Verkauf oder Abholen. «Die Resonanz war riesig, es ist sehr gut gelaufen. Für vieles gab es Mehrfachanfragen.» Mittlerweile wurden Parkettböden, Balkongeländer, Sonnenstoren, eine Wendeltreppe, Kühlschränke, Waschmaschinen, Tumbler, Dachziegel, Verbundsteine, Steinplatten und Rosenstöcke aus den vier Wohnungen und dem Garten abgeholt.
Theres Odermatt hat die Aktion zwar viel Arbeit beschert. «Aber mir war es einfach sehr wichtig, dass die Sachen weiter genutzt werden. Die Reaktionen der Interessenten und des ganzen Umfelds inklusive der Nachbarschaft sind sehr positiv und zeigen, dass die Nachfrage für so etwas vorhanden ist.»
Doch nicht nur die neuen Besitzer von Baumaterial und Maschinen freuten sich über ihre Schnäppchen. Die Wände des Hauses boten grossen und kleinen Künstlern eine willkommene Fläche zum Ausleben ihrer Kreativität.
Theres Odermatt, die als Schulleiterin im Schulzentrum Turmatt tätig ist, kam die spontane Idee: «Warum nicht Zimmerwände von Schulkindern bemalen lassen?» Der Geistesblitz wurde von verschiedenen Lehrpersonen ebenso spontan und mit Begeisterung aufgenommen. Schlussendlich griffen über 80 Schulkinder am Neuweg zu Pinsel und Farbe. «Eltern kennen es. Zuhause muss man die Kinder oft davon abhalten, die Wände zu bemalen. Hier konnten sie sich mal richtig ausleben.»
Das Turmatt-Schulhaus hat die Gelegenheit auch für das Götti/Gotte-System genutzt, bei dem jeweils ein älteres Kind für ein jüngeres die Verantwortung übernimmt und es ein Jahr begleitet. «Die kreative Mal-Aktion war ideal für die Erstbegegnungen der 3./4. Klässler mit ‹ihren› 1./2. Klässlern», erzählt Theres Odermatt.
Den letzten Schliff gibt bei unserem Besuch der Sprayer Manuel Lucadamo seinem grossen Bild an einer Fassade im Garten. Ein Vogel, auf dessen Rücken ein Mensch in einem Korb sitzt und den Flug steuert. «Der Kindheitstraum vom Fliegen», sagt Lucadamo lachend. Der Sprayer, der seine Bilder mit dem Künstlernamen «Geko» signiert, hat fünf Stunden daran gearbeitet. «Vorlage war das Foto eines Vogels, das ich mit dem Piloten ergänzt habe.»
Geko ist einer der acht Sprayer aus dem Stanser Verein P28, der aus Musikern, Tänzern und Sprayern besteht und 2010 ebenfalls in einem Abbruchhaus in Stans gegründet wurde. Fünf der Sprayer haben die Einladung von Theres Odermatt genutzt und das Gebäude am Neuweg mit ihren Werken verziert. «Vergängliche Kunst halt, aber das sind wir uns gewohnt.» Auch an den legalen Wänden wie an der Fadenbrücke in Buochs, beim Schulhaus Büren oder der Länderpark Unterführung würden die Kunstwerke immer wieder übersprayt. Etwa zwei Mal pro Jahr komme es vor, dass sie in Abbruchhäusern sprayen dürften. «Das sind extrem wichtige und geschätzte Gelegenheiten, um Neues auszuprobieren, zu üben oder sogar mal Workshops zu organisieren für Leute, die sich auch mal im Sprayen versuchen wollen», sagt Manuel Lucadamo, dessen Werke sonst oft im Auftrag entstehen. Es dürfte ruhig mehr solcher Chancen geben, betont er und hofft, dass das Vorgehen beim Haus am Neuweg Schule machen könnte. «Wir wollen schliesslich legale Arbeiten machen.»