Die ETH Zürich hat die potenziellen Kosten eines Brexit für die Schweiz berechnet. Demnach hätten wir bei einem weichen Brexit kurzfristig nur geringe direkte Effekte zu befürchten.
Die Meinungen unter den Ökonomen sind gemacht. Ein Austritt des Vereinigten Königreichs (UK) aus der EU richtet auf beiden Seiten des Ärmelkanals wirtschaftlichen Schaden an. Dieser ist für die Briten aber deutlich grösser als für die verbleibenden 27 EU-Länder. Unter den zahlreichen Hochrechnungen, die derzeit herumgeboten werden, gibt es besonders düstere Szenarien wie jenes der Bank of England.
Die umstrittenen Projektionen des Noteninstituts prophezeien den Briten eine Einbusse der Wirtschaftsleistung um 10,5 Prozent in den kommenden fünf Jahren verglichen mit dem Szenario eines Verbleibs in der EU. Diese Prognose käme einer Rezession gleich, die den Einbruch während der Finanzkrise weit übersteigen würde.
Die Voraussage der Bank of England unterstellt allerdings den schlechtesten Fall, in welchem die Insel abrupt und ohne Anschlussvertrag aus der Gemeinschaft austritt und sofort den bevorzugten Marktzugang zu jenen Drittstaaten verliert, mit denen die EU entsprechende Verträge unterhält. Die Wahrscheinlichkeit eines derartigen ungeordneten No Deals ist in den vergangenen Tagen und Wochen zwar gestiegen. Aber so richtig glauben wollen an einen solchen Ausgang immer noch die wenigsten. Die Kosten wären für alle zu hoch.
Weniger scharfe Szenarien werden als wahrscheinlicher angesehen. Ein solches sagt voraus, dass die Wirtschaft das Königreich bis 2024 unter Annahme eines harten Brexit 2,5 Prozent weniger wachsen würde als ohne Brexit. Sollte der von der Regierung Theresa May ausgehandelte Anschlussvertrag doch noch umgesetzt oder eine andere Übergangslösung gefunden werden (weicher Brexit) würde sich die relative Wachstumseinbusse auf 1,2 Prozent vermindern.
Für die verbleibenden EU-Länder wären solche Brexit-Szenarien gut verkraftbar. Sie müssten im Falle eines harten Schnitts 0,35 Prozent Wachstum über fünf Jahre hergeben beziehungsweise nur 0,16 Prozent bei einem weichen Brexit. Unter Verwendung solcher mittlerer Szenarien hat das Konjunkturforschungsinstitut der ETH Zürich (KOF) die potenziellen Kosten des Brexit für die Schweiz berechnet. Die Hochrechnungen stützen sich auf den langfristig belegten Zusammenhang der Wachstumsraten zwischen der Schweiz und der EU. Demnach fällt die Wirtschaftsleistung unseres Landes um 0,2 Prozent bis 0,3 Prozent geringer aus, wenn das Bruttoinlandprodukt der 28 EU-Länder um 1 Prozent fällt. Auf dieser Grundlage gelangt KOF-Forscher Stefan Neuwirth zur Aussage, dass die Schweiz von einem Brexit kurzfristig «nur geringe direkte Effekte» zu befürchten hätte.
Derweil bleiben die langfristigen Effekte abhängig vom zukünftigen Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU. Als eines der ersten Länder hat die Schweiz im Februar ein Freihandelsabkommen mit dem Königreich geschlossen. Unter diesem Vertrag können etwa drei Viertel des Warenhandels zwischen den beiden Ländern weiterhin zu einem grossen Teil zollfrei erfolgen. Nicht enthalten ist allerdings der ebenfalls bedeutende Handel von Dienstleistungen, zu denen vor allem Finanzgeschäfte gehören. Ein Dienstleistungsabkommen zwischen den beiden Ländern könnte den Austausch nach dem Brexit sogar zusätzlich stimulieren, denn ein solches Abkommen besteht zwischen der Schweiz und der EU nicht.
Nicht ausgeschlossen ist schliesslich, dass sich das Königreich doch noch dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) anschliesst und sich so den direkten Zugang zum EU-Markt offenhält. Ein EWR-Anschluss würde aber bedingen, dass die Briten wieder der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta) beitreten, die sie 1973 zu Gunsten des EU-Beitritts verlassen hatten.
Damit bekäme die Schweiz als Efta-Mitglied der ersten Stunde einen starken Partner, um neue Freihandelsabkommen auszuhandeln. Relevant ist diese Option besonders im Blick auf einen Freihandelsvertrag mit den USA, für den sich der Bundesrat seit einiger Zeit starkmacht.