In seiner Analyse zur neuen Migros-Präsidentin schreibt Wirtschafts-Chef Beat Schmid: «In persönlichen Karrierefragen scheint sich unter Topmanagern eine ausgeprägte Risikovermeidungs- kultur entwickelt zu haben.»
Die Delegierten machten kurzen Prozess: Bereits im ersten Wahlgang kürten sie Ursula Nold zur neuen Präsidentin der Migros-Genossenschaft. Mit 73 Delegiertenstimmen schlug sie ihre Gegnerin Jeannine Pilloud überraschend deutlich; Pilloud erhielt nur 27 Stimmen. Der Migros-Mediendienst twitterte hocherfreut: «Habemus Präsidentin!» und fügte den Hashtag «#Demokratie» hinzu. Obwohl überladen wie ein Gemüseregal, ist der Begriff Demokratie in diesem Zusammenhang gar nicht mal so falsch.
Das müssen auch Kritiker einsehen. Nach der Wahl lamentierten sie, dass Pilloud zu wenig Unterstützung erfahren habe – dass sie gar «verheizt» wurde. Tatsächlich wurde die ehemalige SBB-Managerin in einem komplizierten Verfahren von mehreren Gremien innerhalb des Konzers zur Wahl empfohlen. Die Voten jener, die nun Pillouds Niederlage beklagen, zielen jedoch ins Leere. Sie übersehen, dass letzten Samstag eben eine Kampfwahl stattfand, was allen Beteiligten von Beginn weg klar war.
Und diese Kampfwahl war historisch. Denn Eins-zu-eins-Ausmarchungen kommen in privaten Unternehmen so gut wie überhaupt nie vor. Dass die Migros-Delegierten zwischen zwei Persönlichkeiten wählen konnten, ist gelebte Unternehmens-Demokratie. Es gibt keinen Grund, warum mehr Mitentscheidung in der Unternehmenswelt schlecht sein sollte. Die Migros hat bewiesen, dass das in einem genossenschaftlich organisierten Unternehmen, immerhin dem grössten privatem Arbeitgeber der Schweiz, klappen kann.
Könnte die Migros zum Vorbild für andere Unternehmen werden? Grundsätzlich spricht nichts dagegen. Kampfwahlen in Aktiengesellschaften oder börsenkotierten Unternehmen können funktionieren, falls die Beteiligungsverhältnisse breit verteilt sind und kein einzelner Aktionär alles bestimmen kann. Doch oft fehlt auch in Genossenschaften der Mut. Das zeigte die Wahl des neuen Raiffeisen-Präsidenten Guy Lachappelle im vergangenen Herbst. Viele Delegierten hätten sich eine Alternative gewünscht, doch das lehnte die Zentrale in St. Gallen ab. Am Schluss siegte der offizielle Kandidat kampflos.
Ein Grund, warum es fast nie zu echten Wahlen in Unternehmen kommt, liegt an der Eitelkeit der Kandidaten. Niemand will sich die Blösse einer Niederlage geben. Lieber nicht antreten als eine Niederlage einstecken. In persönlichen Karrierefragen scheint sich unter Topmanagern eine ausgeprägte Risikovermeidungskultur entwickelt zu haben. Diese Haltung zeugt nicht eben von einem gesunden Selbstvertrauen.
Den meist hoch bezahlten Managern würde ein wenig mehr Sportsgeist gut anstehen. Sie sollten sich an Politikern ein Vorbild nehmen: Kein Kandidat würde je Karriere machen, wenn er zur Bedingung machte, als einziger für ein Amt antreten zu können. Auch Bundesratskandidaten müssen stets mit einer Niederlage rechnen und diese meist vor laufenden Kameras hinnehmen. Für einen funktionierenden Politwettbewerb braucht es mehr Verlierer als Gewinner.
Man kann einwenden, dass Verwaltungsratskandidaten einen harten Selektionsprozess durchlaufen müssen, bis sie an der Generalversammlung gewählt werden. Headhunter verdienen sich eine goldene Nase mit umfangreichen Abklärungen, bis sie dem Verwaltungsrat eine Shortlist in die Hand drücken. Doch die Arbeit der Berater ist kein Garant dafür, dass der beste Kandidat aufgestellt wird. Denn der Entscheid für oder gegen eine Kandidatin wird in Hinterzimmern gefällt, ohne jegliche Transparenz.
Bisher hat Jeannine Pilloud souverän auf die Niederlage reagiert. Die Nicht-Wahl bedeutet auch nicht das Ende ihrer Karriere. Pilloud ging als Favoritin in den Wahlkampf. Sie zog ihre Kandidatur nicht zurück, obwohl sich in den letzten Tagen eine Niederlage abgezeichnet hatte. Das ist ihr hoch anzurechnen.
Sie hat gekämpft und verloren – da ist nichts schlimm daran.