Diese Woche wurde der Verein «Queer Altern» gegründet. Das Ziel: Es soll ein Altersheim für Schwule und Lesben entstehen. Der Präsident des Vereins, der Unterengstringer Vincenzo Paolino, zum Vorwurf der Bildung eines Homo-Gettos und über die Toleran
Herr Paolino, werden Schwule und Lesben in Schweizer Altersheimen diskriminiert?
Vincenzo Paolino: Ich würde eher sagen, dass sie sich unsichtbar machen. Fragt man Heimleiter, ob sie bei sich Homosexuelle haben, dann lautet die Antwort meist nein. Die Generation der heute pflegebedürftigen Schwulen und Lesben ist sich womöglich auch eher gewohnt, zurückhaltend zu leben.
Das Unbehagen entstammt also einer Nichtbeachtung?
An der Gründungsversammlung unseres Vereins «Queer Altern» von vergangenem Dienstag war auch Ernst Ostertag anwesend. Er und sein Partner Röbi Rapp haben als erstes Schwulenpaar der Schweiz geheiratet und dadurch Bekanntheit erlangt. Ernst sagte klipp und klar, dass er die Offenheit im Umgang mit seiner sexuellen Orientierung nicht in einem herkömmlichen Altersheim verlieren möchte.
Ernsts und Röbis Generation hat genau für diese Offenheit gekämpft. Homosexuelle sind heute in der Gesellschaft integriert. Ist ein Rückzug in ein rein homosexuelles Umfeld im Lebensabend nicht eine Art Resignation?
Toleranz und Akzeptanz geschehen nicht einfach so. Man muss sich jeden Tag dafür einsetzen und Ängste oder Vorbehalte abbauen. Das kann anstrengend sein. Unser geplantes Altersheim ist aber sicherlich nicht für jeden und jede Homosexuelle interessant.
Was kann man sich unter dem geplanten Heim des Vereins «Queer Altern» genau vorstellen?
Sicherlich kein Kasten der Segregation. Es wird ein Wohnangebot geben mit einer Anzahl von Plätzen für Menschen mit höherem Bedarf an Pflege und Betreuung. Die Ärzte von Gay Nursing, der Schwulen-Spitex in Zürich, könnten eine Praxis dort einrichten. Falls die Schwulenbibliothek am Limmatquai einen neuen Ort sucht, wäre unser künftiges Haus eine Option. Viele Dinge sind möglich. Es werden voraussichtlich auch nicht nur Menschen aus der LGBTI-Community (Anm. der Redaktion: Dies steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender und intersexuell) bei uns wohnen.
Glauben Sie, dass sich Heterosexuelle wohlfühlen mit solchen Angeboten?
Klar. Eine heterosexuelle Freundin, die eine grosse Affinität zur schwulen Szene hat, liess mich diese Woche wissen, dass sie auch gerne bei uns einziehen würde, wenn das Projekt realisiert ist. Zwar sind Leute der Gay-Community die Kernzielgruppe, aber man muss nicht zwingend homosexuell sein, um bei uns wohnen zu dürfen. Ist jemand offen für diese Community, dann ist er willkommen. Die Kundschaft von Gay Nursing, die Spitex für Homosexuelle, ist auch zu rund 50 Prozent heterosexuell.
Unsere Gesellschaft richtet sich aber eigentlich nach dem Grundsatz, dass Minderheiten so gut wie möglich integriert werden sollen. Seien dies Ausländer oder Menschen mit Behinderung. Werden Sie auch kritisiert für das geplante Altersheim?
Ja, es gibt auch kritische Stimmen. Ich sage dann immer, dass Abschottung nicht das Ziel ist. Die Idee stammt ursprünglich aus Berlin. Dort sind rund 200 Menschen auf der Warteliste für dieses Pflegeheim, das sich «Haus der Vielfalt» nennt. Diesen Namen finde ich recht gelungen, denn es wird niemand ausgeschlossen. Und dennoch ist die Zielgruppe klar die LGBTI-Community
Deutet Ihr Angebot nicht darauf hin, dass die Gesellschaft nicht bereit für die vollumfängliche Akzeptanz von Homosexuellen ist?
Sagen wir es so. Ich bin jetzt 50 und habe in meinem Leben nie nennenswerte Anfeindungen erlebt aufgrund meiner sexuellen Orientierung. Doch wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass Schwule und Lesben nicht überall gleich gut integriert sind wie beispielsweise in der Region Zürich. In ländlichen Gebieten gibt es klar mehr Menschen, die nicht geoutet sind. Sie haben noch immer Angst vor Reaktionen ihres tendenziell konservativen Umfelds oder sind eher introvertiert.
In der Stadt Zürich liess sich in den vergangenen Jahren ein Schwulenklub-Sterben feststellen. Neue Nachtlokale haben derweil Probleme, sich zu etablieren. Der Trend geht dahin, dass hetero- und homosexuelle miteinander feiern. Orte, die explizit für Schwule und Lesben sind, verlieren an Bedeutung.
Das ist eine interessante Parallele. Ich war selber viele Jahre Teil der Zürcher Technoszene und habe erlebt, dass sich das schwul-lesbische und das heterosexuelle Publikum vermischen. Heteros, die diese Partynächte besuchten, waren aber immer sehr offen. Es gibt in Zürich sehr viele Clubs, die sich an das heterosexuelle Publikum richten und wo ich mich als Schwuler gar nicht wohlfühlen würde. Man darf nicht vergessen, dass noch in vielen Menschen Intoleranz schlummert.
Sie betreiben zwei Pflegezentren in der Region Zürich und waren 13 Jahre lang Pflegeleiter des Alterszentrums Sandbühl in Schlieren. Wagen wir einen Blick in die Zukunft. Wie werden Betagte in zehn, zwanzig, dreissig Jahren zeitgemäss gepflegt?
Ich glaube, wir stehen am Anfang eines Kulturwandels der Langzeitpflege. Es geht hin zu kleineren Einheiten und Spezialisierungen. In Zürich gibt es bereits zwei Pflegegruppen für Menschen aus dem mediterranen Raum. Der Wunsch danach, gemeinsam mit Menschen mit einem ähnlichen Hintergrund den Lebensabend zu verbringen, wächst. Inklusion, also dass Menschen unterschiedlichster Kulturen zusammenleben, ist gut. Dies ist jedoch nicht der Wunsch von allen. Denn die meisten haben auch den Wunsch, mit Gleichgesinnten Zeit zu verbringen.