Neun von zehn Lehrern fordern wegen des Lehrplans 21 eine neue Art der Benotung.
Die Erziehungsdirektoren reagieren auf die Kritik am Lehrplan 21. Nachdem über 1000 Rückmeldungen eingegangen sind, haben die Verantwortlichen kürzlich Änderungen angekündigt. Einer der entscheidenden Punkte bleibt aber weiterhin aussen vor: die Notengebung.
Der Schweizer Lehrerverband (LCH) fordert ein dem neuen Lehrplan angepasstes Zeugnis, das für alle Deutschschweizer Kantone bindend ist. Derzeit ist jeder Kanton selbst für die Notengebung zuständig. Das soll sich ändern: «Wir werden in den nächsten Wochen einen neuen Vorstoss veröffentlichen», sagt Jürg Brühlmann, Leiter der pädagogischen Arbeitsstelle des LCH und Mitglied der Geschäftsleitung. Neun von zehn Lehrern haben sich in einer Umfrage des LCH gegen das aktuelle System mit den reinen Noten von 1 bis 6 ausgesprochen. Der Verband vertritt 50 000 Lehrer.
Bisher sehen die Erziehungsdirektoren keinen Handlungsbedarf. Zwar stellen sie Gespräche in Aussicht, die Frage nach der Benotung sei aber keine zwingende Voraussetzung für die erfolgreiche Einführung des Lehrplans 21, sagt Christian Amsler (FDP), Präsident der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren. Die Kantone könnten am besten mit möglichen Anpassungen umgehen. Das sieht der Lehrerverband anders und kritisierte diese Haltung bereits in einer ersten Stellungnahme: Jetzt räche sich das entscheidende Versäumnis, die Benotung in allen Kantonen zu vereinheitlichen, heisst es darin. Der Verband spricht gar von «politischer Verweigerung».
Die Lehrer sind verunsichert. Sie fühlen sich nicht genügend abgesichert. Die Lehrkräfte müssten wissen, wie sie «juristisch niet- und nagelfest» benoten sollen, schreibt der Verband. «In den letzten Jahren haben Eltern zunehmend mit Anwälten gedroht, wenn ihnen ein Zeugnis nicht gepasst hat», sagt Jürg Brühlmann vom LCH. Sollte die Benotung künftig nicht einheitlich geregelt werden, drohten weitere Klagen übereifriger Eltern. Das gelte besonders, weil der neue Lehrplan den Fokus weg vom reinen Fachwissen auf Kompetenzen und Werthaltungen legt.
Lehrerpräsident Beat Zemp veranschaulichte die Bedenken zuletzt so: «Wir können Schülern zwar beibringen, wie eine gesunde, nachhaltige Ernährung aussieht, aber ich möchte niemanden mit einer schlechten Note bestrafen, wenn er ab und zu einen Hamburger bei McDonald’s isst.» Deshalb sollen Noten in Teilbereichen der Fächer Religion oder Natur und Gesellschaft wegfallen.
Wie das neue Zeugnis aussehen soll, ist noch offen. Die Lehrer diskutieren derzeit mehrere Vorschläge (siehe unten). Allerdings haben sich einige Kantone bereits gegen ein neues Benotungssystem ausgesprochen. Für den Thurgauer Regierungsrat hat die Leistungsmessung mittels Noten auch zukünftig klare Priorität. Der Berner Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) rechnet nur mit geringen Anpassungen. Man wolle den Lehrkräften geeignete Hilfsmittel zur Verfügung stellen, zum Beispiel in Form eines Kompetenzrasters, sagt er. An den Schulnoten werde aber nicht gerüttelt.
Alleine stehen die Lehrer in ihrem Kampf allerdings nicht. Der Schweizer Schulleiterverband (VSLCH) will «zwingend» ein einheitliches Zeugnis, das sich an den Kompetenzen orientiert. «Der Handlungsbedarf ist unbestritten», sagt Bernard Gertsch, Präsident des VSLCH. Die Notengebung sei heute extrem unübersichtlich und nicht mehr zeitgemäss. «Eine Diskussion ist überfällig.»
So könnten die neuen Zeugnisse aussehen
Der Schweizer Lehrerverband will Zeugnisse an den Lehrplan 21 anpassen. Dieser konzentriert sich neu nicht mehr nur auf reines Wissen, sonder auf Kompetenzen. Schüler müssen den Stoff künftig praktisch anwenden können. Ende Jahr wird der Lehrplan den Kantonen zur Einführung übergeben.
Fünf Vorschläge der Lehrer, wie die Benotung künftig aussehen könnte:
> Statt Noten von 1 bis 6 heisst es künftig lediglich «Kompetenz erreicht» oder «Kompetenz nicht erreicht.»
> Die Noten 1 bis 6 erhalten neue Bezeichnungen. Zum Beispiel hiesse dann eine 5 «Kompetenz erreicht», eine 6 «Kompetenz übertroffen» oder eine 4 «Kompetenz knapp erreicht.»
> Den reinen Noten werden schriftliche Beurteilungen beigelegt. So heisst es dann beispielsweise: «Note: 5, der Schüler kann die Entstehung und Entwicklung der Schweiz erklären.»
> Die Lehrer verzichten auf jegliche Noten, schreiben stattdessen ein reines Wortzeugnis, das die Leistungen der Schüler und deren Kompetenzen festhält. Allerdings gilt dieser Vorschlag bereits heute auch unter Lehrern als unwahrscheinlich.
> Eines der wichtigsten Anliegen der Lehrer ist, keine Werthaltungen benoten zu müssen. Keinesfalls dürfe der Lehrplan einen konfessionell einseitigen oder politisch ideologischen Unterricht rechtfertigen. Fächer wie «Ethik, Religion und Gemeinschaft» oder «Natur, Mensch und Gesellschaft» müssten in Teilbereichen ohne Noten bleiben.
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