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Jeannette Schläpfer begleitet in der Coronakrise Angehörige von Menschen mit Demenz. Sie sind derzeit noch stärker herausgefordert.
Angehörige von Menschen mit Demenz sind während der Coronakrise oft einer doppelten Belastung ausgesetzt. Einerseits sollten die Senioren nach Möglichkeit das Haus nicht verlassen. Zum Anderen fallen die unterstützenden Angebote weg. Jeannette Schläpfer ist Sozialarbeiterin in der Memory-Klinik des Spitals Limmattal. Sie erklärt, wie Angehörige mit unruhigen Menschen mit Demenz umgehen können und wann man sich Hilfe suchen soll.
Wie setzen Menschen mit Demenz die Weisung «Bleiben Sie zuhause» um?
Jeannette Schläpfer: Es kommt auf die Situation zuhause an. Menschen mit Demenz, die alleine leben, haben oft Mühe, die verschiedenen Schutzempfehlungen umzusetzen. Manche haben einen grossen Bewegungsdrang. Da kann es verehrend sein, wenn man sie einschliesst.
Die Gemeinden bieten Beratungsangebote für betroffene Angehörige an. Auch das kostenlose Angebot von Alzheimer Zürich und Pro Senectute soll Begleitern von demenzerkrankten Menschen helfen, den Alltag zu bewältigen.
Wie zeigt sich dies?
Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit kann zu Überforderung und möglicherweise Aggressionen oder gar einer Depression führen. Angehörige erleben, dass Menschen mit Demenz nervös werden und herumtigern. Dazu kommt Langeweile. Viele können sich schlecht allein beschäftigen. Je nach Stärke der Demenz, brauchen sie eine ausgeprägte Tagesstruktur.
Empfahlen Sie in den Beratungen, draussen zu spazieren?
Frische Luft ist wichtig. Spaziergänge sollten aber nur unternommen werden, wenn wenig Personen unterwegs sind.
Keine Hände schütteln, zwei Meter Abstand halten, man muss sich an viele neue Regeln erinnern.
Hygienemassnahmen sind für Menschen mit Demenz schwer umzusetzen, da sie diese nicht immer verstehen, oder wieder vergessen. Zudem sind manche Dinge sehr schwierig zu realisieren, etwa ein Besuch im Heim mit Abstand ist eine Herausforderung. Hier sind kreative Lösungen wie telefonieren, briefeschreiben oder Videobotschaften gefragt. Angehörige sollten versuchen, das Gefühl der Nähe über unterschiedliche Wege aufrechtzuerhalten. Für viele sind die eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten jedoch sehr belastend.
Könnte man sich auch eine Maske überziehen und dem Gegenüber ebenfalls eine geben?
Ich hatte einen Mann in der Demenz-Abklärung, der eine Maske tragen sollte. Er hinterfragte sie stark. Immer wieder zog er sie vom Gesicht, da er nicht wusste, was das sollte und ihm das Atmen schwer fiel.
Jeannette Schläpfer arbeitet in der Memory-Sprechstunde im Spital Limmattal in Schlieren. Die Sozialarbeiterin klärt in Zusammenarbeit mit Neurologen und Neuropsychologinnen ab, ob die Patienten in ihrer Sprechstunde an Demenz leiden. Zudem führt sie wöchentlich Gedächtnistrainings für Menschen mit beginnender oder leichter Demenz durch. Sie leitet auch die monatlichen Treffen für Angehörige von Demenzerkrankten. Diese mussten jedoch aufgrund der Coronakrise abgesagt werden. Während dieser Zeit begleitet Schläpfer die Angehörigen per Telefon. Die 52-Jährige Mutter wohnt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Zürich. Um ihr Gedächtnis und den Körper fit zu halten, betreibt sie Zumba. (lyl)
Wie verhielten Sie sich in dieser Situation?
Ich sagte ihm, «Ich weiss die Maske ist ein wenig mühsam, aber trotzdem wichtig. Es wäre gut, wenn Sie sie wieder anziehen.» Doch es ist und bleibt schwierig, die verordneten Massnahmen umzusetzen.
Was empfehlen Sie den Angehörigen, damit dies besser gelingt?
Wiederholung. Man muss die Empfehlungen immer wieder erklären. Das BAG gab zudem einen guten Leitfaden in leichter Sprache heraus. Man könnte einige Punkte auch auf einen Zettel schreiben und aufhängen.
Der Shutdown ist auch für die betreuenden Angehörigen eine zermürbende Situation.
Natürlich ist die Situation nicht für alle Angehörigen gleich. Viele versuchen, die Zeit zu zweit zu geniessen, den Tag aktiv zu gestalten und das Beste aus der Situation zu machen. Angehörige verfügen über vielfältige Ressourcen und individuelle Lösungsstrategien, die nun zum Einsatz kommen. Schwierig ist die Situation für Personen, die bisher wenig fremde Hilfe in Anspruch nahmen oder die sich um eine demenzbetroffene Person mit herausforderndem Verhalten kümmerten. Sie sind aktuell noch stärker auf sich selbst gestellt, da aufgrund der Isolation noch weniger Austausch stattfindet. Die Betreuenden können kaum loslassen und nur selten hört ihnen jemand zu.
Was raten Sie in solchen Fällen?
Angehörige von Menschen mit Demenz sollen sich unbedingt an eine Tagesstruktur halten und sich Freiräume schaffen. Es ist auch wichtig, möglichst bevor es zur Eskalation kommt, mit einer externen Stelle zu reden.
Wann sehen Sie Warnsignale in einer Beziehung zwischen Angehörigen und Menschen mit Demenz?
Wenn die Betreuungsperson ihre Wut nicht mehr kontrollieren kann, sich gestresst und genervt fühlt oder wenn sie sich gegen die an Demenz erkrankte Person wendet, weil sie die Lage nicht mehr aushält, ist es Zeit, externe Hilfe beizuziehen. Auch wenn sie traurig wird, niemanden mehr anruft und sich zusätzlich isoliert sind das Alarmzeichen. Dann muss man handeln.
Und beispielsweise den Hausarzt oder auch die Sanität anrufen.
Wenn es Nacht ist, kann es sein, dass man den Notruf tätigen muss. Dann kann man nicht warten.
Was folgt danach?
Manchmal kann man die Situation am Telefon deeskalieren. Notfalls kann es sein, dass die demenzbetroffene Person in die Gerontopsychiatrie eingewiesen wird. Das versucht man aber zu vermeiden. Als Fachstelle probieren wir, proaktiv einzugreifen.
Was ist in der momentanen Situation besonders schwer?
Für Menschen mit Demenz ist es schwer, dass die gewohnten Strukturen wegfallen. Eine Herausforderung sind auch die Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung. Viele Demenzbetroffene begreifen nicht, weshalb sie bestimmte Sachen nicht mehr machen dürfen. Für die betreuenden Angehörigen fallen durch die Isolation Mitbetreuer, wie Neffen, Nichten, Söhne und Töchter weg. Meine Erfahrung zeigt, dass Angehörige ihre Familie nicht noch zusätzlich mit ihren Sorgen belasten möchten und daher nicht offen über ihr Überforderungen und Ängste reden.
Gibt es einen Geheimtipp, den die Angehörigen anwenden können?
Man sollte mit demenzbetroffenen Personen Dinge tun, die sie schon immer gemacht haben. Wenn jemand etwa gerne wäscht, Spiele spielt, Fotos anschaut oder singt, dann sollte man dies regelmässig ins Tagesprogramm einbauen. Das gibt Halt. Wichtig ist, eine Balance zwischen zu viel Beschäftigung und Unterforderung zu finden.
Wie könnte eine kreative Aktivität für Menschen mit Demenz in der Coronakrise aussehen?
Manchmal kann weniger mehr sein. Eine Frau erzählte, ihr Mann sitze nun oft auf dem Balkon und höre den Vögeln zu. So könne er lange Zeit verweilen.