Alleine essen, alleine schlafen, alleine sein: Die Vorsicht bei den Athleten ist gross. Jeder positive Coronatest ist nun besonders dramatisch, weil sie in der Folge eines oder mehrere Highlights der Saison verpassen würden.
«Sie müssten es sehen, es sieht wohl ziemlich komisch aus», sagt Marco Odermatt. Dürfen wir aber nicht. Die Athleten befinden sich in einer Blase. Zutritt haben nur Berechtigte. Also versuchen wir, es zu beschreiben. «Gut 20 Einzeltische stehen im Speisesaal des Hotels Belvédère in Wengen», erzählt Odermatt. Seit Jahren ist es das Teamhotel der Schweizer. In anderen Jahren ist es ein Treffpunkt, wo Lauberhornsieger auch schon im Ledersessel die Journalisten nach einer kurzen Nacht empfangen haben.
In diesem Jahr ist es eine Sperrzone. Freiwillige Einzelhaft fast. An jedem Tisch sitzt alleine ein Athlet. Wüsste man es nicht besser, man würde wohl vermuten, es wäre das Jahrestreffen der Einzelgänger. Oder zumindest, dass sich hier niemand mag. Und dass man sich aus dem Weg geht.
Das tun die Athleten zwar wirklich. Aber aus anderen Gründen. Gut drei Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele in Peking erreicht die Ansteckungsangst ihren Höhepunkt. Jeder positive Coronatest ist nun besonders dramatisch, weil die Athleten in der Folge eines oder mehrere Highlights der Saison verpassen würden. Entsprechend gross ist die Vorsicht. «Man versucht, sich so gut wie möglich zu schützen», sagt Beat Feuz: «Wir schlafen in Einzelzimmern. Zudem vermeide ich Kontakte, so gut es geht.» Seine Tochter geht derzeit nicht einmal in den Kindergarten, um das Infektionsrisiko zu senken, wie er dem «Blick» verriet.
Entsprechend zwiespältig war sein Blick nach Adelboden, wo am vergangenen Wochenende 12'500 Menschen grösstenteils ohne Maske ein Skifest feierten.
«Natürlich ist das cool, aber für die Athleten auch gemein. Wir müssen uns verstecken und versuchen, uns nicht anzustecken, während um uns herum gefeiert wird.»
Auch in Wengen werden zahlreiche Zuschauer erwartet. Allerdings gibt es anders als in Adelboden im Ziel keine Zuschauertribüne. Dafür wird der Weg an den Start zum Problem. Weil die Athleten die gleichen Liftanlagen benutzen wie die Touristen. Die Organisatoren versprechen, die Gruppen strikt zu trennen. So gäbe es in der Wengernalpbahn separate Züge für den Weltcuptross.
Die Nähe zu den Athleten ist sonst ein Teil der Faszination der Skirennen in Wengen. Auf dem Wixi-Lift, der direkt zum Start führt, war die Chance in der Vor-Corona-Zeit gross, neben einem Star zu sitzen. In diesem Jahr gibt es unten beim Einstieg zwei Wartezonen und sobald ein Athlet den Lift benutzen will, sperrt ein Mitarbeiter der Bergbahnen den Zutritt für die Touristen.
Das funktioniert gut, wie ein Augenschein vor Ort am Mittwoch zeigte. Aber trotz all dieser Vorsichtsmassnahmen, die von Athleten und Organisatoren getroffen werden – ein Nullrisiko gibt es nicht.
So wurde der Österreicher Vincent Kriechmayr Anfang des Jahres positiv getestet. Der Sieger der Lauberhornabfahrt 2019 ist zwar mittlerweile genesen und negativ getestet. Doch die österreichischen Behörden erlaubten ihm nicht, die Isolation frühzeitig zu verlassen. So verpasste er beide Trainings in Wengen und darf gemäss FIS-Reglement die Abfahrten nicht bestreiten. Pikant: Der Internationale Skiverband und das OK in Wengen hätten ihm die Starterlaubnis erteilt.
Kriechmayr erhielt schliesslich am Mittwochabend von den Behörden die Erlaubnis, nach Wengen zu reisen. Am Donnerstag will er den Super-G fahren. Für die Abfahrten erhofft sich der österreichische Verband nun eine Sondererlaubnis der FIS. Der «Kronen-Zeitung» sagte ÖSV-Männer-Cheftrainer Andreas Puelacher: «In dieser schwierigen Zeit sollte man einem Sportler, egal woher er kommt, von der FIS die Möglichkeit bieten, dass er eventuell die Abfahrt fahren könnte.»
Während Kriechmayr also auf der Anreise war, sassen die Schweizer im Hotel Belvédère an ihren Einzeltischen. Schliesslich möchte keiner den heutigen Super-G (Start 12.30 Uhr) verpassen.