Sturz mit Spätfolgen
Traum nach Trauma – Marc Gisin litt lange nach seinem Sturz in Kitzbüehl

Der Skirennfahrer Marc Gisin stürzte 2015 in Kitzbüehl und zog sich ein Schädel-Hirn-Trauma dabei zu. Jedoch sollte genau dieser Sturz für den 29-Jährigen Zentralschweizer späte folgen haben.

Martin Probst
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Marc Gisin war im ersten Abfahrtstraining auf der Streif als Siebter der klar beste Schweizer.

Marc Gisin war im ersten Abfahrtstraining auf der Streif als Siebter der klar beste Schweizer.

KEYSTONE

Kitzbühel, Januar 2016: Als Marc Gisin ein Jahr nach seinem fürchterlichen Sturz auf die Streif zurückkehrt und mit Rang fünf in der Abfahrt sein bestes Weltcup-Ergebnis erzielt, scheint alles gut. Das Schädel-Hirn-Trauma, das er 2015 auf der schwierigsten Piste der Welt erlitt, ist geheilt. Die Angst schon fast vergessen. Und alle staunen ob der mentalen Leistung des fast Zwei-Meter-Mannes.

Val d’Isère, Dezember 2016: Marc Gisin kann nicht mehr. Nach Rang 35 in der Abfahrt bricht er die Saison nach nur zwei Rennen ab. Er kann kaum schlafen, ist erschöpft und oft gereizt. «Dabei dachte ich, dass alles gut ist.» Zu gut verlief die Comebacksaison 2015/16. Entsprechend intensiv hat er sich im Sommer vorbereitet. «Und plötzlich hat das gesamte System schlappgemacht.»

Kitzbühel, Januar 2018: Marc Gisin blickt nochmals zurück auf drei verrückte Jahre. Von Oktober 2016 bis April 2017 konnte er kaum schlafen. Der 29-Jährige war hellwach und hundemüde. Er probierte alles: Schlaftabletten, Homöopathie, Akupunktur und vieles mehr. «Bis ich die Diagnose erhielt.» Festgestellt wurde eine posttraumatische Belastungsstörung als Spätfolge des Unfalls 2015 in Kitzbühel. «Ich habe zu viel gewollt und zu wenig verarbeitet. Das brachte alles aus der Balance.»

Kleinere Rückschläge

Gisin musste sich Zeit geben. Nicht einfach für jemanden, der schnell ungeduldig wird. Mit der Hilfe von Psychologen gelang es ihm. «Ich musste die ganze Struktur des Denkens in meinem Kopf umbauen», beschreibt er es. Kurz: Marc Gisin musste sich neu erfinden. Statt sich wie «ein Irrer» zu quälen, dosierte er im Kraft- und Ausdauerbereich.

Die Erfolge stellten sich schnell ein. «Ich bin erholter und habe mehr Energie.» Im Sommertraining für diese Saison hat sich Gisin bewusst etwas zurückgenommen. Sobald er es übertrieb, erlitt er Rückschläge. Zwei- bis dreimal hat ihm sein Körper mit Schlaflosigkeit gesagt, dass es noch zu früh ist, um alles zu geben.

«Mittlerweile bin ich aber voll belastbar.» Seit Monaten schläft er durch. «Das gibt mir Vertrauen, dass ich es nun überstanden habe.» Zwei Jahre, nachdem er schon einmal dieses Gefühl hatte. Doch dieses Mal ist es anders, ist er überzeugt. «Weil der Unfall nun aufgearbeitet ist.»

Gelingt ein Exploit?

Den Winter 2017/18 wollte Gisin nie als Übergangssaison sehen. «Schliesslich finden im Februar die Olympischen Spiele statt.» Er hofft, dabei zu sein. Es ist sein Traum nach dem Trauma. Doch einfach wird es nicht. Bisher hat er zwei 19. Plätze (in den Abfahrten in Bormio und Wengen) in der Buchhaltung. Für die Selektion braucht er zwei Top-15- oder eine Top-7-Klassierung. «Es wird nicht einfach. Der Trainingsrückstand ist eben doch da und wirkt sich aus. Darum muss ich die Saison in der Schlussbilanz vielleicht doch als Überbrückungswinter betrachten.»

Doch wer weiss: Gisin ist zurück in Kitzbühel und vielleicht gelingt ihm am Freitag im Super-G und am Samstag in der Abfahrt ein Exploit. Verdient hätte er es. Träumen erlaubt.