Wie lange soll Roger Federer noch weiterspielen? Solange ihn sein Körper noch trägt? Oder ist es nach seinem Ausscheiden in den Viertelfinals von Wimbledon Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen?
Roger Federer scheitert im Viertelfinal von Wimbledon am Polen Hubert Hurkacz. Die Diskussion um einen möglichen Rücktritt des Schweizers entfacht aufs Neue. Auch unsere Sportredaktoren sind sich nicht einig.
Natürlich. Kein Tennisspieler der Welt, der den Viertelfinal in Wimbledon noch auf dem Schläger und in den Beinen hat, darf aufhören. Das gilt für 997 der besten 1000 Könner der Weltrangliste. Doch es gibt Grenzen und Ausnahmen, weil er als Messias dieses weissen Sports gewissermassen beides verkörpert: Roger Federer.
Ich frage mich schon lange, weshalb sich Federer mit bald 40 Jahren dieses letzte Kapitel seiner Karriere noch antut. Und ich möchte es bewusst nicht eine Zusatzschlaufe nennen, obwohl es de facto ebendies ist. Ist es also tatsächlich die Liebe zum Spiel und nicht die Angst vor dem danach? Die Leere, die dann unweigerlich kommt und auch diesem (Jahrhundert-)Sportler nach dem Rücktritt so viel heraussaugen könnte, womöglich genau das, worüber er sich definiert hat und sah?
Es ist wahrscheinlich, dass das Tennis-Triumvirat nach Wimbledon bei 20 Grand-Slam-Titeln steht. Neben Nadal, der noch für fünf French-Open-Siege gut ist neu auch der «Djoker», der dem Schweizer sportlich längst vor der Nase herumgaloppiert. Was mich schon länger ein bisschen irritiert, weil jedermann die Machtverschiebungen sehen kann. Früher sprachen die Medien immer vom Besten aller Zeiten, wenn sie über Federer schrieben. Heute ist diese Etikette weggefallen.
Noch schlimmer. Heute spricht man vom Basler wie über eine dritte Person. Ob das Knie die Belastung aushält. Ob er ohne die Familie reisen möchte. Ob er zurückkehrt. Ob er ein neues Projekt startet und dazu fleissig bewirbt. Wie er baut. Zu nervigen Diskussionen gehört irgendwie auch immer, ob Federer überhaupt teilnimmt oder sogar nach Siegen absagt. Schon klar, das alles gehört ein bisschen zu seinem Mythos.
Aber je mehr über diese Dinge geredet wird, desto mehr fällt auf: Der Tennisspieler Roger Feder steht nicht mehr im Fokus.
Der Denkanstoss also ist: Wieso sagen wir einem in die Jahre gekommen Fussballer, er solle langsam aufhören, das bringe nichts mehr?
Wieso dürfen wir das ausgerechnet bei Roger Federer nicht tun? Ist es tatsächlich wegen seinem majestätischen Heiligenschein, wegen seiner zahlreichen Kollektivgeschenke an unsere Gesellschaft? Ist er in diesem Moment nicht einfach der Sportler, über den man im Nirgendwo reden darf? Eben doch, genau das ist er. Und gerade deshalb gilt auch bei Federer: Nichts ist für die Ewigkeit, schon gar nicht seine eigene Vergänglichkeit.
Erinnern Sie sich noch an das Jahr 2013? Roger Federer verlor damals in Wimbledon in der zweiten Runde gegen Sergei Stachowski, in Gstaad gegen Daniel Brands und bei den US Open gegen Tommy Robredo. Im Jahr darauf erreichte er in Wimbledon den Final und hatte bis zum letzten Turnier die Chance, an die Spitze der Weltrangliste vorzustossen. Ob er das noch einmal schafft? Fraglich. Ist das so wichtig? Überhaupt nicht.
Federer wird nicht im Zenit seiner Schaffenskraft aufhören – na und? Woher nehmen wir uns eigentlich das Recht, ja diese Dreistigkeit, diese Frechheit, zu glauben, bei der Frage mitreden zu dürfen, wann er aufhören soll? Roger Federer ist kein Allgemeingut, es ist seine Karriere, sein Leben und seine – sehr persönliche – Entscheidung, die nur ihn und seine Familie etwas angehen. Er ist keinem mehr etwas schuldig. Das war er noch nie.
Es war im Sommer 2009, Federer hatte gerade die French Open gewonnen und in Wimbledon mit dem 15. Grand-Slam-Titel sein Idol Pete Sampras überflügelt, als viele sagten: Besser kann es nicht mehr werden. Hätte er damals aufgehört, einige der schönsten Kapitel Schweizer Sportgeschichte wären nie geschrieben worden: der Davis-Cup-Sieg, der 18. Grand-Slam-Titel 2017 bei den Australian Open, im ersten Turnier nach halbjähriger Pause – nach hinreissendem Final über fünf Sätze gegen Rafael Nadal.
Roger Federer gewann in jenen Sommer noch einmal in Wimbledon und im Jahr darauf erneut in Melbourne. Jedes Mal hiess es danach: Das wäre er doch – der perfekte Moment für den Rücktritt vom Spitzensport.
Klar wäre es auf Dauer unbefriedigend, früh auszuscheiden. Klar, müsste er über die Bücher gehen, wenn er nur noch auf einem Aussenplatz spielen würde, quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Aber wieso muss sich jemand dauernd rechtfertigen, der gerade beim wichtigsten Tennisturnier in den Viertelfinals stand und noch immer die Massen mobilisiert, wie Roger Federer das noch immer tut?
Federer zerstört sein Vermächtnis? Das ist – mit Verlaub – lächerlich. Dass der Boxer Muhammad Ali seine letzten Kämpfe verlor und im «Drama auf den Bahamas» im Box-Exil eine Demontage erlebte, hat seinem Ruf auch nicht geschadet. Andre Agassi verlor seinen letzten Match gegen B. Becker – Benjamin, nicht Boris. Das interessiert heute keinen mehr.
Und sowieso: Die Vorstellung, auf dem Höhepunkt aufzuhören, ist eine romantisch verklärte. Roger Federer denkt anders: Ihm ist wichtiger, dass er den Zeitpunkt bestimmen kann – und ihn nicht eine Verletzung dazu zwingt. Er soll und wird tun, was sich für ihn richtig anfühlt.
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