Der Freiburger Sprinttrainer hat Lea Sprunger zu EM-Gold und Ajla Del Ponte in die Weltspitze geführt. So richtig glücklich ist Laurent Meuwly aber erst als Söldner in fremden Diensten geworden.
Ein holländischer Sportler sitzt am Boden neben seinem Rollstuhl. Er hantiert an einem Rad und bereitet das Gefährt für das Training vor. Bald gesellen sich weitere Athletinnen und Athleten zu ihm. Femke Bol etwa, die Olympia- und WM-Zweite über 400 m Hürden. Sie ist das derzeitige Aushängeschild der holländischen Leichtathletik. Auch die Schweizerin Ajla Del Ponte taucht auf der idyllisch im Wald gelegenen Rundbahn in Papendal auf. Sie unterhält sich mit einer kleinwüchsigen Athletin.
Paralympische und olympische Sportlerinnen und Sportler trainieren gleichzeitig am gleichen Ort. Auf Bahn 1 drehen die Rollstuhl-Athleten ihre Runden. Auf den Aussenbahnen stellen Bol und Co. Hürden für ihre Einheit auf. Und Del Ponte wärmt sich mit Kraftübungen für die Sprints auf. Mittendrin steht der Schweizer Laurent Meuwly.
Der 47-jährige Freiburger ist seit April 2019 Cheftrainer für die 400-m-Distanzen sowie die fünf Staffeln. 13 Athletinnen und Athleten trainieren bei ihm im holländischen Olympiazentrum, dazu die Tessinerin Del Ponte, die seit 2015 mit Meuwly zusammenarbeitet. Die 26-Jährige ist die einzige Sprinterin in der Gruppe.
Sie trainiert zwar gleichzeitig wie die holländischen 400-Meter-Spezialisten, aber absolviert zumeist ein eigenes Programm. «Ab und zu mache ich die gleichen Trainings wie die Langsprinter und zwischendurch finden die Trainings gestaffelt statt», erklärt Del Ponte. So geniesst sie ab und zu die ungeteilte Aufmerksamkeit des Freiburgers Meuwly.
Meuwly wechselte vor drei Jahren mit dem Auftrag nach Holland, die Lücke zur Weltspitze über die Distanzen 400 m, 400 m Hürden und 4x400-m-Staffel zu schliessen. Angefangen hat er das Projekt mit drei Sportlern. Inzwischen ist der Topf an international konkurrenzfähigen holländischen Leichtathleten deutlich angewachsen. Das Land gehört an den heute Montag beginnenden Europameisterschaften in München zu den stärksten Nationen.
Ein Grund ist das Olympia-Leistungszentrum Papendal, das an einem Ort alles bietet, was Athletinnen und Athleten für den Erfolg benötigen. Der Physio steht bei jedem Training direkt an der Bahn, der Weg bis ins Restaurant beträgt 150 Meter. Papendal hält auch als Modell her bei den Bestrebungen des Schweizer Sports, einen Olympiapark zu kreieren.
Ein anderer Grund ist Laurent Meuwly. Der Schweizer gilt als Erfolgscoach. Sein erstes Aushängeschild war Lea Sprunger. Auch Ajla Del Ponte hat unter ihm den Sprung zur Weltklasse-Sprinterin gemacht. Und mit der erst 22-jährigen Femke Bol hat der wortgewandte Coach ein Juwel entdeckt und geformt.
Weshalb aber steht ein derart erfolgreicher Trainer nicht in Diensten von Swiss Athletics? Der Vater von zwei erwachsenen Kindern sagt, er habe den Schweizer Verband vor drei Jahren bewusst verlassen. «Hier bin ich vollamtlicher Trainer, kann mich ganz auf die Arbeit mit den Athletinnen und Athleten konzentrieren. In der Schweiz war ich viel zu stark auch mit administrativen Dingen beschäftigt.»
Er geniesse dank der kurzen Wege viel mehr Lebensqualität. In der Schweiz habe er von Fribourg nach Lausanne und für Trainings mit Kariem Hussein zwischendurch nach Zürich pendeln müssen. Zusammen mit der Administration habe das viel Energie gekostet. «Ich fühle mich hier viel besser erholt, mit mehr Power für meinen Job.»
Nicht nur Holland, auch Swiss Athletics erhält für seine Entwicklung im vergangenen Jahrzehnt viel Lob und Zuspruch. Laurent Meuwly aber, der sich immer wieder mal als Kritiker einbringt, hebt den Warnfinger. Er sagt, es gebe in der Arbeit des Schweizer Verbands strategische Mängel. Die jüngeren Talente würden zwar gut unterstützt, etwa mit dem Programm «World Class Potentials».
Doch er sagt auch: «Ich sehe zu viele Sportlerinnen und Sportler, die bis zum Nachwuchs international konkurrenzfähig sind, dann aber sehr stark stagnieren. Zu viele Talente gehen aus dem grossen Topf auf ihrem Weg verloren. Es hat zu wenig professionelle Trainer und es fehlen zielgerichtete Projekte des Verbands zur Förderung der Ausnahmetalente. Swiss Athletics nimmt zu wenig Einfluss auf die Karriereplanung und das Trainingssetting. Dadurch entsteht zuviel Platz für Zufall.»
Seinen Abgang als Kadertrainer in der Schweiz begründet er auch mit fehlendem Support und fehlender Vision bei Swiss Athletics. «Und ich habe nicht den Eindruck, dies sei seit 2019 besser geworden». Man müsse die Besten fördern und dazu selektionieren. Meuwly behagt das Modell in Papendal mit seiner Infrastruktur und der Philosophie der Zentralisation. «Die zur Verfügung stehenden Werkzeuge sind unglaublich. In diesem Umfeld entsteht das Potenzial, etwas zu entwickeln», sagt er, «das fehlt mir in der Schweizer Leichtathletik ein wenig».
Laurent Meuwly hat, seit er in Papendal stationiert ist, schon mehr als 40 Anfragen von Athletinnen und Athleten erhalten, die sich seiner Gruppe anschliessen oder zumindest nach seinen Plänen trainieren möchten. «Darunter einige sehr interessante Namen.» Aber es gibt zumeist Absagen. Einzig die Polin Anna Kielbasinska – an der WM im Juli Finalistin über 400 m – und die Finnin Viivi Lehikonen – die in Eugene Landesrekord über 400 m Hürden lief – hat er unter seine Fittiche genommen.
Inzwischen ist das Training beendet. Ein Schwerpunkt waren Stabwechsel mit der Staffel. Meuwly forciert bei seinen Übungen den Teamgedanken. Holland hat in München Medaillenchancen in allen Staffel-Disziplinen. Der Schweizer Coach tauscht sich aus mit Arno Mul, dem Cheftrainer der holländischen Para-Leichtathletik. Der Physiotherapeut knetet die Beinmuskulatur von Ajla Del Ponte. Femke Bol räumt die Hürden ab. Die Sportlerinnen und Sportler gehen und rollen gemeinsam zum Mittagessen. Fast wie eine grosse Familie.