Leichtathletik
Lars Pissoke soll der 4x100-m-Staffel um Gugerli und Co. Beine machen

Lars Pissoke ist der neue Trainer der von Limmattalern geprägten Staffel über 4x100 m. Mit ihm soll das ehemalige Aushängeschild der Schweizer Leichtathletik an der EM in Zürich wieder auf die Erfolgsstrasse zurückkehren.

Raphael Biermayr
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Lars Pissoke (hier in Baden) lief früher selbst für die Nationalstaffel.bier

Lars Pissoke (hier in Baden) lief früher selbst für die Nationalstaffel.bier

Raphael Biermayr

Als Psychologe sieht Lars Pissoke sich nicht. «Das wäre zu extrem ausgedrückt. Ich würde es eher Motivator nennen.» Der 37-jährige Badener ist als neuer Trainer der Staffel über 4 x 100 Meter vor allem eines: Nothelfer. Die Staffel wurde über Jahre hinweg vom nationalen Verband Swiss Athletics aufgebaut. Nach dem Zuschlag für die EM 2014 in Zürich sollte das Sprinterquartett deren Flaggschiff sein. 2010 lief die Staffel an den Europameisterschaften in Barcelona auf den vierten Platz. Träumen von einer Medaille im Letzigrund war plötzlich erlaubt.

Von der Frauenstaffel überholt

Im vergangenen Jahr geriet das Erfolgsprojekt jäh ins Stocken. Verletzungen, Verzichtserklärungen und Formtiefs führten dazu, dass die Schweizer Saisonbestzeit nicht von der Aktiv-, sondern von einer Junioren-Staffel aufgestellt wurde. Der Verband verzichtete in der Folge darauf, die bereits qualifizierte Staffel für die WM in Moskau zu selektionieren. Das neue Aushängeschild ist die Frauenstaffel, deren Mitglieder ihre Topleistungen zum besten Zeitpunkt abriefen und in Russland einen neuen Schweizer Rekord aufstellten.

Staffeln sind Mannschaften. Im Misserfolgsfall greifen dieselben Mechanismen wie in klassischen Teamsportarten: Der Trainer muss gehen. Lucio di Tizio, der das Projekt Männerstaffel während fast zehn Jahren vorangetrieben hatte, wurde in den Nachwuchs versetzt. An seine Stelle ist der vormalige U18-Staffeltrainer Lars Pissoke getreten, der darüber hinaus in der LV Wettingen-Baden sowie im Aargauer Kantonalverband die Sprinter trainiert.

Harmonie steht im Vordergrund

Bei dieser Beförderung überraschten Zeitpunkt und Personalie gleichermassen. Peter Haas, Chef Leistungssport von Swiss Athletics, erklärt: «Wir hatten Lars seit langem im Auge als ein Trainer mit Potenzial für mehr. Jetzt ging es halt sehr schnell.» Auf die Gründe für den Wechsel angesprochen, nennt Haas mehrmals einen: «Ruhe in das Team bringen.» Der Verantwortliche führt das nicht weiter aus. Die aus beiderseitiger Impulsivität entstandenen Reibereien zwischen Trainer di Tizio und den Athleten sind ohnehin bekannt.

Schon 2008 erzählte der Oetwiler Marco Cribari davon, als er mit der Staffel den 30 Jahre alten Schweizer Rekord knackte. Damals bewertete man die fliegenden Späne durchaus als Grund für den Erfolg. Nun steht die Harmonie an oberster Stelle. «Die Staffel ist nicht gerade einfach zu führen, normalerweise sind die Läufer Konkurrenten», hält Peter Haas fest. Kommt dazu, dass sich der Verband angesichts der einzigartigen Möglichkeit einer Heim-EM keinen Vorwurf machen will: «Wir wollen alles Erdenkliche dafür tun, dass die Staffel in Zürich ihr Ziel erreicht.»

Für Medaille auf Glück angewiesen

Dieses Ziel ist – die Qualifikation vorausgesetzt – ein Platz im Final der besten acht. Pissoke weiss, dass er daran gemessen wird. Er glaubt an einen Platz unter den ersten fünf, «mit sehr viel Glück liegt vielleicht sogar eine Medaille drin». Der ehemalige Nationalstaffelläufer hat die aktuelle Ausgabe in einem «völlig heterogenen Zustand» angetroffen. «Zu meiner Zeit sind wir manchmal zusammen in den Ausgang, haben den Teamgeist gepflegt. Heute gibt es Athleten, die es nach Möglichkeit vermeiden, miteinander zu reden.»

Als früherer Handballer im TV Endingen sei ihm der Mannschaftsgedanke nie schwergefallen. Den will er auch den heutigen Mitgliedern einimpfen: «In Sprintern steckt immer eine Portion Diva, gewisse haben Starallüren. Meine Aufgabe ist, sie auf den Boden zurückzuholen und ihnen aufzuzeigen, dass sie mit Staffel grössere Chance auf eine Topplatzierung haben, denn als Einzelstarter.»

Gugerli: «Holen uns den guten Ruf wieder»

Seine Wahrnehmung des internen Zustands kontrastiert mit derjenigen von Steven Gugerli. Der Urdorfer war in der vergangenen Saison Captain der Staffel, der auch der Dietiker Rolf Malcolm Fongué angehörte. Gugerli sagt: «Wir verstehen uns gut untereinander und wissen selbst, worum es geht.» Das ausgeprägte Ego der Sprinter will sich Pissoke zunutze machen: Dass die Frauenstaffel das offizielle EM-Plakat ziert, schmeckt einigen Männern nicht. «Ich habe ihnen gesagt, dass eigentlich sie auf diesem Plakat sein sollten und sich diesen Status mit schnellen Zeiten zurückzuholen sollen», erklärt der neue Trainer, der damit bei Steven Gugerli auf offene Ohren stösst. «Wir holen uns den guten Ruf wieder», sagt der Sprinter.

Hat Pissoke schon Gedankenspiele angestellt, wer im Letzigrund laufen wird? «Ich habe mir anhand der Bestenliste der letzten Saison natürlich Gedanken gemacht. Zwei laufen vornweg (der Basler Alex Wilson sowie der Dietiker Amaru Schenkel, Anm. d. Red.). Wenn sie ihre Leistung weiterhin bringen, sind sie praktisch gesetzt. Auf den weiteren Positionen ist alles offen, vielleicht stösst ein Junger nach.»

Schneebergers Comeback?

Vielleicht aber auch ein Alter: Pissoke macht kein Geheimnis aus seiner Verbundenheit mit dem Berner Routinier Marc Schneeberger, mit dem er einst selbst noch in der Staffel lief, und der der Rekord-Auswahl von 2008 angehörte (wie auch Schenkel). «Ein sehr erfahrener Läufer wie Marc ist immer von Vorteil, denn er bringt Ruhe und Stabilität ins Team», sagt Pissoke. Über die Selektion der Athleten entscheidet zwar eine entsprechende Verbandskommission. Doch gemäss Peter Haas würden dem Neuen «die vollen Kompetenzen» eingeräumt, wie die Staffel aussehen wird.

Pissokes Mandat läuft – unabhängig vom Erfolg – aus beruflichen Gründen nur bis Ende August. Ob der Personalberater später gegebenenfalls ganz auf die Leichtathletik setzen wird, lässt er offen. Aus seiner Sicht beinhalte die aktuelle Aufgabe kein Risiko, sondern sie sei eine Chance, die es wahrzunehmen gelte.