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Gilbert Gress, einst glorreicher Retter beim FC Zürich und beim FC Aarau, staunt über die kuriosen Vorgänge beim abstiegsbedrohten FCZ.
Eine blaue taillierte Lederjacke. Teure Schuhe. Zweimal streicht er sich mit der Hand durchs Haar, ehe wir das Café in Strassburg betreten. Bevor der Kaffee serviert wird, sagt Gilbert Gress: «Wissen Sie, warum es bei meinen ehemaligen Klubs nicht gut läuft? Weil ich nicht mehr dabei bin.» Es ist nicht das letzte Mal, dass wir herzhaft lachen.
Stuttgart, wo Gress als Spieler Spuren hinterlassen hat, ist in die 2. Bundesliga abgestiegen. Sein Heimatklub Strassburg, den er als Trainer 1979 zum Titel geführt hat, gurkt in der 3. Liga. Xamax, neben Strassburg seine zweite grosse Liebe, ist im Kampf um den Aufstieg in die Super League chancenlos. Ebenso wie der FC Aarau, wo Gress 2007 als Feuerwehrmann den Abstieg verhindert hat. Und da ist noch der FC Zürich. Auch dort wurde er im Jahr 2000 geholt, um das Feuer zu löschen. Es gelang. Gress schaffte den Klassenerhalt und gewann obendrauf noch den Cupfinal gegen Lausanne.
Vielleicht hoffte der 74-Jährige jüngst auf einen Hilferuf aus Zürich, als nach Urs Meier auch Sami Hyypiä entlassen wurde. Es blieb aber bei einem Anruf eines Freundes: «Gilbert, noch drei Spiele. Wie damals in Aarau. Die werden dich bestimmt anrufen.» Doch für FCZ-Präsident Ancillo Canepa kommt nur ein Mann als Retter infrage: Uli Forte.
Das erste Training von Uli Forte alles FCZ-Trainer:
«Mein Leben für den Fussball» lautet der Titel der Biografie von Gilbert Gress. Doch der Fussball braucht ihn offenbar nicht mehr. Die Abteilung Sport des Schweizer Fernsehens hat den Elsässer schon vor einem Jahr als Fussballexperten abgesägt. Nicht mal für die EM in Frankreich findet sie Verwendung für ihn. Und als Trainer ist er seit einem 2-Spiele-Intermezzo in Strassburg 2009 nicht mehr gefragt.
Der FC Basel steht längst als Meister fest. Hochspannung herrscht dafür im Abstiegskampf. In der zweitletzten Runde könnte es den FC Zürich bereits erwischen. Wenn nämlich Lugano in Vaduz gewinnt und der FCZ gleichzeitig sein Auswärtsspiel in Sion verliert, stehen die Stadtzürcher als Absteiger fest. Ansonsten fällt die Entscheidung erst in der letzten Runde.
Enttäuscht? «Nein. Meine Frau sagt: Sei bloss froh, dass du nicht mehr Trainer bist. Diese Hektik. Spieler, Manager, Transfers, alles immer im maximalen Tempo.» Nur: Seine Frau hat ihm einst auch geraten, das Angebot aus Dortmund anzunehmen. Doch Gress lehnte ab und ging sein zweites Trainer-Engagement in Strassburg ein. Dortmund verpflichtete stattdessen Ottmar Hitzfeld und gewann mit ihm 1997 die Champions League.
Aus dem Trainer Gress ist in den letzten Jahren der Unterhalter Gress geworden. «Der Match», «Die grössten Schweizer Talente», ein Song mit DJ Sir Colin «Olé Gilbert Gress», dazu diverse Werbeauftritte. Gress hält für vieles hin, solange man ihm mit Respekt begegnet.«Trotz sehr guten Quoten wird nächstesJahr leider keine weitere Staffel von ‹Die grössten Schweizer Talente› produziert», sagt Gress. «Ich glaube, die Fernsehleute befürchten, dass es nicht genügend Talente gibt.» Untätig ist er deswegen nicht. «Mein nächstes Projekt? In Andermatt. Da muss ich für eine Sendung von Sat 1 kochen, glaube ich. Gegen Marco Streller oder sonst jemanden. Ich weiss es nicht mehr so genau. Die Sendung heisst irgendetwas mit Fisch.» Aber Sie können doch nicht mal ein Ei kochen? «Blamieren will ich mich nicht. Egal, wer mein Gegner ist, er muss kämpfen. Das heisst nicht, dass ich jetzt einen Kochkurs besuchen werde. Die Leute vom Fernsehen haben gesagt, es sei kein Problem, ich würde es schon schaffen.»
Zeit, Musse und Lust hätte Gilbert Gress aber schon, in den Schoss des Fussballs zurückzukehren. Und natürlich ist da die Überzeugung, dass er es als Trainer noch immer kann. Wie damals beim FC Zürich, im Jahr 2000. Nach sechs Spielen in der Abstiegsrunde und einem 1:2 gegen Baden wird Raimondo Ponte entlassen. Die Zürcher liegen auf einem Abstiegsplatz. Gress kommt, schafft den Turnaround und beschert dem FCZ mit dem Cupsieg den ersten Titel nach 19 erfolglosen Jahren.
Oder in Aarau. «Es gibt im Schweizer Fussball zwei Wunder. Das Wunder von Bern 1954. Und das Wunder von Aarau 2007», sagt Gress. Drei Runden vor Schluss liegen die Aarauer auf dem letzten Platz, drei Punkte hinter Schaffhausen. Gress kommt, Aarau verliert nicht mehr, überholt Schaffhausen und sichert sich mit zwei Siegen in der Barrage gegen die AC Bellinzona mit Trainer Vladimir Petkovic den Klassenerhalt. Trotzdem wird das Engagement nicht verlängert. Zu teuer sei Gress, begründete die damalige Klubführung. «Dabei haben wir gar nie über Geld geredet», sagt Gress.
Die FCZ-Krise in Bildern:
Zurück zum ausgebliebenen Anruf aus Zürich. Gress hat keinen Einblick ins Innenleben. Aus der Distanz wundert er sich aber schon über gewisse Vorgänge. «Stimmt die Geschichte, dass Hyypiä erst zwei Wochen nach seiner Ernennung zum Trainer die Arbeit aufgenommen hat?» «Ja.» Gress schüttelt den Kopf. «Und der neue Trainer, Uli Forte, was macht der?», fragt Gress. «Er will die Blockade bei den Spielern lösen. Er will ihnen die Angst nehmen. Er will sie auf andere, positive Gedanken bringen. Auch deshalb ist er erst mal mit den Spielern Gokart fahren gegangen.» «Gokart? Was ist das?» «Diese kleinen Rennwagen.» Gress: «Ich will nichts gegen Forte sagen: Aber Kopf freikriegen, Angst nehmen – wo sind wir denn? Die Spieler müssen trainieren, nicht Gokart fahren. Fussballprofi ist der schönste Beruf der Welt. Wenn man gut arbeitet, kriegt man sogar Beifall. Und wer Angst hat, soll den Beruf wechseln.»