Noten, Stress, Zukunftsangst: Im Klassenzimmer kommt es häufiger zu Streit – nun reagieren die Lehrer.
Heute enden Schulkonflikte des Öfteren vor Gericht. Im Kanton Zürich klagten kürzlich Eltern eines 6.-Klässlers gegen die Benotung eines Aufsatzes. Der Schüler hatte durch die schlechte Note 2 die Aufnahme ans Langzeitgymnasium verpasst. Zu viel für die Eltern, die ihren Sohn unbedingt an der Mittelschule sehen wollten. Letztlich gab das Gericht ihnen teilweise Recht: Der Aufsatz muss nun neu bewertet werden.
Juristische Auseinandersetzungen sind nur der Höhepunkt einer längeren Entwicklung. In den vergangenen Jahren haben Konflikte in den Klassenzimmern deutlich zugenommen. «Eltern streiten sich heute schneller mit Lehrern als noch vor zehn Jahren», sagt Jürg Brühlmann, Bildungsexperte des Lehrerverbands. «Durch die Wirtschaftskrise 2008 und die digitale Entwicklung fürchten viele um die Zukunft ihrer Kinder», sagt er.
Einerseits seien die Eltern anspruchsvoller geworden, andererseits hätten sie weniger Hemmungen, ihrem Unmut freien Lauf zu lassen. «Lehrer galten früher als Respektspersonen, heute müssen sie sich öfter rechtfertigen.» Besonders junge Lehrkräfte müssten sich einiges anhören. Eltern schreien auf, wenn ihr Kind nicht fürs Gymnasium empfohlen wird, sie feilschen um bessere Noten, sie kritisieren die Hausaufgaben. Auf der anderen Seite fühlen sich viele Väter und Mütter missverstanden und sehen ihren Nachwuchs unfair behandelt.
Der Schweizer Lehrerverband hat deshalb reagiert und ein neues Positionspapier für die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Eltern erarbeitet. Darin stellt der Verband
sechs Forderungen. Zentral ist die Gründung einer unabhängigen Ombudsstelle, damit Konflikte nicht eskalieren und vor Gericht enden. Früher hätten Schulinspektoren die Rolle des Vermittlers übernommen, sagt Brühlmann, doch diese Position gebe es vielerorts nicht mehr.
Eine weitere Forderung betrifft die Ausbildung: Die Pädagogischen Hochschulen müssten künftig die Kommunikation mit Eltern als zentrales Element in die Ausbildung aufnehmen – und später weiterführen. So heisst es im Positionspapier: «Beim Berufseinstieg erhalten Lehrpersonen durch die Schulleitung und Mentoren ausreichend Unterstützung.»
Bernard Gertsch, Präsident des Schulleiterverbands, begrüsst den Vorstoss. Die Schulleiter würden bei Konflikten schon heute als Moderator auftreten, sagt er. Wenn sie sich aber auf die Seite des Lehrers stellten, hätten Eltern schnell das Gefühl, einer Übermacht gegenüberzustehen. Dann würden manche mit juristischen Schritten drohen. Gertsch nennt ähnliche Ursachen der Entwicklung: «Durch den technischen Fortschritt wird es in 20 Jahren viele Berufe in der heutigen Form nicht mehr geben», sagt er. Das bereitet Eltern Sorgen – und lässt das Vertrauen in die Lehrer sinken.
Studien belegen den Trend. In der grossen Umfrage «Global Teacher Status Index 2013» einer britischen Non-Profit-Organisation wurde in 21 Ländern das Ansehen von Lehrern analysiert – die Schweiz landete auf Platz 15. Schweizer Schüler haben demnach wenig Respekt vor ihren Lehrern. Das gilt auch für Eltern, denn die hiesige Bevölkerung glaubt laut Studie, dass viele Lehrer keinen guten Job machen.
Das Positionspapier des Lehrerverbands will das Zusammenspiel mit den Eltern nun verbessern. Doch das ist nur der Anfang. Zurzeit arbeitet der Verband an einem
30-seitigen Leitfaden, der Fallbeispiele und passende Lösungen beinhaltet. Er soll im Herbst präsentiert werden.