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Durch die Hornkuh-Initiative rückt ein Organ ins Zentrum, das Esoteriker und Wissenschaftler gleichermassen fasziniert. Ein paar Fakten:
Ein behorntes Rindvieh Auge in Auge neben dem neugeborenen Kind – das mag abstrus klingen. Doch genau dies zeigen früheste Krippenbilder. Das älteste stammt aus dem 4. Jahrhundert, zu sehen in den vatikanischen Museen auf dem Sarkophag der römischen Kaisergattin Crispina. Erstaunlich: Maria und Josef sind im Hintergrund, der behornte Ochse steht mit dem Esel direkt an der Krippe. «Es scheint, als ob das Christenvolk sich damals vor horntragenden Ochsen nicht fürchtete», sagt der deutsche Kuhforscher und Demeter-Experte Ulrich Mück.
Kuhhörner sind schön – dies ist die Sicht des Menschen. Aus der Sicht von Rind, Kuh und Stier jedoch ist das Horn weit mehr. So kratzt sich die Kuh damit an Stellen, an die sie sonst nicht hinkommt. Kühe «reden» mit den Hörnern auch miteinander. Vom leichten Anstupsen über den unsanften Hornstoss bis hin zu einer Kopfbewegung, ohne die Nachbarin zu berühren. Auch beim Ermitteln der Rangordnung spielt das Horn eine zentrale Rolle.
Hörner verraten ebenfalls, wie oft eine Kuh gekalbt hat. Ähnlich einem Jahrring des Baumes hinterlässt jede Geburt eine Art Ring am Horn. Und das Horn verhilft der Kuh sozusagen zu einem kühlen Kopf. Sie leitet über die Hörner überschüssige Wärme ab und schützt so vor allem das Gehirn.
Das Hauptargument für dieses Verdikt sind Unfälle, die zwischen Tieren sowie zwischen Tier und Mensch passieren können. Allerdings gibt es keine wissenschaftlichen Untersuchungen, die zeigen, dass horntragendes Rindvieh gefährlicher ist. Hingegen beweisen mehrere Studien: je sorgsamer, freundlicher und besser die Mensch-Tier-Beziehung ist, je angepasster Haltung und Management sind, desto weniger Auseinandersetzungen und Schäden gibt es.
Claudia Spadavecchia, Tierärztin und Professorin an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern, wollte wissen, wie lange Kälber nach der Enthornung leiden. Sie und ihr Team haben dazu eine zweiteilige Studie gemacht. Zum ersten Teil, der im März publiziert worden ist, sagt Spadavecchia: «Bei einem Drittel der enthornten Kälber sahen wir nach drei Wochen noch immer eine Überempfindlichkeit.» Bisher glaubte man, dass die Schmerzen rund um die ausgebrannten Hornknospen lediglich zwei, drei Tage anhalten würden.
Der zweite Teil ist die weltweit erste Langzeitstudie zum Enthornungsschmerz. So waren bei einem beträchtlichen Teil der Kälber selbst nach drei Monaten noch Überempfindlichkeiten feststellbar. Die Ergebnisse sind wissenschaftlich zwar noch nicht verifiziert. Wird dies jedoch einmal der Fall sein, ist davon auszugehen, dass das Leiden länger dauert als die untersuchten 90 Tage.
Der Schweizer Tierschutz (STS) hat das Bundesamt für Landwirtschaft und Lebensmittelsicherheit bereits mehrmals um eine Fortsetzung der Studie gebeten. Doch ohne Erfolg, so STS-Geschäftsführer Hans-Ulrich Huber. Er fordert: «Sollte der Schmerz lebenslänglich anhalten, müsste man über ein Enthornungsverbot nachdenken.» Huber mutmasst zudem, dass das BLV keine längere Studie finanzierte, könnte politisch motiviert sein.
Ganz ohne Spekulationen kommt man bei diesem heiss umstrittenen Thema also nicht mal an Fakten.