Ukraine-Krieg
Gegen Atombomben, gegen den Krieg – erleben die Ostermärsche eine Auferstehung?

Für die Friedensbewegung hatte der christliche Feiertag einst grosse Bedeutung. Und jetzt? Die Hoffnung ruhen auch auf der Klimajugend.

Pascal Ritter
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Der Basler Ostermarschs 1983: die atomare Aufrüstung der Nato in Europa führte zu grossen Protesten auch in der Schweiz

Der Basler Ostermarschs 1983: die atomare Aufrüstung der Nato in Europa führte zu grossen Protesten auch in der Schweiz

Die traditionellen Osterfriedensmärsche wurden in den vergangenen Jahren kaum mehr beachtet. Am Ostermontag ist nun ein Marsch in Bern und einer in Bregenz angekündigt, wo österreichische, deutsche und Schweizer Pazifisten zusammen auf die Strasse gehen werden. Gewinnen diese Märsche mit dem Ukraine-Krieg wieder an Kraft?

Ruedi Tobler ist so etwas wie das historische Gedächtnis der hiesigen Friedensbewegung. Der 75-Jährige war zunächst Sekretär und ist heute Präsident des Friedensrates, welcher sich seit 1945 für den Frieden und für eine aktive Rolle der Schweiz in den Vereinten Nationen einsetzt. Tobler mag für Montag keine Prognose abgeben: «Ich bin gespannt, wie viele Leute kommen. Der Krieg in der Ukraine könnte der Mobilisierung einen Schub geben, er könnte aber auch das Gegenteil bewirken.» Das Gefühl, Putin nicht aufhalten zu können, könne auch zu Resignation führen, sagt Tobler.

Etwas optimistischer äussert sich Josef Lang, längjähriger Exponent der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GsoA) und ehemaliger Nationalrat. «Die bisherigen Demonstrationen gegen den Ukraine-Krieg zeigten, dass sich auch die Klimabewegung beteiligt.» Dies gebe dem Antikriegsprotest Schub, sagt er.

Friedensbewegung hatte Putin nicht auf dem Radar

Der Krieg in der Ukraine kam auch für die Aktivisten mit einem feinen Sensorium für Kriegsgefahr unerwartet. Auf dem Flyer für den Ostermarsch in Bregenz, der schon seit Anfang Jahr kursiert, geht es um «Klima, Gerechtigkeit und Frieden». Auf dem Bild sind Regenbogenfahnen mit der Aufschrift «Pace» zu sehen. Die blaugelbe Fahne oder das Wort «Ukraine» fehlen. «Ich muss sagen, ich hätte das Putin nicht zugetraut», räumt Ruedi Tobler ein. «Wir hielten einen Krieg zwischen Ost und West in Europa für unwahrscheinlich. Da haben wir uns genauso getäuscht, wie die meisten Militärstrategen», sagt er. Selbstverständlich werde trotz veraltetem Flyer die Ukraine im Zentrum stehen.

Ruedi Tobler, Präsident, Schweizerischer Friedensrat ist so etwas wie das historische Gedächtnis der Bewegung.

Ruedi Tobler, Präsident, Schweizerischer Friedensrat ist so etwas wie das historische Gedächtnis der Bewegung.

Bild: Michael Genova

Toblers erlebte Höhen und Tiefen der Bewegung, seit er 1963 beim ersten Ostermarsch dabei war. Der Marsch führte von Lausanne nach Genf und richtete sich gegen die Pläne des Bundesrates, Atomwaffen zu beschaffen. Tobler erinnert sich daran, dass es ihm damals im Alter von 16 Jahren viel mehr um die Reise nach Genf ging, als sein Vater ihm anbot, die Zugfahrt nach Lausanne zu bezahlen. Der Austausch mit Aktivisten auf der langen Wanderung habe ihn erst politisiert. Zeitpunkt und Ort des ersten Ostermarsches sagen viel über die damalige Zeit aus. Die Westschweiz wurde gewählt, weil die Rüstungsgegner sich dort mehr Unterstützung erhofften. Erst später wagten sie sich in die Deutschschweiz. Auch was den Zeitpunkt betrifft, blieb die Bewegung vorsichtig. Schon 1958 marschierten britische Rüstungsgegner zu Ostern von London zu einem Nuklearforschungszentrum in Aldermaston. In Deutschland fanden die ersten Ostermärsche 1960 statt. Schweizer Rüstungsgegner warteten die Abstimmung über ein Verbot von Atomwaffen im Jahr 1962 ab. Ein Teil der Bewegung befürchtete, ein Strassenprotest könnte potenzielle Befürworter abschrecken.

Die Zurückhaltung nutzte nichts. Auch eine weitere Vorlage, die Atomwaffenkäufe einem Referendum unterstellen sollte, scheiterte 1963. Der Protest gegen Atomwaffen ist zentral in der Geschichte der Ostermärsche. Nachdem die Schweiz 1969 im Atomwaffensperrvertrag offiziell auf eine eigene Bewaffnung verzichtete, fanden denn auch kaum noch solche Märsche statt.

Marschiert wird an Ostermärschen kaum noch

Der Beschluss der Nato von 1979, in Europa atomare Mittelstreckenraketen zu stationieren, brachte das Thema zurück ins Bewusstsein der Menschen. Als Teil einer europaweiten Bewegung demonstrierten im Jahr 1981 zwischen 30000 und 40000 Menschen in Bern gegen das Wettrüsten. Im Jahr darauf trafen sich Friedensaktivisten aus der Schweiz, Deutschland und Österreich in der Region Basel zum Ostermarsch, der ab dann ein Jahrzehnt lang jährlich stattfand.

Ab 1988 gab es sogar zwei Märsche mit Schweizer Beteiligung. Tobler nennt Meinungsunterschiede im Umgang mit Friedensinitiativen, die sich nicht mit oppositionellen Gruppen in der Sowjetunion solidarisieren wollten, als Auslöser für einen zweiten Dreiländermarsch.

Im Jahr 2011 fanden Ostermarsch-Veranstaltungen in Basel, am Bodensee und in Bern statt, wo sich in den Nullerjahren ebenfalls ein Osterprotest etablierte. Allerdings kann kaum noch von «Märschen» gesprochen werden. In den 1960er-Jahren wurde noch tagelang gewandert und dabei, echte Strecken zurückgelegt. 1965 führte der Marsch von Olten nach Basel, im Jahr darauf von Schaffhausen nach Zürich. Heute entsprechen die «Märsche» meist der Länge von gewöhnlichen Demonstrationen. «Heute muss man das Marschelement gegenüber den Jungen fast verteidigen», sagt Tobler.