Die Schweiz diskutiert wieder einmal über eine Zuwanderungsinitiative. Warum man vor der 9-Millionen-Schweiz keine Angst haben muss.
Wer am 7. Februar «Zischtigsclub» geschaut hat und Zeitung liest, weiss: Jeweils auf die Wahlen hin herrscht Überbevölkerung. Die neunzehnte (!) Zuwanderungsinitiative seit 1968 wird vorbereitet. Ich erinnere mich gut an die ersten Abstimmungen, 1974 wollte James Schwarzenbach gar eine halbe Million Italiener, Portugiesen und Spanierinnen nach Hause schicken; also jene, die in den Baustellen, Küchen und Spitälern die Hochkonjunktur erst ermöglichten. Ich war damals Bauernstift in der Romandie und ergänzte die Plakate mit einem deutlichen «Non».
Das Gute an der ewigen Repetition: Kein Land ist derart routiniert im Umgang mit der Migrationsdebatte wie die Schweiz. Alle Sorgen, Ängste und Fakten kommen fortlaufend auf den Tisch, und meistens entscheidet sich die Mehrheit für Besonnenheit. Das imprägniert gegen Frustrationsexzesse.
Wenn es denn mal anders kommt, wie bei der äusserst knappen Annahme der Masseneinwanderungsinitiative 2014 (mit 50,3%), hat das Gründe. Die Behörden, Wirtschaft, Gewerkschaften, Forschung und Gegnerparteien hatten schlicht ihren Job nicht gemacht. Sie beliessen es bei den bekannten Parolen und Apfelbaum-Plakaten. Erst nach der Niederlage reiste der Bundesrat ins Tessin, um die Grenzgängerproblematik vor Ort zu diskutieren. Und auch die Uni-Rektorate äusserten ihre Sorgen um die Forschungskooperationen erst im Nachhinein.
Leistungsverweigerung wird in der direkten Demokratie abgestraft.
Die Analysen zeigen stets das bekannte Bild: Je ländlicher und gesellschaftlich homogener der Raum, desto grösser ist die Zustimmung zu Begrenzungsinitiativen. Und umgekehrt werden sie dort abgelehnt, wo die Bevölkerungsdichte und Ausländeranteile gross sind. Der persönliche Abstimmungsentscheid spiegelt die Ängste zu Änderungen überhaupt und zu übergeordneten Entwicklungen wie die Globalisierung. Besonders stark ist die Zustimmung in jenen Tälern, die von Überalterung und Abwanderung betroffenen sind.
Das wissen die Parteistrategen natürlich, es geht bei den Initiativen ja um die Mobilisierung. Und wenn die Gegnerinnen ihre Aufklärungsarbeit leisten, gibt es eine weiterführende Debatte zum Dauerthema Migration – angereichert mit angeblichem Dichtestress und ökologischen Bezügen.
Doch wie sehen die Fakten aus?
Der Aufhänger für die aktuelle Debatte ist die sogenannte 9-Millionen-Schweiz. Dank der erfreulich steigenden Lebenserwartung auf Weltrekord-höhen wird dieser Wert erreicht werden. Nicht aber wegen der Kinderzahl oder Migration. Die Schweiz wächst nur noch bei der Altersgruppe der Rentner und Betagten. Seit 1970 ist die natürliche Bevölkerungsentwicklung negativ, es werden weniger Kinder geboren als für die Erhaltung nötig wären. Seit fünf Jahren nimmt trotz Migration auch die Bevölkerungsgruppe der Berufstätigen ab, die geburtenstarken Jahrgänge der Boom-Zeit gehen in Rente.
Die Migrationsbilanz mit einstigen Herkunftsländern wie Portugal ist inzwischen negativ; die südeuropäischen Länder verlieren wegen der geringen Kinderzahl rasant an Bevölkerung und holen ihre Landsleute zurück. Europa insgesamt schrumpft, es gedeiht demografisch noch auf den zwei Wirtschaftsachsen Barcelona–Wien und Milano–Amsterdam – mit der Schweiz, Baden-Württemberg und Vorarlberg im Fadenkreuz. Bei uns und in allen Konkurrenz-Standorten herrscht akuter Fachkräftemangel. Auch die 380’000 Grenzgänger können den Mangel nicht ausgleichen. Und obwohl fast jede zweite Heirat binational ist, schrumpft auch die Altersgruppe der jungen Erwachsenen.
Es ist dringend nötig, das Bevölkerungspotenzial besser zu pflegen. Rund ein Drittel ist beruflich nicht aktiv. Die Defizite und Fehlanreize im Bildungswesen, in der Frühförderung, Kinderbetreuung, Sozialhilfe, Besteuerung, Zweiten Säule und die Zwangspensionierung auf ein fixes Alter hin machen das Arbeitsleben namentlich für Mütter und fitte Senioren unattraktiv oder gar unmöglich. Zudem müssen die Berufslehre aufgewertet und der Zugang zur Arbeitswelt von bürokratischen Hürden befreit werden. In Holland finden die Ukrainer dreimal schneller Arbeit als bei uns.
Diesen enormen Reformstau gilt es anzupacken. Mit flexiblen, lebensgerechten Lösungen.
*Thomas Kessler ist Mitglied des publizistischen Ausschusses von CH Media, beruflich spezialisiert auf Sicherheitsfragen, Migration und Integration
Es könnte ja sein, dass der Fachkräftemangel nur entstanden ist, weill wir eben zuviele Nichtfachkräfte, die aber Fachkräfte brauchen, in unser Land gelassen haben. Tatsache ist aber auch, dass die Schweiz den höchsten prozentualen Auslanderanteil in Europa hat und dass jeder Zuwachs eben volkswirtschaftlich nichts bringt, aussen den Unternehmern und Spekulanten.
Qualitatives Wachstum wäre angebracht, heisst das BIP pro Kopf steigt. Heute haben wir quantitatives Wachstum, heisst das BIP pro Kopf bleibt gleich, es sind einfach mehr Köpfe, die arbeiten. Und das bringt nichts.