Fall Günther Tschanun
«Keine Kommentar», dafür gibts die Originalakten für 100 Franken pro Stunde - Die Medien-Paranoia der Zürcher Justiz

Der Vierfachmörder Günther Tschanun wurde mit irritierendem Aufwand geschützt. Noch heute Mauern die Behörden, wenn es um ihn geht. Ein Kommentar.

Pascal Ritter
Pascal Ritter
Drucken
Güther Tschanun, ehemaliger Chef der Zürcher Baupolizei, steigt im August 1990 vor dem Obergericht aus einem vergitterten Polizeiauto. Tschanun erschoss am 16. April 1986 an seinem Arbeitsplatz im Hochbauamt vier seiner Mitarbeiter und verletzte einen weiteren schwer.

Güther Tschanun, ehemaliger Chef der Zürcher Baupolizei, steigt im August 1990 vor dem Obergericht aus einem vergitterten Polizeiauto. Tschanun erschoss am 16. April 1986 an seinem Arbeitsplatz im Hochbauamt vier seiner Mitarbeiter und verletzte einen weiteren schwer.

Keystone

Eines kann man der Zürcher Justiz im Fall Günther Tschanun nicht vorwerfen: fehlende Konsequenz. Über den Tod des Vierfachmörders hinaus schweigt sie zu seinem Leben nach Verbüssen der Strafe und zur Rolle des Staates beim Ermöglichen seiner neuen Existenz. Von amtlicher Seite gibt es keinen Kommentar. Akteneinsicht gewährte die Zürcher Justizdirektion erst nach einer gerichtlichen Aus­einandersetzung mit der «SonntagsZeitung».

Regierungsrätin Jacqueline Fehr (SP) lässt ausrichten, dass ihre Direktion selbstverständlich beim Bemühen um den bestmöglichen Justizvollzug aus den Erfahrungen der Vergangenheit lerne. Als amtierende Justizdirektorin wolle sie die Arbeit ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger aber nicht öffentlich kommentieren.

Der damals zuständige Regierungsrat Markus Notter (SP) wiederum möchte ohne erneutes Studium der Akten, die nun doch schon um die zwanzig Jahre alt sind, nichts sagen. Die Bewertung, ob sich der enorme Aufwand, der betrieben wurde, um den Vierfachmörder nach Verbüssen seiner Strafe von der Öffentlichkeit abzuschirmen, gelohnt habe, überlässt er anderen.

Resozialisierung offensichtlich erfolgreich

Die Akten sind nun gegen eine Gebühr von 100 Franken pro Stunde einsehbar. Sie zeigen, wie gross die Paranoia der Justizbeamten vor den Medien war. Sie fürchteten, dass Tschanun wieder ausrasten könnte, wenn ihn Journalisten behelligten. Also organisierten sie ein aufwendiges und zum Teil verstörend anmutendes Versteckspiel.

Mit Erfolg: Tschanun lebte unter dem Namen Claudio Trentinaglia ein Leben als Gärtner und Hüttenwart im Tessin. Im Rückblick sagen Menschen, die ihn ausschliesslich unter dem neuen Namen kannten, nur Gutes über ihn. Die Resozialisierung war offensichtlich erfolgreich.

Muss man das konspirative Vorgehen und die Rundumbetreuung, die unbescholtenen Bürgern verwehrt bleibt, also gutheissen? Die Antwort darauf ist nicht einfach. Es ist möglich, dass Tschanun eine derartige Ausnahmeerscheinung war, dass für ihn ein Sondersetting nötig war. Zudem war es billiger als Gefängnis.

Es gibt aber auch ein Beispiel, wo es ohne Geheimniskrämerei ging. Jahrhundertbankräuber Hugo Portmann begann nach Verbüssen von insgesamt 35 Haftjahren ein neues Leben als Güselmann mitten in der Stadt Zürich. Er sprach bei Tele Züri und «Blick». Seither ist es ruhig um ihn geworden.