Startseite
Schweiz
Ein mathematisches Modell prognostiziert die Epidemie. Nun mussten es die Forscher korrigieren. Ihre Annahmen waren zu optimistisch.
Selbst wenn die Schweiz so starke Massnahmen wie China, Südkorea oder Italien ergreifen würde, könnten hierzulande mehrere tausend Personen an den Folgen der Lungenkrankheit Covid-19 sterben. Ende Juni könnten es 3700 sein und Ende August 5300.
Dieses Szenario stellt Richard Neher auf. Er ist Professor für Computermodelle von biologischen Prozessen am Biozentrum der Universität Basel. Er hat einen Preis für «Open Science» gewonnen, weil er seine Modelle als Online-Tools frei zugänglich macht.
Mit seinem Team hat er eine Applikation entwickelt, welche den Verlauf der Corona-Pandemie prognostiziert. Man kann ein Land und sogar einzelne Kantone anwählen und die Auswirkungen von unterschiedlich starken Massnahmen darstellen lassen.
Das Programm ist mit einem Warnhinweis versehen. Die Resultate seien mit Vorsicht zu interpretieren, weil es sich um ein mathematisches Modell handelt. Diese Woche musste Neher die Annahmen korrigieren, auf denen die Berechnungen basieren. Sie waren zu optimistisch. Er sagt: «Das Virus verbreitet sich in Europa schneller, als wir dachten.»
Das Best-Case-Szenario geht von einem Lockdown wie in China und Italien aus. Damit ist eine Ausgangssperre verbunden. Mit der vom Bundesrat beschlossenen Ausgangsbeschränkung könnte aber eine ähnliche Wirkung erzielt werden. Trifft dies zu, wird gemäss dem Szenario ein Kollaps des Gesundheitssystems verhindert.
Derzeit gibt es schweizweit 800 Plätze auf Intensivstationen. Neher geht davon aus, dass die Zahl auf 1400 erhöht werden kann. Dies würde im besten Fall knapp genügen.
Im besten Szenario könnte der Peak Ende April sein. Die Zahl der Infizierten hätte dann in der Schweiz den Höchststand von 16000 Personen erreicht und würde danach sinken. Von den Infizierten könnten bis Ende Mai 1500 lebensgefährlich krank werden und auf Beatmung angewiesen sein.
Trotzdem liesse sich gemäss den Berechnungen ein Anstieg der Todesfälle nicht vermeiden. So kommen die eingangs erwähnten Zahlen von 3700 Verstorbenen Ende Juni und 5300 Ende August zu Stande.
Zum Vergleich: Im Durchschnitt sterben in der Schweiz 1500 Leute pro Jahr an den Folgen einer Grippe.
Hätte die Schweiz gar keine Massnahmen ergriffen, könnten gemäss dem Modell in der Schweiz 100000 Menschen sterben. Selbst mit mittelstarken Massnahmen würde das Gesundheitssystem zusammenbrechen. Die Annahme ist dabei, dass die Verbreitung des Virus knapp halbiert werden könnte. Im mittleren Szenario wäre der Peak Mitte Mai erreicht. Dann wären 250000 Leute infiziert, also knapp drei Prozent der Bevölkerung. Davon wären bis Juni 15000 auf ein Bett in einer Intensivstation angewiesen. Das würde die Kapazitäten um das Zehnfache übersteigen.
Die Todesfälle nähmen im mittleren Szenario unvorstellbare Dimensionen an. 50000 wären es Ende Juni.
Welches Szenario ist für die Schweiz realistisch? Neher sagt: «Das hängt von der Effizienz der Massnahmen ab.» Er erwarte ein Abflachen in zwei Wochen, nachdem Massnahmen eingeführt worden sind. Falls sie konsequent umgesetzt würden, rechnet er nach drei bis vier Wochen mit einem Rückgang. Vorbei wäre es nach acht Wochen. Solange dauerte der Lockdown in China, bis kaum mehr neue Fälle auftauchten.