Für ein Stück Schweiz stehen die Chinesen gerne 5 Stunden Schlange
Für ein Stück Schweiz stehen die Chinesen gerne 5 Stunden Schlange

Der Schweizer Pavillon ist eine der grossen Attraktionen der Weltausstellung in Schanghai. Die Fahrt mit dem Sessellift entzückt die Chinesen – bis zu fünf Stunden stehen sie in der Schlange, um ein Stück Schweiz zu erhaschen.

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Expo Schanghai 2010
16 Bilder
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Sesselbahn des Schweizer Pavillons ist ein Nadelöhr Sesselbahn des Schweizer Pavillons ist ein Nadelöhr
Schweizer Pavillon an der Expo 2010 in Schanghai
Serbischer Pavillon an der Expo 2010 in Schanghai
Türkischer Pavillon an der Expo 2010 in Schanghai
Norwegischer Pavillon an der Expo 2010 in Schanghai
Screen im kanadischen Pavillon an der Expo 2010 in Shanghai
Pavillon von Süd Korea an der Expo 2010 in Schanghai
Indonesischer Pavillon an der Expo 2010 in Schanghai
Im Innern des kanadischen Pavillons an der Expo 2010 in Schanghai
Japanischer Pavillon an der Expo 2010 in Schanghai
Spanischer Pavillon an der Expo 2010 in Schanghai
Spanischer Pavillon
Englischer Pavillon
Dänischer Pavillon

Expo Schanghai 2010

Felix Bingesser

Die Volksrepublik im Wandel der Zeiten. In China ist derzeit alles in Bewegung. Auch die Tierschützer machen mobil: Das Gourmetlokal «Bing Feng Tang» im Zoo von Peking, bis anhin ein Geheimtipp unter Chinas Feinschmeckern, muss seine Speisekarte radikal umstellen. Nilpferd-Haxen, die Flusspferd-Zehen, der gedünstete Hirsch-Penis, aber auch die Haifischflossensuppe dürfen nicht mehr serviert werden. «

Erst die Tiere im Käfig anschauen, dann ihre Artgenossen verspeisen, wie fühlt man sich da?», fragt er chinesische Schriftsteller Zheng Yuanjie sarkastisch. Und erhält viel Zustimmung.

Der Wandel in China macht auch vor einem Wort nicht Halt, das lange Zeit ein Tabu war: Busfahrer dürfen ihre Passagiere nicht mehr mit «Genosse» ansprechen. Als erste staatliche Institution schafft Pekings Nahverkehr den Brauch ab, die Fahrgäste unterschiedlos so zu begrüssen. Die Leute werden jetzt mit «Herr» (Xiansheng), «Dame» (Xiaojie) oder «Fahrgast» (Chengke) angesprochen.

Nur noch ergraute Chinesen, die beim Busfahren noch Mao-Jacken tragen, dürfen mit «Genosse» angesprochen werden. Der Genosse wird sozusagen aus dem Verkehr gezogen.

400 000 Besucher täglich

Peking wandelt sich bedächtig, in Schanghai geschieht dies rasant. Die mit rund 20 Millionen Einwohnern grösste Stadt Chinas ist das am stärksten entwickelte Wirtschaftszentrum des Landes. In Schanghai spriessen derzeit innert weniger Jahre mehr Hochhäuser aus dem Boden als in Manhattan stehen.

Und China präsentiert Prestigeprojekte im Jahrestakt. Derweil der Rest der Welt schwächelt, zündet China den Turbo: Vor drei Jahren wurde die Formel-1-Strecke in Schanghai eröffnet, vor zwei Jahren fanden die Olympischen Spiele in Peking statt und seit dem 1. Mai hat eine Weltausstellung der Superlative die Tore geöffnet.

Das Ausstellungsgelände am Huangpu-Fluss hat eine Fläche von 5,28 Quadratkilometern und ist grösser als jede Expo seit 1851, als sich die Welt in London erstmals in einem solchen Rahmen präsentiert hat. Zwischen 70 und 100 Millionen Besucher werden erwartet, was einem täglichen Besucherstrom von rund 400 000 Leuten entspricht. 95 Prozent davon sind Chinesen.

Überall Menschenschlangen

China präsentiert sich nicht der Welt, sondern die Welt präsentiert sich China. Auf einem Gelände, auf dem Zehntausende Menschen zwangsumgesiedelt wurden, damit die Pavillons aus aller Welt ihren Platz haben. Diese sind bei dieser nationalen Selbstdarstellung das Herz und die Seele der Ausstellung.

Nach einem Rundgang durch diese Weltausstellung weiss man, wie sich eine Ameise im Haufen fühlen muss. «Better City - Better life» lautet das Motto. Wie sieht urbaner Lebensraum im 21. Jahrhundert aus? Die Pavillons der USA und von Deutschland sind von klotzig-nüchterner Architektur. Bei gewissen Pavillons hat man das Gefühl, an einer Scherenschnittausstellung der Primarschule Bümpliz zu sein.

Und überall Menschenschlangen. Die erste bei der U-Bahn-Station Madang Road. Eine Chinesin mittleren Alters kollabiert bei 30 Grad im Gewusel und wird abtransportiert. Die Menschenschlangen gibt es vor jedem Pavillon; zwischen zwei und fünf Stunden muss man anstehen. Die Chinesen tun es mit Geduld, schicksalhaft. Man nimmt es hin. So, wie man vieles hinnimmt.

Kurzes und nachhaltiges Erlebnis

Wer einen rot-weissen Pass vorzeigen kann, der muss beim Schweizer Pavillon nicht anstehen. Privileg für die Weitgereisten, zumal die Schweiz den begehrtesten Pavillon der ganzen Ausstellung hat. Einfach und verständlich ist die Botschaft: Imposante Luftaufnahmen der Schweizer Berge faszinieren die Besucher, und die Fahrt mit dem Sessellift ist vom Erlebniswert her das herausragende Ereignis.

Keine verkappten Botschaften, kein verträumtes und nicht nachvollziehbares Bild der Schweiz, sondern ein kurzes und für die Chinesen nachhhaltiges Erlebnis. Der Schweizer Pavillon der Basler Architekturbüros Buchner Bründler ist in seiner Gesamtkonzeption ein grosser Wurf. Einziger Wermutstropfen sind die technischen Störungen, die in der Startphase immer wieder aufgetaucht sind. Aber mittlerweile läuft die Sesselbahn. Jeden Tag und mit Schweizer Präzision.