ST.GALLEN. Die VRSG-Spitze zeigt sich empört über die Vorwürfe des Software-Unternehmens Abacus. Rechtlich sei alles korrekt, sagt Firmenchef Peter Baumberger. HSG-Professor Peter Hettich stellt das Vorgehen der VRSG allerdings in Frage.
Die Vorwürfe sind happig: Das Wittenbacher Software-Unternehmen Abacus beschuldigt die Verwaltungsrechenzentrum AG St.Gallen (VRSG), mit unsauberen Methoden zu arbeiten und Konkurrenten gezielt auszuschalten. Die VRSG habe einen Grossauftrag direkt an eine internationale Firma vergeben, ohne Offerten von anderen Unternehmen einzuholen. «In keinem anderen Kanton geht man so monopolistisch gegen Konkurrenten vor und schaltet sie einfach aus», sagte Abacus-CEO Claudio Hintermann im Interview mit unserer Zeitung (Ausgabe von gestern). Hintergrund der Anschuldigung ist eine Finanz-Software für öffentliche Verwaltungen, welche die VRSG von der Zentralschweizer Firma IT&T gekauft hat. Teil des Deals war, dass die VRSG diese Software selber weiterentwickeln und unter eigenem Namen weiterverkaufen darf.
Für Hintermann ist klar: Die VRSG hat mit ihrem Vorgehen Recht gebrochen. Das Unternehmen gehöre zu 100 Prozent der öffentlichen Hand und unterstehe deshalb dem öffentlichen Vergaberecht, argumentiert er. Deshalb müsste sie jeden Auftrag öffentlich ausschreiben. Die VRSG hat laut Hintermann nun «ein Problem» – oder vor allem die Kantone und Gemeinden, die dem Unternehmen angeschlossen sind. Diese müssten den Auftrag nun selber öffentlich ausschreiben, bevor sie die neue Software nützen dürfen. Und das könnte teuer werden.
Die VRSG-Spitze reagierte gestern geharnischt auf die Vorwürfe. «Der Angriff von Hintermann ist völlig unverständlich», sagt VRSG-Chef Peter Baumberger. Die Rechtslage sei schliesslich eindeutig. Als privatrechtliche Marktteilnehmerin und Anbieterin von IT-Dienstleistungen sei die VRSG keine Vergabestelle im Sinne des öffentlichen Beschaffungsrechts, sagt Baumberger. «Welche Lieferanten und Partner wir wählen, ist vollumfänglich unsere unternehmerische Freiheit.» Und Eduard Gasser, Präsident des Verwaltungsrates, präzisiert: «Wir haben keinen Auftrag vergeben, wir sind hier eine langfristige Partnerschaft eingegangen. Das ist ein wesentlicher Unterschied.» Dass die VRSG nicht erpicht auf eine Zusammenarbeit mit Abacus ist, liegt laut Gasser zudem auf der Hand: Abacus kooperiere mit dem Software-Hersteller Nest, einem direkten Konkurrenten der VRSG. «Mit solchen Firmen suchen wir keine Partnerschaft.» Die VRSG stellte ihre Haltung gestern in einer breit gestreuten Medienmitteilung klar. Darin verwies das Unternehmen auch auf ein Gutachten der St.Galler Rechtsanwälte Christoph Bernet und Alex Keller. Demnach unterstehen dem Beschaffungsrecht die eidgenössischen und kantonalen Verwaltungen, die Gemeinden sowie die Träger von Gemeindeaufgaben. Als solche gelten Institutionen, die eine der Gemeinde gesetzlich zugewiesene Aufgabe ausüben. Dazu gehören Wasser- und Energieversorgung, Verkehr oder Telekommunikation – nicht aber IT-Leistungen.
Ob der fragliche Software-Deal tatsächlich nicht unter das Beschaffungsrecht fällt, ist indes umstritten. «Die VRSG operiert im Graubereich», sagt HSG-Rechtsprofessor Peter Hettich. Wenn sie selber hergestellte Produkte an die an ihr beteiligten Gemeinden verkauft, sei sie grundsätzlich nicht vom Beschaffungsrecht und dem Gatt/WTO-Abkommen betroffen. Doch im vorliegenden Fall hat das Unternehmen eine Software eingekauft. «Sollte die VRSG eine Art Einkaufskooperation der öffentlichen Hand darstellen, was sie hier meiner Meinung nach sein könnte, so fällt sie unter das Beschaffungsrecht.» Dann müsste die Vergabe entweder von den Gemeinden oder der VRSG ausgeschrieben werden, um dem Gesetz nachzuleben – nach Einschätzung Hettichs am ehesten von der VRSG selber.
Falls es zu einem Verfahren kommt und ein Gericht festhält, dass die VRSG dem Beschaffungsrecht untersteht, dann könnte Abacus gemäss Hettich auf Schadenersatz klagen. Der Schadenersatz beschränkt sich auf die Aufwendungen im Zusammenhang mit der Offertenerstellung und dem Verfahren. «Der entgangene Gewinn wird nicht ersetzt.» Dem Verwaltungsrat drohen hingegen kaum Konsequenzen. Ein vergleichbarer Fall ist Hettich nicht bekannt. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung sei spärlich. Die unterlegenen Offertensteller würden selten Beschwerde ergreifen. «Sie haben Angst, bei zukünftigen Vergaben einfach übergangen zu werden. Auch lohnt sich die Beschwerde häufig nicht.»