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Es gehört zu den Allgemeinplätzen der verkehrspolitischen Debatte, dass Auto und öffentliche Verkehrsmittel (öV) nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. Tatsächlich wäre es falsch, einseitig nur auf den einen oder den anderen Verkehrsträger zu setzen. Entsprechend ausgleichend kommt der von Kantons- und Regierungsrat beschlossene Gegenvorschlag zur Anti-Stauinitiative der SVP daher, über den das Stimmvolk im Kanton Zürich am 24. September abstimmt: Mit ihm werde endlich auch der motorisierte Inidividualverkehr (MIV) in der Kantonsverfassung festgeschrieben, jubelte die bürgerliche Ratsmehrheit – als ob es sich um eine Art Gleichstellungsartikel zwischen öV und MIV handle. Die SVP jedenfalls zog ihre Initiative zurück und sprach sich für den Gegenvorschlag aus, wie auch die FDP, CVP, BDP, und EDU – gegen die Stimmen von EVP, GLP, Grünen, SP und AL.
Doch so sehr die Rhetorik der bürgerlichen Ratsmehrheit auf Ausgleich zwischen öV und MIV bedacht sein mag: Ein Ja zum Gegenvorschlag wäre ein verkehrspolitischer Sündenfall. Denn damit ständen folgende zwei Sätze verbindlich in der Kantonsverfassung: «Der Kanton sorgt für ein leistungsfähiges Staatsstrassennetz für den motorisierten Privatverkehr. Eine Verminderung der Leistungsfähigkeit einzelner Abschnitte ist im umliegenden Strassennetz mindestens auszugleichen.»
Mit anderen Worten: Als ob es ein Naturgesetz wäre, schreibt der Gegenvorschlag fest, dass die Strassenkapazität für den MIV auf den derzeit 1547 Kilometern Staatsstrassen, wo der Kanton Zürich das Sagen hat, mindestens gleich gross bleiben muss. Sie darf also nicht sinken, aber durchaus wachsen.
Warum dies ein Sündenfall wäre? Vor allem in grösseren Städten wie Zürich und Winterthur hat die Bevölkerungsmehrheit und die jeweils von ihr gewählte Stadtregierung längst erkannt, dass das anhaltende Verkehrswachstum nur mit einem Ausbau des öV zu bewältigen ist. Die Bevölkerung wächst gerade in den urbanen Gebieten. Und das Bevölkerungswachstum soll grösstenteils dort stattfinden. Diesem Grundsatz haben auch die bürgerlichen Parteien mit ihrem Ja zum kantonalen Richtplan zugestimmt. Da aber der Platz in den Städten beschränkt ist, bedeutet öV-Ausbau manchmal zwangsläufig, dass der MIV eingeschränkt werden muss.
Exemplarisch zeigt sich dies in Winterthur: Dort ist geplant, dass Busse im Strassenverkehr vermehrt bevorzugt werden. Das ist sinnvoll, denn Busse können mehr Leute effizienter transportieren als Privatautos. Der motorisierte Privatverkehr müsste ihnen folgerichtig ein Stück weit Platz machen. Und es wäre widersinnig, dafür «im umliegenden Strassennetz» die MIV-Kapazität auszubauen. Erstens fehlt dafür in den meisten Fällen der Platz. Zweitens widerspräche dies auch demokratischen Beschlüssen auf kommunaler Ebene.
So haben etwa die Stimmberechtigten der Stadt Zürich per Volksabstimmung beschlossen, der Anteil des motorisierten Individualverkehrs sei um zehn Prozentpunkte zu senken. Der Zürcher Stadtrat handelt also im Sinne der Mehrheit, wenn er auf einen Ausbau von öV, Velo- und Fussverkehr hinarbeitet. Folgerichtig sank der Anteil des MIV in Zürich seit 2010 von 30 auf 25 Prozent.
Mit ihrer Anti-Stauinitiative wollte die SVP nicht zuletzt die vom Volk beschlossene Verkehrspolitik der Stadt Zürich ausbremsen. Der Gegenvorschlag zielt ebenfalls auf dieses demokratiepolitisch fragwürdige Ziel ab. Er würde zum Erfüllungsgehilfen einer unvernünftigen Verkehrspolitik in den Städten. Und er verböte ein verkehrspolitisches Umdenken in den stark vom Autoverkehr geprägten ländlicheren Regionen. Denkverbote sind aber nie gut.