Bankräuber und Geiselnehmer Hugo Portmann wurde durch seine Taten berühmt. Aber warum machen wir immer öfter unbedeutende Typen, die Menschen umbringen, Geiseln nehmen, Banken überfallen, zu Prominenten? Eine Kolumne über den medialen Umgang mit Schwerverbrechern.
Wenn ein Prominenter kriminell wird, ist es normal, dass sein Name und sein Bild in der Zeitung erscheint. Aber warum machen wir immer öfter unbedeutende Typen, die Menschen umbringen, Geiseln nehmen, Banken überfallen, zu Prominenten? Mit Namen, privaten Bildern, der detaillierten Schilderung ihrer Untaten und ihres Vorlebens und sogar mit Interviews. Warum kann ich heute den Namen Hugo Portmann nicht mehr vergessen? Warum hat sich sein Bild in mein Hirn geprägt? Warum ist die realistische Gerichtszeichnung, die immer dann zur Illustration eines Prozesses dient, wenn fotografieren verboten ist, wieder derart «in»? Nachdem sie jahrelang verschwunden war. Warum kommen Kriminalprozesse auch bei sogenannten Qualitätszeitungen plötzlich auf Seite 1, nachdem sie jahrzehntelang auf der letzten Seite, unter der Rubrik «Unfälle und Verbrechen» oder «Letzte Seite» oder auf französisch «Faits divers» stattgefunden haben?
Der Autor, Journalist und Editorial Designer Peter Rothenbühler war Chefredaktor von «SonntagsBlick», «Schweizer Illustrierte» und «Le Matin». Er lebt in Lausanne und Paris.
Sind wir so geil auf Verbrechergeschichten, dass sich die Zeitungen diesem Bedürfnis angepasst haben? Oder haben sie diese Geilheit auf Unglücksfälle und Verbrechen erst dank dem Internet entdeckt, wo Mördergeschichten neben Sex und Büsibildern am meisten angeklickt werden? Fragen über Fragen. Ich bin je länger je mehr der Meinung, dass wir Verbrecher nicht leichtfertig zu Medienstars machen sollten.
Ein Hugo Portmann findet jetzt sofort einen Verleger für seine Memoiren, wenn er den richtigen Ghostwriter überzeugen kann, seine Banküberfälle und andere Verbrechen im Detail nachzuerzählen. Denn er ist prominent, er hat einen Namen. Und ein Gesicht. Aus der anonymen Menge herauszuragen, ist ein erstrebenswertes Ziel, die Aufmerksamkeit der Medien auf seine Person zu lenken, gelingt normalerweise nur mit herausragenden Leistungen. Man muss sich Prominenz hart verdienen. Der «prominenteste Bankräuber» (so betiteln ihn die Medien) hat seine Prominenz nicht verdient. Das gilt auch für alle andern Schwerverbrecher, die uns in letzter Zeit von den Medien präsentiert wurden. Zum Beispiel für Terroristen, feige Mörder, die Menschen aus angeblich religiöser Überzeugung umbringen. Sie sollten in der Hölle der Vergessenheit schmoren, nicht auf den Titelbildern gefeiert werden. Es ist bekannt, dass in den «schwierigen» Stadtteilen der französischen Grossstädte die Titelbilder von Zeitungen, die einen Terroristen zeigen, wie Popstar-Poster an die Wände gepinnt werden. Die Terroristen wollen das: Sie möchten in den Himmel kommen, aber auch hienieden als Helden gefeiert werden.
Wir Medien helfen ihnen dabei. Ja, das Bild in der Zeitung ist stets eine Heroisierung, auch beim negativsten Profil. In Frankreich haben viele Menschen, auch prominente Journalisten, gegen die Darstellung der Lebensgeschichte des Massenmörders vom 14. Juli 2015 in Nizza (er raste mit dem Lastwagen in die Menge) auf rund zehn Seiten in der Illustrierten «Paris Match» protestiert. Endlich wurde öffentlich darüber nachgedacht, ob es vielleicht doch besser wäre, den Terroristen weniger Publizität zu schenken. Die Taten, die Umstände und die Opfer verdienen Publizität, die Person des Terroristen so wenig wie möglich. Doch bei jedem weiteren Anschlag erscheinen immer wieder private Bilder der Attentäter.
Auch bei uns gibts kaum Zurückhaltung, und das stört mich: Ich hätte den Vierfachmörder von Rupperswil eigentlich lieber nicht mit seinem schönen Hund in der Zeitung gesehen. Dieser kranke Mensch gehört versorgt, abgeschirmt, versenkt in der Anonymität des armen Tropfes, der er immer schon war. Man weiss, dass in den Gefängnissen die Wertschätzung der «Kunden» auch von ihrer medialen Prominenz abhängt. Wie im normalen Leben halt. Beim Vierfachmörder von Rupperswil hat mich auch gestört, wie seine Taten immer wieder bis ins letzte Detail beschrieben wurden. Ist das nötig? Bedient das nicht einfach nur die sadistischen Fantasien vieler Leser? Als Journalist musste ich stets entscheiden, was sich zur Publikation eignet und was nicht. Und in welcher Dosis. Ich finde, zurzeit kriegen wir eine Überdosis an überdimensionalen Verbrechergeschichten, wo der Verbrecher als Person zu stark im Vordergrund steht. Das stört mich als Leser. Weil es mich belästigt, und weil ich den Namen Hugo Portmann schnell wieder vergessen möchte.