Die Analyse zur Idee, Sexualtäter auch dann zu bestrafen, wenn keine Gewalt im Spiel ist.
Nur die beiden wissen, was in der Nacht wirklich vorgefallen ist.» Dieser Satz ist ein frommer Wunsch. Nicht mal die beiden selber wissen, wie ihnen geschah. Liebe oder Triebe? Passion oder Spass? Ein Akt von Hellsicht oder Wahn. Sex kann viel vermengen ... und alles wieder trennen. Ein Libidorausch das Paar befreien oder versklaven. Zarte Intimität ein Paar tragen oder zermürben. Beide wissen es im Guten nicht, lächeln aber selig, wenn es gut gekommen ist. Sie wissen es noch viel weniger, wenn irgendwas daran kippt. Wenn sich süsse Anziehung unverhofft wendet in Schmutz, Pein und Bitternis. Es gibt einen Himmel im sexuellen Glück – und bei Unglück wird das vermeintlich Gleiche zur Hölle.
Darüber beugen sich dann die Gerichte: Vergewaltigung, Drohung, Nötigung – Höllenstationen auf dem Irrgang der Liebe. In der Verhandlung fällt regelmässig der eingangs zitierte Satz: «Nur die beiden wissen, was in der Nacht vorgefallen ist.» Nun fragt auch das Gericht: War es einvernehmlicher Sex, war Gewalt im Spiel? Bisher gilt: Lassen sich Gewalt, Drohung, Nötigung nachweisen, entgeht der Täter der gerechten Strafe nicht. Fortan soll gelten: Fällt irgendwann ein «Nein», und sei es gehaucht, entgeht der Täter der Strafe ebenfalls nicht. Selbst dann nicht, wenn keine Gewalt im Spiel war, wenn beide bis zum Morgengipfeli im Bett liegen bleiben. Und erst da einer vom Gefühl beschlichen wird, widerwillig zu etwas gedrängt, missbraucht worden zu sein. Fortan kann eine Frau, zum Beispiel eine Frau, nach der Liebesnacht definieren, was es gewesen war: Leidenschaft oder Vergewaltigung. Die Kiste kann tricky werden und Abenteurer stracks in die Kiste katapultieren.
So lauten Vorschläge zur Verschärfung des Sexualstrafrechts. Gestern befasste sich der Deutsche Bundestag damit. Weil hierzulande die Debatte ähnlich läuft, interessiert das auch uns (siehe Seiten Ausland). Hinter der Verschärfung steht folgende Maxime: «Nein bleibt Nein!» Die Maxime soll zum Rechtsprinzip erhoben werden. Wie immer, wenn eine Erfahrung erst in eine griffige Formel gesetzt und dann zum Prinzip erhoben wird – meist ihrer Griffigkeit wegen, weniger wegen ihres Weisheitsgehalts –, haftet bald Ideologie daran. Politischer Glaube, geistige Schablone, unweigerlich auch eine Prise Hysterie. In Deutschland führte das unter anderem zu folgendem Aberwitz: Ein Bündnis für Demokratie und Toleranz in Berlin verlieh einer 18-jährigen Frau einen Ehrenpreis für Zivilcourage, nachdem die junge Frau geklagt hatte, eine Horde Neonazis habe ein blutiges Hakenkreuz auf ihre Haut geritzt. Die Polizei wies das edle Bündnis darauf hin, dass die 18-Jährige die Geschichte erfunden hatte. Den Preis gabs trotzdem. Das lässt sich so resümieren: «Ja, es war eine Lüge, aber es war eben eine politisch korrekte Lüge.»
Nun wird jeder mit gewisser Einsicht nicht das Geringste anhusten gegen dieses «Nein bleibt Nein!» Mag die Frau auch des Nachts die absolute Souveränität erlangen – wer da jeweils im Finsteren schnupperte, was in der Luft lag, wusste ohnehin, dass es anders gar nicht sein kann. Auch gender-historisch ist das okay. Zu lange hat der Mann den weiblichen Kontinent kolonisiert, mit seiner eigenen Traumhoheit: mässig elegant, nicht gefühlsarm, aber gefühlsträg. Darum gilt: «Nein bleibt Nein!» Wenn es denn nicht ein Drittes gäbe zwischen dem Paar. Eine Kraft, die ihrerseits eine noch umfassendere Souveränität für sich beansprucht. Von ihrer Wirkung haben wir eingangs einiges angetönt.
In Deutschland will man jetzt alle «Schutzlücken» schliessen. Klingt gut und total, wäre des Nachts die Libido nicht in der Lage, auch durch winzigste Lücken zu pfeifen. Und unter unklar verhakten Paaren weiter ihre mal herrliche, oft durchzogene und klägliche, mal widerwärtige Konfusion anzurichten. Ganz zu schweigen von den vielen Masken, den flirrenden Gefühlslichtern, die im Ganzen flüchtig einherhuschen. Sollen Gerichte noch mehr im Nebel stochern? Vor allem dort, wo bei einem fehlenden akustischen Nein eine abwehrende Mimik oder Tränen künftig genügen, um einen Beteiligten ins Gefängnis zu werfen? Jenen Romantiktrampel, der meint, die Schöne in seinen Armen weine, weil Glück sie überströmt. Kann freilich passieren. Wie soll das Gericht Träne gegen Träne wägen? «Nein bleibt Nein!» – ja. Ist aber auch ein klares Nein zu dieser Verschärfung. Sie zielt nach Verschnürung eines neu-alten Sittenkorsetts. Fördert die spiessige Tendenz, uns gnadenlos human noch vor der letzten bösen «Lücke zu schützen».