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Der ETH-Professor und Gemeindepräsident von Rüschlikon, Bernhard Elsener, ermittelt als einer von drei Experten die Ursache des Unglücks in Genua.
Bernhard Elsener: Meine beiden italienischen Expertenkollegen haben vorletzte Woche beaufsichtigt, wie 13 Trümmerteile der eingestürzten Brücke in Genua auf Lastwagen verladen wurden. Anschliessend haben sie diese versiegelt. Als die beiden Lastwagen am Montag um 17 Uhr bei der Empa eintrafen, habe ich kontrolliert, ob die Siegel noch intakt waren, und das Okay zum Abladen gegeben. Dieses habe ich verfolgt, bis alle Teile an einem sicheren Ort deponiert waren.
Zuerst überlegten wir drei Experten natürlich, welches Labor in Italien die Teile prüfen könnte. Wir stellten jedoch bald fest, dass alle Labore entweder Verbindungen zur Autostrade per l’Italia, der Betreiberfirma der Brücke, oder zum Ministerium haben, womit sie befangen sind und wegfallen. Zudem gibt es in Italien kein Labor, das ähnlich breite Untersuchungen an Stahlbeton durchführen könnte wie die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstal (Empa).
Richtig. Die 35 Konsulenten der Angeklagten und zum Teil der Opfer waren sofort einverstanden, denn die Empa ist bekannt. Mit der Hälfte der Spezialisten, die jetzt die Beweisstücke untersuchen, habe ich schon zusammengearbeitet und weiss, dass sie gute Arbeit leisten.
Seit Anfang Oktober bin ich praktisch jeden Montag, Dienstag und Mittwoch in Genua. Wenn die Untersuchungen frühmorgens beginnen, reise ich schon am Sonntagabend an. Denn die Reise mit dem Zug dauert doch fünfeinhalb Stunden.
Vor Ort sieht die Einsturzstelle viel eindrücklicher aus als auf den Fotos. Ich konnte mir erst unter der Brücke vorstellen, was für eine Gewalt eingewirkt haben muss, als sie einbrach. Die meisten Trümmerteile sind mittlerweile entfernt. Aber 30 Meter rund um die noch stehenden Teile der Brücke ist Sperrzone und Autofahrer und Fussgänger müssen teils lange Umwege in Kauf nehmen, um an ihren Bestimmungsort zu gelangen.
In der Zufahrt zum Hangar, den das Untersuchungsteam mit der forensischen Polizei und der Feuerwehr teilt, gibt es eine Anlaufstelle für die Bevölkerung. Dort hat es immer Leute, die diskutieren. Die Tankstellen, die Läden und die kleinen KMU, die unter der Brücke ansässig waren, haben keine Kunden mehr, einige mussten ihre Geschäfte aufgegeben. Sie protestieren, denn sie wollen, dass es endlich vorwärtsgeht und die Zone freigegeben wird.
Die italienische Untersuchungsrichterin hatte uns für den Bericht bis am 3. Dezember Zeit gegeben. Inzwischen haben wir jedoch eine Verlängerung um zweieinhalb Wochen erhalten. So können wir eine vernünftige Datenbasis generieren und den Bericht vor Weihnachten abschliessen. Vom Druck der Öffentlichkeit dürfen wir uns nicht beeinflussen lassen. Wir Experten sind im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft sehr darauf bedacht, neutral zu sein, was auch geschätzt wird.
Dies ist Unsinn. Eine andere Nebelpetarde war das Gerücht, dass eine schwere Stahlrolle von einem Lastwagen hinuntergefallen sei und die Brücke wie eine Kanone zerstört habe. Die Polizei konnte anhand von Fotos beweisen, dass der Lastwagen samt seiner Ladung von der Brücke gefallen ist.
Einerseits ist sie technisch-wissenschaftlich sehr komplex, denn es handelt sich um eine Brücke, die man heute nicht mehr so bauen würde. Statt zwei dicken einbetonierten Seilen, die erst noch über den Sattel laufen, würde man heute eine grössere Anzahl, aber dünnere Seile verwenden. Schwierig zu eruieren ist auch, wann und wie Instandhaltungsmassnahmen durchgeführt wurden. Nicht zuletzt hat die Untersuchung eine schwierige emotionale Komponente: Man hat immer im Hinterkopf, dass hier 43 Menschen ihr Leben verloren haben. Auf einer Brücke in der Nähe der Einsturzstelle legen die Leute zum Gedenken immer noch Blumen nieder.
Damit will er nur die Bevölkerung beruhigen. Noch weiss niemand, ob die neue Brücke vom Staat oder von einer privaten Firma gebaut wird. Unklar ist auch, wie der Abbruch vonstatten gehen soll. Will man die Überreste der Brücke sorgfältig entfernen oder die Brücke samt den darunter stehenden Häusern abbrechen? Dass Ende 2019 eine neue Brücke steht, halte ich für unmöglich.