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Region (LiZ)
Zürich
Biniam Gebretitios ist anerkannter Flüchtling aus Eritrea. Dank einem Spezialkurs, Fleiss und Integrationswillen konnte er in Kloten eine Lehre beginnen.
In der Werkstatt des Nutzfahrzeug-Importeurs Iveco in Kloten herrscht emsiges Treiben. Nebeneinander stehen Lastwagen, Transporter und Busse. Mittendrin ist Biniam Gebretitios, Automechaniker-Lernender im ersten Lehrjahr. Er geht einem Mechaniker zur Hand, reicht ihm Werkzeuge oder lässt sich die Arbeitsschritte erklären. «Die Stimmung bei Iveco ist ausgezeichnet, ich kann auch einmal einen Spass mit meinen Kollegen machen», berichtet der 32-Jährige mit breitem Grinsen. «Biniam ist sehr motiviert und interessiert sich für alles», sagt sein Vorgesetzter Livio Maspoli, Werkstattchef bei Iveco.
Aufgewachsen ist Biniam Gebretitios im ostafrikanischen Eritrea. Das Land befindet sich seit Jahren im Krieg mit seinen Nachbarstaaten. «In meinem Heimatland sind Menschenrechte nichts wert», sagt Gebretitios. Als er sich weigerte, Militärdienst zu leisten, habe er um sein Leben bangen müssen. «Ich wollte nicht zur Armee, wer weiss, ob ich da jemals wieder lebend nach Hause gekommen wäre.»
Mit 26 Jahren entschied sich Gebretitios, zu fliehen – zusammen mit seiner gleichaltrigen Ehefrau Azieb Emnetu. «Zuerst sind wir in einer Nacht zu Fuss Richtung Sudan gegangen. Dort nahmen uns Schlepper in einem Fahrzeug mit nach Libyen.» Von dort aus ging es mit einem Flüchtlingsboot weiter nach Italien. Mehr Details zur Flucht will er nicht erzählen. Zu traumatisch seien die Erlebnisse gewesen. Gemäss seinen Schilderungen gelangten die beiden später nach Genf zum Bruder eines Onkels. Die Reise dauerte insgesamt fünf Monate.
In der Schweiz angekommen, stellten Gebretitios und seine Frau ein Asylgesuch. Via Basel und Embrach kamen sie nach Zürich, wo sie in einem Wohnraum für Asylsuchende unterkamen. «Da arbeiteten wir beide in einem Integrationsprojekt mit, was für uns sehr wertvoll war», erzählt Gebretitios. Sie hätten jeweils acht Stunden täglich gearbeitet und ein kleines Entgelt dafür erhalten. Er habe beispielsweise in der Rudolf-Steiner-Schule gearbeitet und gemeinsam mit anderen Personen für den Betriebsunterhalt gesorgt.
Der Riesco-Lehrgang Gastronomie sowie Gebäude- und Automobiltechnik ist für anerkannte Flüchtlinge vorgesehen. In der einjährigen Ausbildung erhalten die Absolventen einen vertieften Einblick in die praktischen Bereiche der gewählten Berufe. Die Kantone finanzieren den Lehrgang. Die Absolventen finden laut den Verantwortlichen bis auf wenige Ausnahmen später eine Lehr- oder Arbeitsstelle.
Das Paar lebte bereits zwei Jahren in der Schweiz, als ihr Asylgesuch gutgeheissen wurde. Danach absolvierte Gebretitios zunächst eine Vorlehre als Gebäudereiniger, fand aber in diesem Beruf keine Stelle. Seine Beraterin empfahl ihm dann, den speziellen Lehrgang Riesco Gebäude- und Automobiltechnik zu absolvieren.
Riesco ging im Jahr 2006 aus der Idee des Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) hervor, eine Kurzlehre für anerkannte Flüchtlinge zu schaffen. So wollte man ihnen mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt verschaffen. Der Bundesrat bat die Berufsverbände, eine entsprechende Ausbildung auszuarbeiten.
Die ersten Riesco-Lehrgänge wurden in der Gastronomie angeboten und sind mittlerweile ein fester Bestandteil der Basisqualifikationen. «Vor etwa drei Jahren haben sich weitere Branchen an uns gewandt, Riesco für ihre Bedürfnisse anzupassen», sagt Heinz Gerig, Leiter Basisqualifikation bei Hotel&Gastro formation in Weggis. Dabei entstand Riesco Gebäude- und Automobiltechnik, welche die Schweizerische Technische Fachschule in Winterthur durchführt. «Zuhause in Eritrea habe ich mein Geld als Hilfsmechaniker verdient, von daher war Riesco ideal für mich», sagt Gebretitios. Die Absolventen erhalten im einjährigen Lehrgang Einblick in diverse Berufe der Gebäude- und Automobiltechnik. Dabei absolvieren sie jeweils zwei Praktika. Neben dem fachlichen Unterricht sind Themen wie Werte und Normen, Bewerbungen verfassen oder Deutschlektionen Bestandteile des Unterrichts.
In den Werte- und Normen-Lektionen lernen die anerkannten Flüchtlinge die Gepflogenheiten in der Schweiz kennen. Das sei manchmal sehr lustig gewesen, erzählt Gebretitios. «Weil alle Teilnehmenden aus anderen Kulturen stammen, kamen uns gewisse Eigenheiten der Schweizer komisch vor», erinnert sich der Lernende. Der Lehrgang sei für ihn in allen Bereichen ein Gewinn gewesen. Dank diesem konnte Gebretitios in die Lehre als Automechaniker bei Iveco einsteigen. Sein Chef Maspoli sagt: «Obwohl Biniam in Deutsch Defizite aufweist, bin ich davon überzeugt, dass er den Lehrabschuss schaffen wird.» Sein überdurchschnittliches Interesse treibe ihn an.
Mittlerweile haben Gebretitios und seine Frau zwei Kinder im Alter von zwei und fünf Jahren. Auch Gebretitios Frau konnte beruflich Fuss fassen und arbeitet in einer Kinderkrippe. Gebretitios Mutter und eine seiner Schwestern leben noch in Eritrea. Eine weitere Schwester in Äthiopien und eine andere wohnt in Deutschland. «Leider habe ich nicht oft Kontakt zu meiner Familie», bedauert Gebretitios. Jeweils am Wochenende spiele er mit seinen Landsleuten Fussball. «Das ist für mich so etwas wie ein Heimatersatz.»