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Zürich
Wie sich das Stadtzürcher Konsumverhalten in den letzten 125 Jahren verändert hat.
Während der Adventszeit klingeln die Kassen der Warenhäuser und der Spielwarengeschäfte. Passend zur Jahreszeit veröffentlichte die Stadt Zürich den letzten Teil der Rückblende zum Leben, Arbeiten und Handeln in der Stadt, die in diesem Jahr den 125. Geburtstag ihrer Vereinigung zur Grossstadt feiert. 1893 fand die erste Eingemeindung statt, endgültig wurde ihre Ausdehnung mit der zweiten Eingemeindung im Jahr 1934 besiegelt.
Bis zur ersten Eingemeindung sorgten Wochenmärkte und spezialisierte Warenbezugsorte für den Konsum und die Versorgung der städtischen Wohnbevölkerung. Übliche Bezugsorte waren Verkaufslokale von Bäckereien, Metzgern, Krämern und Händlern. Das Konsumangebot ergänzten Wochen- und Jahrmärkte. Diese lockten denn auch Auswärtige zum Einkaufen in die Stadt.
Die Wochenmärkte waren dort angesiedelt, wo etwas mehr Platz für Waren und Menschen vorhanden war. Also an den Quais am oberen Teil der Limmat, an der Bahnhofstrasse sowie im Seilergraben. Der Gemüsemarkt auf der Rathausbrücke gehört seit dem 14. Jahrhundert zu den wöchentlichen Einkaufsmöglichkeiten in Zürich. Der grosse Jahrmarkt fand jeweils am Martini-Tag im November am Seiler- und Hirschengraben nahe des Zürcher Niederdorfs statt.
Mit der ersten Eingemeindung begann sich auch das Konsumverhalten zu verändern. Es war so etwas wie die Geburtsstunde Zürichs als Konsumparadies. Eine zentrale Rolle dabei spielen die entstehenden Warenhäuser entlang der heute weltweit bekannten Bahnhofstrasse, die vom Zürcher Hauptbahnhof bis zum Seebecken führt.
Zürich – eine Zeitreise in Bildern:
Um die Jahrhundertwende zogen besonders die Geschäfte mit gehobenem Standard vom alten Geschäftszentrum rechts der Limmat an die Bahnhofstrasse. Aber auch ihr Anfang war bescheiden. So beschäftigte das Seidenhaus Grieder vor der ersten Eingemeindung lediglich eine Verkäuferin, einen Laufburschen und zwei Mustermacherinnen, das Spielwarengeschäft Weber wurde in den Anfangsjahren gar von den beiden Inhabern alleine geführt. Die Geschäfte aber dehnten sich in den folgenden Jahren stark aus und kauften Immobilien dazu. Es folgte die Zeit der grossen Schaufenster. Damit wurde bereits eine erste Wertsteigerung des heutigen Stadtzürcher Kreis 1 vorangetrieben. Zudem war die Bahnhofstrasse eine der wenigen Strassen Zürichs, die asphaltiert war. Zusätzlich wurde sie in dieser Zeit durch die Einführung des Rösslitrams aufgewertet.
Der Chronist Samuel Zurlinden schrieb über das «Erlebnis Bahnhofstrasse» im Jahr 1915: «Die Bahnhofstrasse strahlt besonders an den Abenden vor Weihnachten in märchenhaftem Glanze. Unermessliche Reichtümer an Gold und Silber, Samt und Seide sind in den lichtdurchfluteten Läden ausgebreitet.» Und «sogar bis tief in den Boden hinab» reichten die riesigen Schaufenster.
Die Bahnhofstrasse wurde zur Meile des Sehens und Gesehenwerdens, wie Heidi Witzig in einem Artikel über das Einkaufen in der Stadt Zürich schrieb. Der Beitrag wurde 1997 in der Zeitschrift der Schweizerischen Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte publiziert.
An keinem anderen Ort wurde der Unterschied der Bevölkerungsschichten deutlicher als an der Bahnhofstrasse. Denn die Mehrheit der Stadtbevölkerung kaufte ihre Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände nach wie vor in den umliegenden, kleinen Läden oder bei den Haus-zu-Haus-Verkäufern. Die Kaufkraft jener, die vermögend waren, wurde beim Seiden-Grieder, Franz Carl Weber, Jelmoli oder Sprüngli an der Bahnhofstrasse abgeschöpft.
Die Zeiten des Konsumaufschwungs um die Jahrhundertwende wurde durch eine mangelnde Vorsorge, Nahrungsmittelknappheit, steigende Preise und soziale Nöte abgelöst.
Die Schweiz war 1914 nicht auf einen längeren Krieg vorbereitet. All diese prekären Lebensumstände schlugen in eine unzufriedene Grundstimmung um. Diese gipfelte im November vor 100 Jahren im Landesstreik. Die Vorkommnisse veranlassten statistische Ämter, die Entwicklung der Lebenshaltungskosten zu verfolgen, und zwar auch rückwirkend. So wurden bis ins Jahr 1912 zurück Preisindizes sowie ein Warenkorb erarbeitet, der widerspiegelt, was das Volk typischerweise konsumiert. Und die Erhebung untermauerte die Unzufriedenheit erstmals mit verlässlichem Zahlenmaterial.
Aus den Erhebungen wird deutlich, dass in den Zeiten des Ersten Weltkrieges Lebensmittel- und Mietpreise stark anstiegen. Die Nahrungsmittelpreise sind bis heute deutlich zurückgegangen. Noch 1919 wurde für Lebensmittel rund die Hälfte der vorhandenen Mittel ausgegeben, heute machen Esswaren noch etwa zehn Prozent aus. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich über den gleichen Zeitraum bei den Ausgaben für Bekleidung.
Seit der Jahrhundertwende zugenommen haben hingegen bis heute die Ausgaben für Verkehr, Gesundheit, Wohnen und Energie. Seit den 1960er-Jahren werden auch die eingesetzten Mittel für Restaurants und Hotels angegeben. Sie bewegen sich mehr oder weniger stabil bei rund neun Prozent. Die statistischen Zeitreihen zur Einkommens- und Vermögensentwicklung zeigen seit 100 Jahren ein Wachstum. Entsprechend lebt die Bevölkerung in Zürich heute in grösserem Wohlstand als noch zur Jahrhundertwende.
Eine Entwicklung, die diesen Trend bestätigt, ist die Zahl der gehaltenen Hunde in Zürich. Dieser Wert deutet nämlich auf einen gewissen Wohlstand der Bevölkerung hin, wollen die Tiere doch gefüttert, betreut und gepflegt werden. Hunde waren in Zürich im Übrigen nicht immer gerne gesehen. Deshalb wurde die Hundehaltung um die Jahrhundertwende auch besteuert. Damals gab es auf rund 200 000 Bewohner etwa 3000 Hunde. Bis 1960 verdreifachte sich die Zahl der Tiere. 1980 wurde die bislang höchste Hundezahl verzeichnet. Damals lebten 9700 Vierbeiner in Zürich. In der immer dichter werdenden Stadt ging dann die Zahl der Hunde langsam immer weiter zurück, ehe sie laut Statistik Stadt Zürich in den vergangenen Jahren wieder leicht anstieg.