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Zürich
Sie rühren in Castingshows das Publikum zu Tränen – bis zur Abwahl, dann verschwinden sie in der Versenkung, die schönen Stimmen von «Voice of Switzerland» und Co. Musik-Insiderin Melina Roshard spricht darüber, wie man «es» schafft.
Melina Roshard, viele der Kandidaten bei «The Voice of Switzerland» haben tolle Stimmen.
Melina Roshard: Keine Frage, das finde ich auch.
Trotzdem werden fast alle von ihnen als Künstler scheitern, wie immer bei solchen Shows, nicht wahr?
Die 31-jährige Zürcherin war Redaktorin beim «Züritipp» sowie Moderatorin bei Radio 1 und einer Musiksendung auf Star TV. Beim Plattenlabel Nation Music betreute und vermarktete sie Schweizer Musiker. Heute arbeitet sie für die Crowdfunding-Plattform «wemakeit.ch» und promotet Nachwuchstalente, unter anderem Anna Kaenzig. (mir)
Wer Musiker sein will, braucht eben mehr als nur eine gute Stimme. Das ist nur die Grundvoraussetzung. Bei Castingshow-Teilnehmern fehlt es meist an Substanz. Viele sind auch zu durchschnittliche Typen für eine Musikkarriere. Und vor allem an Fans, die sie von Anfang an tragen.
Aber die Showteilnehmer haben doch ihre Fans.
Nur wenig wirkliche, die Mehrheit sind vor allem Fans der Show.
Also müssen so viele antreten, damit ein paar wenige es schaffen?
Ich fürchte ja, das ist Showbusiness. Für den Erfolg es braucht mehr.
Zum Beispiel?
Ich betreue die Singer/Songwriterin Anna Kaenzig. Wir kennen uns, seit wir Kinder sind. Sie absolvierte die Jazzschule und nahm als Abschlussarbeit eine CD auf. Ich spielte sie meinen Chefs beim Musiklabel vor, wo ich arbeitete, und die meinten: Wir versuchen es. Also brachten sie die CD raus.
Was geschah dann?
Zufälligerweise war gerade ein Hype: Schweizer Singer/Songwriterinnen waren gerade hoch im Kurs, die Medien nahmen Anna Kaenzig begeistert auf. Das war ein perfekter Zeitpunkt, und dazu gehört auch eine grosse Portion Glück. Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.
Was braucht man noch ausser Glück?
Wer im Musikgeschäft bestehen will, muss hart arbeiten. Vor allem am Anfang der Karriere. Da ist man allein und muss alles selber machen, weil man keine Leute bezahlen kann. Also auch Facebook-Posts, Homepage aktualisieren, Medien informieren ...
Welche Rolle spielen Social Media denn für einen Newcomer?
Ich meine, Facebook und Youtube sind sehr wichtig geworden. Früher gab es diese Mittel nicht. Heute kann man mit einem Song, mit einem Video auf einen Schlag die Massen erreichen. Das gibt einem jungen Künstler ganz andere Möglichkeiten. Man wird heute nicht mehr von einem Label entdeckt und gross herausgebracht. Das läuft nicht mehr so.
Sie haben beim neuen Album von Anna Kaenzig Erfahrungen mit «Crowd Funding» gesammelt. Was ist das?
Dabei geht es darum, dass Fans ein Werk oder einen Teil davon finanzieren. In unserem Fall war das ein Album, in anderen ein Film oder ein Buch.
Was haben die Fans davon?
Sie erhalten eine Gegenleistung. Das kann eine signierte CD sein. Oder ein Lied, ein musikalischer Gruss am Telefon zum Geburtstag, da gibt es keine Grenzen. Wichtig ist, dass man mit Crowd Funding die Fanbasis stärken kann. Die Fans werden selber Teil des eigenen Erfolges, das spornt sie an.
Wie wichtig sind Leute wie Sie, die Medienarbeit und Promotion machen, für die Künstler?
Je länger, desto wichtiger. Nehmen Sie einen Songwriter. Der muss sich irgendwann hinsetzen und auch mal wieder Songs schreiben. Wer alles selber macht, kann sich nicht weiterentwickeln. Sich selber vermarkten, ist nicht allen gegeben. Aber man braucht Vertrauen.
Würden Sie denn davon abraten, an einer Castingshow teilzunehmen?
Nein, es ist eine gute Gratis-Übung. Allerdings nur bei einer Show mit einer fairen Jury wie «Voice of Switzerland». Die Teilnehmer sollten sich dabei nicht zu viel versprechen. Das Ziel sollte immer sein, die Menschen mit der eigenen Musik zu berühren. Berühmt werden allein kann nicht die Motivation sein.
Kann man in der Schweiz von Musik leben, ohne ein Superstar zu sein?
Ja, ein paar leben gut davon. Viele können mit Musik den Lebensunterhalt bestreiten. Aber häufig auch nur dank privaten Auftritten oder Studioarbeiten. Andere unterrichten nebenher Musik als Zusatzeinkommen.