Rund 900 000 Teilnehmer zuckelten ums Seebecken und zückten Handys, um allen das Erlebte via Facebook, Instagram und Snapchat mitzuteilen.
Und wieder einmal hat Zürich sich verwandelt. Die Banker im schwarzen Brioni-Anzug sind den Fabelwesen gewichen, den Krankenschwestern und den Teufelchen, den Superhelden mit Glitzerpulver im Gesicht, den gelben, weissen und den rosaroten Feen – und überall die pinken Flamingos, die mitgeführt und durch die Luft geschwenkt werden.
Es ist wieder einmal Street Parade, zum 26. Mal. In den Strassen statt zügigem Schreiten ein gemütliches Schlendern. Ausufernde Kontaktfreudigkeit statt Ich-Perspektive ohne links und rechts – man tut nicht viele Schritte, ohne von einem Superman angesprochen, von einer Wasserpistole nass gespritzt zu werden.
Am Bahnhof angekommen, stärkt sich der eine oder andere mit einem Hot Dog für die kommenden Eskapaden. Mitunter und wenig versteckt wird auch eine verbotene Substanz eingeworfen. Lange verweilen will man hier nicht. Das Fest zieht zu sich, treibt unweigerlich in Richtung Utoquai, wo an diesem mässig sonnigen Samstag die Love Mobiles starten werden.
So geht es los über die Bahnhofstrasse an der Pestalozziwiese vorbei, wo ein Grüppchen Legionäre noch schnell ihre Gürtel enger schnallt; vorbei an der so nüchternen «Pavillon-Skulptur», von deren Quadern nun ein Harlekin heruntergrüsst. Hört man dann beim Bürkliplatz zum ersten Mal statt anfahrenden Züri-Trams den Bass tönen – dann müsste man seine Instinkte schon in den Stand-by-Modus schalten, um nicht sogleich gepackt zu werden.
Im Seefeld steht das erste Love Mobile bereit. Um 14 Uhr setzt es sich endlich in Bewegung. Als dann der offizielle Song der Street Parade zum ersten Mal aus den Boxen schallt, schwappt eine ekstatische Woge über die Menge. Kaum einer, der nun noch regungslos dasteht, der nicht wenigstens ein bisschen mitzuckeln würde im Takt.
Wieder einmal rollt sie also, die ganze lange Elektro-Karawane, schlängelt sich im Schneckentempo um den Zürichsee. 900 000 Teilnehmer sind nach Angaben der Veranstalter gekommen. Will man auch nur einigermassen herankommen an die Wagen, geht man sogleich unter in den Massen.
Der Menschenstrom, der von allen Strassen zugeführt wird, ist wieder einmal gewaltig. Nur mit viel Geduld und mit wenig Berührungsangst lässt sich hier vorwärtskommen. Anstatt sich dem Feiern völlig hinzugeben, sieht man viele Leute die Smartphones zücken und in die Höhe strecken. Es wird pflichtschuldig gefilmt und fotografiert an der Street Parade. Man ist nicht nur für das eigene Vergnügen da, sondern auch für Facebook, Instagram und Snapchat. Schliesslich soll jedermann und jede Frau nachher mitbekommen können, wie toll es war.
Auf einmal steigt ein beissender Geruch in die Nase, ringsum halten sich Leute die Nase zu, streben weg in Richtung Sechseläutenplatz. Jemand hat Reizstoff in die Menge gesprüht, damit richtiggehend eine Fluchtbewegung ausgelöst. Es bleibt dies zum Glück ein isoliertes Ereignis. Gegenüber dem Hotel Baur au Lac wurde für solche und andere Fälle ein Sanitätslager eingerichtet.
«Es wird hier nichts dem Zufall überlassen», sagt Björn Deppeler, der Leiter dieses Postens, «alles ist akribisch durchgeplant.» So befinden sich weitere sieben Sanitätsposten an ausgesuchten Punkten entlang der Route. Auf dem Zürichsee sind zudem Rettungsboote im Einsatz, die Patienten auf dem Wasserweg schneller transportieren können. Und selbstverständlich gibt es auch einen Führungsstab, der 24 Stunden im Einsatz ist.
«Am Anfang werden die Leute vor allem wegen Insektenstichen und Schnittwunden hierhergebracht», sagt Deppeler, «jetzt kommen schon die ersten Alkohol- und Drogenopfer.» Während er spricht, muss er sich die Lautsprecher an beiden Schultern zuhalten, zu zahlreich sind die ankommenden Funksprüche.
900 000 Raver haben am Samstag rund ums Zürcher Seebecken gefeiert und getanzt. Für die Sanität gab es an der 26. Street Parade deutlich weniger zu tun als in den Vorjahren.
Durch die niedrigen Temperaturen mussten nur sechs Personen wegen Kreislaufproblemen versorgt werden. Auch trugen die Leute solidere Schuhe, sodass es weniger Schnittwunden gab.
Schutz & Rettung verzeichnete 526 behandelte Personen, fast 24 Prozent weniger als im Vorjahr. 30 Personen mussten sich die Augen behandeln lassen, weil Diebe Pfefferspray gegen ihre Opfer einsetzten.
Wegen übermässigem Alkohol- und Drogenkonsum kam es zu diversen Streitereien. Die meisten verliefen glimpflich, auch wenn die Aggressivität laut Polizei im Laufe der Nacht zunahm. Insgesamt wurden rund 130 Personen aus 25 verschiedenen Nationen verhaftet, unter anderem wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, Raub, Diebstahl, Körperverletzung und Sachbeschädigung. (sda)
Auf dem Rückweg in Richtung Bahnhof zeigt sich dann ein Nebeneffekt der konsumierenden Mega-Massen: Grotesk hoch türmt sich um die Abfallkübel – und nicht nur da – der Müll. Helferinnen und Helfer tun ihr Bestes, um ihn nicht vollends überhandnehmen zu lassen.
Am Montag wird hier kaum mehr was davon zu sehen sein. Auch die bunten Menschenmassen werden sich dann wieder aufgelöst haben. Statt dem durch die Strassen dröhnenden Bass werden hier wieder Züri-Trams schrillen. Und die Banker in den Brioni-Anzügen werden wieder zügig einherschreiten.