Verdichtung
So plant Zürich für die nächsten 100 000 Einwohner

Bis 2040 dürfte die Verdichtung in Zürich stark zunehmen — und damit auch der Kampf um günstigen Wohnraum, Freiräume und Verkehrsmittel. Nun hat der Stadtrat einen Plan dafür vorgelegt.

Matthias Scharrer
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Boomstadt Zürich

Boomstadt Zürich

Limmattaler Zeitung

Im Jahr 2040 könnten in Zürich rund 520 000 Einwohner leben. Das wären etwa 100 000 mehr als heute – auf gleich grossem Siedlungsgebiet. Gleichzeitig soll die Zahl der Arbeitsplätze in der Stadt von 410 000 auf 452 000 steigen. Von diesem Szenario geht der Zürcher Stadtrat in seinem gestern veröffentlichten kommunalen Richtplan Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen aus.

Der Plane gibt Antworten auf Fragen wie: Wo sollen die Leute wohnen, wie in der Stadt verkehren, was für Energie verbrauchen? Nicht zuletzt geht es auch um Fragen der Sicherheit und Bildung: Die wachsende Stadt braucht mehr Schulraum, mehr Polizei- und Feuerwehrstandorte. Im erstmals erarbeiteten kommunalen Richtplan für Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen zeigt der Zürcher Stadtrat auf, wie die Limmatstadt in naher Zukunft aussehen soll. Und er legt fest, wo es trotz Verdichtung noch Grünflächen und Freiräume geben soll.

Eines vorweg: Alles neu erfinden musste er nicht. Die Bau- und Zonenordnung (BZO) von 2016 weist nämlich noch Reserven für bis zu 260 000 Personen durch Verdichtung auf. Mit dem neuen Richtplan werden diese Reserven um 10 bis 15 Prozent erhöht.

Hochbauvorsteher André Odermatt (SP) betonte gestern vor den Medien: «Das Wachstum findet in der ganzen Stadt statt.» Doch die Verdichtung werde nicht überall gleich sein.

Die Boomquartiere

Mehr als in der BZO vorgesehen soll im Norden, Westen und Süden verdichtet werden, nicht aber in den eher zentralen Stadtteilen sowie an Hanglagen wie Höngg und Fluntern. Das grösste Wachstum ist für Zürich-Nord geplant: von 143 000 Einwohnern im Jahr 2015 auf 196 000 ein Vierteljahrhundert später. Wobei mit Zürich Nord die Quartiere Affoltern, Seebach, Oerlikon, Schwamendingen, Unterstrass, Wipkingen und Leutschenbach gemeint sind.

Am zweitmeisten Einwohner kommen gemäss Richtplan im Westen der Stadt hinzu: Die Quartiere Altstetten, Albisrieden, Zürich-West und Wiedikon sollen bis 2040 um 23 000 auf 126 000 Einwohner zulegen.

Das prozentual zweitstärkste Wachstum verzeichnet gemäss Richtplan in den nächsten 25 Jahren der Süden der Stadt: In den Quartieren Friesenberg, Wollishofen, Leimbach und Witikon ist eine Zunahme um knapp 13 000 auf 57 000 Personen vorgesehen – also um knapp 30 Prozent.

Von zentraler Bedeutung für die Verdichtungspläne des Stadtrats ist die Verkehrserschliessung. Deshalb nennt er Altstetten als «räumlichen Schwerpunkt für die Innenentwicklung». Insbesondere der anstehende Ausbau des öffentlichen Verkehrs durch die Limmattalbahn biete Potenzial für die Entwicklung der angrenzenden Quartiere.

Auch das hohe Wachstumspotenzial im Norden der Stadt hat mit Tramausbauten zu tun: Zu nennen sind hier die Glattalbahn und das geplante Tram Zürich-Affoltern.

Was tun gegen steigende Mieten?

Mit der weiterhin erwarteten hohen Nachfrage nach Wohnraum in Zürich steigen ohne staatliche Eingriffe auch die Preise, wie der Stadtrat schreibt: alter, günstiger Wohnraum verschwinde, neuer, teurerer entstehe. Dies verändere das soziale Gefüge: Ohne wohnpolitische Massnahmen müsse mit Verdrängungs- und Entmischungsprozessen gerechnet werden. «Die Stadt setzt sich deshalb im Rahmen ihrer Möglichkeiten für die Bereitstellung eines substanziellen Anteils preisgünstigen Wohnraums in möglichst kleinräumiger Verteilung ein», heisst es dazu im neuen Richtplan. Es sei notwendig, zusätzlichen preisgünstigen Wohnraum zu schaffen und, sofern zweckmässig, bestehenden preisgünstigen Wohnraum zu erhalten.

Voraussichtlich ab 2019 gibt es dazu ein neues Mittel: Dann dürfte die vom kantonalen Stimmvolk 2014 beschlossene Gesetzesänderung in Kraft treten, wonach Gemeinden bei Aufzonungen einen Mindestanteil günstigen Wohnraums vorschreiben können. «Wo wir Potenzial für Aufzonungen sehen, werden wir das anwenden», sagte Hochbauvorsteher Odermatt.

45 Prozent öV-Anteil

Konkreter wird der Richtplan beim Reizthema Verkehr. Ähnlich wie beim Thema günstiges Wohnen hat das Stadtzürcher Stimmvolk auch dazu via Volksinitiative eine Zielvorgabe in der Gemeindeordnung verankert: Demnach dürfen in Zürich seit 2011 keine zusätzlichen Kapazitäten für den motorisierten Individualverkehr (MIV) geschaffen werden. Und: Der Anteil des Fuss-, Velo- und öffentlichen Verkehrs muss innert zehn Jahren um zehn Prozentpunkte steigen.

Nun hält der Stadtrat im kommunalen Richtplan fest, dass der wachstumsbedingte Mehrverkehr «nicht zu einer Zunahme des MIV in der Stadt insgesamt führen soll». Im ebenfalls gestern veröffentlichten kommunalen Richtplan Verkehr heisst es darüber hinaus: «Mittelfristig werden mindestens 80 Prozent aller Wege mit Quelle und/oder Ziel auf Stadtgebiet mit dem öffentlichen Verkehr, zu Fuss oder mit dem Velo zurückgelegt. Dabei wird der Anteil des öV auf mindestens 45 Prozent am Gesamtverkehr erhöht.» Damit wären die Vorgaben der Städteinitiative von 2011 mehr als erfüllt.

Mehr Fuss- und Velowege

Der Stadtzürcher Verkehrs-Richtplan sieht zudem auf den kommunalen Strassen generell Tempo-30-Zonen vor. Und: Er weitet den sogenannten «historischen Parkplatzkompromiss» aus. Die Anzahl der besucher- und kundenorientierten Parkplätze in der City und den citynahen Gebieten soll trotz dem Wachstum der Stadt auf dem Stand von 1990 bleiben. Neu soll das Prinzip, wonach Parkplätze oberirdisch abgebaut werden, wenn neue Parkhäuser entstehen, nicht nur in der City, sondern auch in anderen Quartieren gelten, wie Tiefbauvorsteher Richard Wolff (AL) sagte. Indem die Stadt Quartierparkhäuser fördert, sollen gemäss Richtplan anstelle von Strassenparkplätzen Velo- und Fusswege ausgebaut werden. Den Ausbau der Fusswege bezeichnete Wolff als zentrales Anliegen.

Auch einer der grössten Parkplätze der Stadt soll aufgehoben werden: Als Ersatz für den bestehenden Car-Parkplatz am Sihlquai sieht der Verkehrs-Richtplan einen Reisebus-Terminal an der Aargauerstrasse in Altstetten vor.

Die öffentliche Auflage des neuen Richtplans beginnt am kommenden Montag und dauert bis 22. November. Danach berät der Zürcher Gemeinderat das Papier. Und ehe es in Kraft treten kann, braucht es die Genehmigung durch die kantonale Baudirektion. Laut Odermatt hat diese für die nun vorliegende Fassung grünes Licht gegeben. «Wie es nach der Überarbeitung durch den Gemeinderat aussieht, werden wir sehen», sagte der SP-Stadtrat.

Der Hauseigentümerverband warnt

Als erster reagierte gestern der Hauseigentümerverband Zürich auf den kommunalen Richtplan. Er warnt davor, dass Vorgaben zum Bau günstigen Wohnraums die innere Verdichtung im Keim ersticken könnten. Grundsätzlich begrüsst der von FDP-Gemeinderat Albert Leiser geführte Verband aber den «gesamtheitlichen Ansatz der Stadt». Auch die SP begrüsst den von ihr einst per Motion geforderten, nun erstmals erstellten kommunalen Richtplan. Die CVP vermisst visionäre Vorstellungen. Die Grünen loben die Planung von Schulraum und Grünrauminfrastruktur, wünschen aber mehr Grün- und Freiräume. (mts)