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Region (LiZ)
Zürich
In Alters- und Pflegeheimen, die Gelder der öffentlichen Hand erhalten, soll begleiteter Suizid kantonsweit erlaubt werden. Dafür hat sich am Montag der Zürcher Kantonsrat ausgesprochen.
«Es gibt ein Menschenrecht auf Selbstbestimmung», sagte Hanspeter Göldi (SP, Meilen) im Zürcher Kantonsrat. Daher solle es in Alters- und Pflegeheimen, die von der öffentlichen Hand Geld erhalten, künftig kantonsweit erlaubt sein, mit Hilfe von Sterbehilfeorganisationen aus dem Leben zu scheiden. Heute liege dies im Ermessen der jeweiligen Heimleitung. Das soll sich nun ändern. Ein entsprechender Vorstoss von SP, GLP und Grünen fand gestern im Kantonsrat eine klare Mehrheit: SP, FDP, CVP, Grüne, GLP und AL gaben der parlamentarischen Initiative ihre vorläufige Unterstützung.
Dagegen sprachen sich SVP und EVP aus. Zwar sei er nicht grundsätzlich gegen Sterbehilfe in Alters- und Pflegeheimen, sagte Stefan Schmid (SVP, Niederglatt). Als Gemeindepräsident habe er Sterbehilfe in einem Alters- und Pflegeheim gar mit ermöglicht. «Aber ich bin froh, dass wir dies ohne staatlichen Zwang entscheiden konnten.» Denn die Zulassung von Sterbehelfern in Heimen könne für die Heimbewohner und das Personal eine grosse Belastung sein.
Statt Sterbehilfe müssten Solidarität und Fürsorge im Zentrum stehen, meinte Mark Wisskirchen (EVP, Kloten). Die EVP lehne den Sterbehilfe-Vorstoss als lebensbejahende Partei ab. Doch die Mehrheit war anderer Meinung.
In der Praxis sollen die Sterbehilfeorganisationen ihren Einsatz mit der jeweiligen Heimleitung absprechen, heisst es im Vorstoss der SP, GLP und der Grünen. So könnten involvierte Mitarbeitende informiert werden. Der Vorstoss stiess nicht nur bei rot-grün auf Anklang: «Es ist richtig, wenn Bewohnerinnen und Bewohner nicht mehr ihr Heim verlassen müssen, falls sie eine Sterbehilfeorganisation beiziehen», sagte Bettina Ballmer (FDP, Zürich). Erfahrungen damit gibt es bereits.
In den Stadtzürcher Alters- und Pflegeheimen sind Sterbehilfeorganisationen seit 2001 zugelassen. Dort seien lediglich zwei Prozent aller Todesfälle begleitete Suizide, sagte Gabriel Mäder (GLP, Adliswil). Somit könne die Betroffenheit bei den übrigen Heimbewohnern und beim Heimpersonal aufgefangen werden. Zudem deute nichts darauf hin, dass Sterbewillige vermehrt in die Stadtzürcher Heime zögen: Die Fallzahlen seien seit Längerem auf konstantem Niveau. Pro Jahr gebe es in den 24 Stadtzürcher Alterszentren durchschnittlich fünf bis sechs Freitodbegleitungen, sagte deren damalige Chefin Rosann Waldvogel 2017 in einem Interview mit «Exit Info».
Doch zurück zur Kantonsratsdebatte: «Der begleitete Freitod ist in der Schweiz erlaubt», betonte Silvia Rigoni (Grüne, Zürich). «Es ist unwürdig, wenn Menschen zum Sterben ihr Heim verlassen und in Hotelzimmer oder Exit-Sterbezimmer ausweichen müssen», so die Grüne weiter. Kaspar Bütikofer (AL, Zürich) doppelte nach: «Es kann nicht sein, dass man im Alters- und Pflegeheim entmündigt wird. Solange jemand in der Lage ist, seinen Willen selbst zu bilden, hat er das Recht auf Selbstbestimmung.» Dabei gehe es auch um Rechtssicherheit für die Bewohner der Institutionen, fügte Lorenz Schmid (CVP, Männedorf) an.
SP-Kantonsrat Göldi verwies darauf, dass der Kanton Neuenburg bereits 2014 eine Gesetzesänderung vorgenommen hat, wie sie jetzt der Zürcher Kantonsrat anstrebt. Das Bundesgericht habe diese bestätigt.
Nach der vorläufigen Unterstützung wird sich nun die zuständige Kantonsratskommission mit der Zürcher Vorlage befassen. Über den Kommissionsantrag entscheidet dann erneut der Kantonsrat.
Die Sterbehilfeorganisation Dignitas begrüsst in einer Medienmitteilung den Vorentscheid des Parlaments. Ihre Erfahrung zeige, dass die ergebnisoffene Auseinandersetzung über das eigene Lebensende mit erfahrenen Sterbebegleitern einsamen Suizidversuchen vorbeuge.