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Die Autorin und Verlegerin Yvonne-Denise Köchli hat einen Zürcher Reiseführer aus weiblicher Perspektive verfasst. Sie erklärt, wo der Schweizer Feminismus heute steht
Yvonne-Denise Köchli: Mich beeindruckt vor allem die Fülle von rund 650 Frauen aus Geschichte und Gegenwart, die Zürich mitgeprägt haben und die ich in diesem Buch sichtbar mache. Sie geben mir das Gefühl, dass ich in Zürich in einem Kontinuum von erfolgreichen und kreativen Frauen lebe. Das gibt mir Kraft für meine eigenen Projekte und ich hoffe, dass es meinen Leserinnen genau gleich ergehen wird.
Natürlich. Für Männer, die Frauen auf Augenhöhe mögen, ist das Buch bestimmt eine Bereicherung. Denn auch sie kennen ja nur die eine Hälfte der Geschichte von Zürich. Nervig finde ich, dass in allen gängigen Zürich-Führern fast immer nur Johanna Spyri als einzige Frau mit ihrem braven Heidi vorkommt. Heidi, diese Projektionsfläche, kümmert sich immer nur um die anderen, um den Grossvater, um Klara, um Peter, um den Doktor. Vielleicht waren wir deshalb so lange ein feministisches Entwicklungsland, weil wir den Heidi-Mythos hatten. Dabei gibt es so herausragende Persönlichkeiten wie Katharina von Zimmern. Die letzte Äbtissin des Fraumünsters war um 1500 die Stadtoberste. Ihr ist es zu verdanken, dass Zürich zur Zeit der Reformation nicht in einen Glaubenskrieg mit viel Blutvergiessen verwickelt wurde.
Das ist ja das Frustrierende: Einerseits ist die Frauenbewegung die erfolgreichste soziale Bewegung des 20. Jahrhunderts, anderseits haben wir keine Kontinuität in der Frauengeschichte und jede Frauengeneration fängt in vielen Belangen wieder bei null an. Die jungen Frauen von heute kämpfen für alte Themen wie die Lohngleichheit oder die Vereinbarkeit von Kind und Karriere, müssen sich aber zusätzlich mit neuen Themen herumschlagen wie der Pornografisierung des Internets oder dem «Slut Shaming», dem Fertigmachen von Frauen in den sozialen Medien. Als ich 1999 aus dem Journalismus ausstieg, hätte ich nie gedacht, dass es ein Buch wie das meinige 2016 noch braucht. Aber da in den vorhandenen Reiseführern nur 10 oder höchstens 20 Prozent Frauen vorkommen, muss ich mir eingestehen, dass ich mich getäuscht habe.
Wir erleben im Moment einen leisen, fast unbemerkten Rollback. Wir müssen unendlich viel Kraft aufwenden, um überhaupt das Erreichte zu bewahren. Ständig werden uns Debatten aufgedrängt, die unsere Errungenschaften gefährden. Die einzelnen Rückschritte sind zum Teil harmlos, aber in ihrer Fülle erhalten sie etwas Bedrohliches: Wir hatten mal vier Frauen in der Landesregierung, jetzt noch zwei. Das Gleiche gilt für die Stadtregierung von Zürich. Wir hatten jahrelang eine Standesvertreterin in Bern, seit Herbst 2015 keine mehr. Die Anzahl der Frauen im Gemeinderat ist rückläufig. Ebenso die Zahl der Postdoktorierenden an der ETH, und der Professorinnenanteil verharrt bei tiefen 12,8 Prozent. Und eben gerade wurde der Vaterschaftsurlaub abgeschmettert!
Es stimmt, die Buchverkäufe waren stark rückläufig. Die Biografien, die ich auf Auftrag hin schreibe, und meine Reiseleitung finanzieren die Bücher im regulären Programm, die für mich immer noch eine Herzensangelegenheit sind. Das neue Geschäftsmodell ist eine Konzession an den Zeitgeist. Die Leute wollen heute – wie in der Erlebnisgastronomie – den geführten literarischen Spaziergang machen. Danach kaufen sie vielleicht das Buch. Dabei könnten sie auch das Buch kaufen und den jeweiligen Streifzug auf eigene Faust angehen.
Nein. Am besten laufen bei mir die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen. «Dreckloch», das die Debatte über die Verdingkinder und die administrativ Versorgten ergänzte, war recht erfolgreich. Ein Longseller ist «Wie kluge Frauen alt werden» über die Erfahrungen mit dem Älterwerden. Und wenn man es genau betrachtet, ist ja auch «Miis Züri» nicht in erster Linie ein Reiseführer, sondern ein feministisches Narrativ, das einen politischen Anspruch hat.
Genau. Im Fall Blatter wollten es damals viele noch nicht wahrhaben, was bei der Fifa alles schiefläuft, und wieder anderen war das Buch zu differenziert, da es den Walliser ja nicht nur in seinen Schwächen, sondern auch in seinen Stärken zeigt.
Dass sie sich die kreativen Räume erhält. Die Gentrifizierung drängt wie überall auf der Welt in die einstigen Arbeiter- und Künstlerquartiere. Menschen mit viel Fantasie und wenig Geld – darunter viele Frauen – müssen weichen. Doch die Stadt ist gerade für Frauen sehr wichtig. Hier ist vieles möglich, was in der Provinz nicht geht. Zürich war schon immer ein Ort der Emanzipation. Früher kamen ungewollt Schwangere oder ledige Frauen mit Kindern hierher und arbeiteten in der Beiz, zwischen Kellnern und Gelegenheitsprostitution. Das war hart, aber doch eine Befreiung. Aber auch viele Kleinunternehmerinnen und Nischenplayer haben erst in der Stadt zu ihrem Glück gefunden.
Als unser Sohn für einen zweiten Master nach Oxford ging, war es ihm ganz wichtig, dass ihm seine türkische Ehefrau, eine Anwältin, nicht als blosses Anhängsel folgte, sondern dass sie auch eine gute Anstellung bekam, die ihren Lebenslauf aufwertet. Und er war sehr stolz, als sie in einer der besten Kanzleien von London eine Anstellung fand. Das liess auch mein Herz höher schlagen! Im Sommer kommen die beiden nach Zürich und vielleicht wird sie mit meinem Züri-Buch Deutsch lernen.
Buchvernissage «Miis Züri»
Dienstag, 28. Juni, 18.30 Uhr. Mit Stadtpräsidentin Corine Mauch im Rathaus Zürich, Limmatquai 55. Szenische Lesung und Musik von Vera Kaa.
Stadtführungen
Schreibende Frauen sehen Zürich
23. September/13. Oktober, 17 Uhr. Treffpunkt: Treppe Opernhaus. 35 Franken. Anmeldung: www.xanthippe.ch