Labitzke-Areal
Polizei soll sich um Besetzer kümmern

Der Kreativ-Oase droht nach 25 Jahren mit einer Räumung ein unschönes Ende.

Anna Wepfer
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Die Immobilienfirma Mobimo will auf dem Labitzke-Areal 245 Wohnungen bauen.

Die Immobilienfirma Mobimo will auf dem Labitzke-Areal 245 Wohnungen bauen.

ZKE

Der Zürcher Polizeivorsteher Richard Wolff (AL) steckt im Dilemma. Schuld ist die Hausbesetzerszene der Stadt Zürich. Für sie hegt der alternative Stadtrat gewisse Sympathien – es wurde auch schon kolportiert, seine eigenen Söhne wohnten in besetzten Gebäuden. Gleichzeitig ist Wolff aufgrund seines Amtes dafür verantwortlich, im Notfall besetzte Areale mit Polizeigewalt räumen zu lassen.

Im vergangenen Juni kam der Neo-Stadtrat in letzter Sekunde darum herum, seine Polizisten auf das Fabrikareal in der Binz zu schicken, weil die dortigen Besetzer freiwillig abzogen. Nun erreicht jedoch der nächste Konflikt seinen Siedepunkt. Diesmal auf dem Labitzke-Areal in Altstetten, das sich bereits seit einem Vierteljahrhundert in den Händen der kreativen Szene befindet. Die Bewohner sprechen von einer der letzten Oasen, wo die Zürcher Subkultur habe gedeihen können.

Kündigung auf Ende 2013

Das ist bald vorbei. Seit zwei Jahren gehört das Areal der Immobilienfirma Mobimo. Sie will die alten Gebäude der Farbenfabrik abreissen und an ihrer Stelle 245 Wohnung bauen. Die Firma hat deshalb den Kreativen, von denen inzwischen die meisten reguläre Mietverträge besitzen, auf Ende 2013 gekündigt. Nur zwei Mieter haben eine Fristerstreckung bis Ende Februar erhalten, zwei weitere Parteien wollen die Kündigung gerichtlich überprüfen lassen. Alle anderen gaben letzten Freitag die Schlüssel für ihre Ateliers und Wohnräume ab. Ein Mobimo-Bautrupp machte die geleerten Räume sogleich unbewohnbar, indem er Fenster und sanitäre Anlagen kaputt schlug.

Das hielt eine neue Besetzergruppe aber nicht davon ab, sich noch am Freitag auf dem Areal einzunisten und die Räume, wo möglich, wieder notdürftig instand zu stellen. Sie protestieren gegen den in ihren Augen unnötigen Abriss der Gebäude. Die Mobimo besitze noch nicht einmal eine Baubewilligung für die geplante Überbauung, argumentieren sie. Bis diese vorliege, könne es noch Jahre dauern.

Die Mobimo widerspricht. Sie rechnet damit, dass sie die Baubewilligung innert sechs Monaten erhält. Die Bauarbeiten sollen zwar erst Ende Oktober beginnen, der Rückbau sei aber jetzt schon dringend, sagt Sprecherin Christine Hug. Denn vor dem Spatenstich müsse der Boden von Altlasten befreit werden.

Dies dauere zusammen mit dem Abbruch der Gebäude zehn Monate. «Von Abriss auf Vorrat kann keine Rede sein.» Die Mobimo hat den Besetzern deshalb ein Ultimatum gestellt: Bis gestern hätten sie das Areal verlassen sollen. Passiert ist aber das Gegenteil: Wie ein Mieter auf Anfrage sagt, sind die Neuzuzüger eifrig daran, sich häuslich einzurichten. Nun geht auch die Mobimo auf Konfrontation. Gestern hat sie die Stadt Zürich darum ersucht, das Areal polizeilich zu räumen. Eine entsprechende Anzeige habe man schon vor zwei Jahren erstattet, sagt Hug. «Wir haben danach aber von einer Räumung abgesehen, weil wir wussten, dass wir nicht vor 2014 mit Bauen anfangen würden.» Die Anzeige sei nun wieder gültig.

Eine Räumung steht dennoch nicht gleich zur Debatte. Stattdessen ist ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung beauftragt worden, mit der Mobimo das Gespräch zu suchen. «Wir wollen klären, ob der Abriss wirklich schon jetzt nötig ist», sagt Urs Spinner, Sprecher des Hochbaudepartements. Auch er gibt zu bedenken, dass Beschwerden gegen die Baubewilligung den Baustart massiv verzögern könnten.

Dialog statt Grossaufgebot

Sicher ist, dass die Stadt Zürich ein Gebiet nur dann räumt, wenn alle anderen Wege versagen. «Wir setzen vor allem auf den Dialog mit Besitzern und Besetzern», sagt Spinner. Das könne zwar lange dauern, habe sich aber bei der Binz und beim Koch-Areal bewährt. Gegen eine kurzfristige Räumung des Labitzke-Areals spricht auch, dass die Besetzer in den gleichen Gebäuden wohnen wie jene Mieter, die bis Ende Februar bleiben dürfen. Die Polizei könnte also nicht das ganze Haus räumen, sondern nur einzelne Räume. Das macht die Stadtpolizei laut Spinner aber «normalerweise nicht».

Richard Wolff darf also aufatmen. Eine Räumung muss er wohl – zumindest vor den Wahlen am 9. Februar – auch diesmal nicht anordnen.