Der digitale Stadtführer macht Literatur auf 11 Routen zu Fuss erlebbar.
Die Bux-App ist ein digitaler Stadtführer, der auf 11 Routen dem Spaziergänger die Zürcher Literatur näherbringt. Die App wurde gestern von der Universität St. Gallen, der Zürcher Hochschule der Künste, von Zürich Tourismus und der Agentur Dreipol vorgestellt. Aus der Zusammenarbeit entstand ein innovatives Projekt an der Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis.
Ein Spaziergang ist dem Schriftsteller Max Frisch gewidmet. Am Heimplatz begrüsst der Zürcher Rapper Skor den literarischen Fussgänger über die Bux-App. Das Thema dieser Route ist «Heimat – eine Hassliebe».
«Die Idee stammt von der Kulturgeografin Clarissa Höhener. Ziel der App ist, Literatur auf eine neue Art zu erleben. Dabei verschmelzen die analoge und digitale Welt miteinander», sagt Stephanie Grubenmann, Verantwortliche des Projektes Bux. Nach der Begrüssung führt Skor zur ersten Station – dem Schauspielhaus. Mit einem 360-Grad-Video kann der App-Nutzer sich das Gebäude von innen ansehen, während er draussen steht. Auf der Bühne des Theaters hat Max Frisch 1974 – anlässlich der Schiller-Preisverleihung – über das Thema Heimat referiert. «Eine Ehrung aus der Heimat, weckt vor allem die Frage, was eigentlich unter Heimat zu verstehen ist», fragt Frisch in der nun eingespielten Rede.
Danach geht es zum Hirschengraben. Mittlerweile hat das Handy bereits über 30 Prozent des Akkus eingebüsst. Grubenmann sagt auf Anfrage: «Die App-Nutzung ist vergleichsweise energieintensiv. Vor allem wegen den 360-Grad-Videos.» Dennoch sollte ein halb voller Akku für den rund einstündigen Spaziergang ausreichen.
Eine Frauenstimme fordert den Spaziergänger dazu auf, kurz innezuhalten, und fragt: «Was bezeichnest du als Heimat?» Es folgt ein Quiz zum Thema. Der Fragebogen wurde aus Frischs Tagebüchern abgekupfert. Der Schriftsteller hat sich über Jahre hinweg intensiv mit eben solchen Fragen befasst. Die nächste Station ist das Grossmünster. Das Geläut aus den Türmen hallt auch in den Werken von Max Frisch wieder. Ein Video gibt Einblick in das Innenleben der Türme. Währenddessen liest Rapper Skor den passenden Auszug aus Frischs Tagebüchern vor.
Der Bildschirm wird schwarz. Der Akku ist leer. Für iPhones mit schwacher Batterie empfiehlt sich, vor Beginn des Spaziergangs auf den Energiespar- oder Flugmodus umzustellen. Android-Telefonierer sind derzeit noch vom Spaziergang ausgeschlossen. Laut Grubenmann ist diese geplant, jedoch deren Finanzierung noch nicht geregelt. Mit voll aufgeladenem Handy geht es weiter zur Münsterbrücke. Dort wurde Max Frisch einst von einem fremden Mann mit der Frage angesprochen: «Sir, wo möchten Sie denn leben?» Heute stellt Musiker Skor den Passanten diese Frage. Wie die Antworten zeigen, sind der Begriff und das Verständnis von Heimat vielfältig. Sie ist Geborgenheit, Sicherheit, Rückkehr, Weltoffenheit und Familie zugleich.
Beim Stadthaus wird der Spaziergänger dank der in der App integrierten Augmented-Reality-Funktionen auf eine Zeitreise mitgenommen. Ein 360-Grad-Bild zeigt das berühmte Gebäude vor 50 Jahren. Max Frisch selber erinnert sich in seinen Tagebüchern an die 1930er-Jahre in Zürich. Damals holte er im Stadthaus seinen Heimatschein und erhielt dabei zugleich und ungefragt einen amtlichen Arierausweis. Die Unterlagen benötigte er, weil er – eine Studentin aus Berlin, Jüdin – heiraten wollte. Es werden Parallelen zu seinem Werk «Homo Faber», das 1957 erschien, deutlich. Beim Stierbändiger Brunnen auf dem Bürkliplatz nimmt Max Frisch in einer Rede die unpolitische Schweizer Jugend in die Pflicht. Skor geht im anschliessenden Video sogar noch einen Schritt weiter und übt Weltkritik.
Auf Kritik folgt Idylle. In der Mitte der Quaibrücke geniesst der Spaziergänger die Aussicht in Richtung des Sees oder aber flussabwärts zum Stadtzentrum hin. Ganz touristisch darf hier ein Schnappschuss nicht fehlen. Auch diese Funktion bietet die App – ein Selfie, das die Tabakpfeife von Max Frisch ins Bild schneidet. Wem die einzelnen Schritte in der App zu schnell gehen, der wischt einfach vom rechten oberen Bildrand über den Bildschirm nach unten, um zur vorherigen Passage des Spaziergangs zu gelangen. Audio- und Videospuren können mehrmals abgespielt werden.
Und auf Idylle folgt Genuss. Wie man in der App erfährt, hat sich der Schriftsteller gerne im Café Oden oder dem traditionellen Restaurant Kronenhalle am Bellevue verköstigen lassen. Im gegenüberliegenden Restaurant Terrasse habe er gar einen Grossteil seiner
Tagebücher geschrieben. Zeit für eine Pause.
Frisch gestärkt führt der Spaziergang über den Sechseläutenplatz zum Quai. Die Stimme von Max Frisch fragt dabei: «Und wie verhält es sich währenddessen mit der Heimatliebe?» Keine einfache Frage. Während der Blick über den Zürichsee schweift und die Gedanken im Takt der kleinen Wellen plätschern, beantwortet Musiker Skor die Frage für sich. Die Audiostimme fordert, noch einen Moment innezuhalten und den Ausblick auf den Zürichsee zu geniessen. Wohl an diesem Ort hat Max Frisch seine Gedanken darüber festgehalten, was das Glitzern des blauen Sees in ihm auslöste.
Das Ende des Spaziergangs ist der Beginn für eine der restlichen 10 Routen durch das literarische Zürich. Das soll aber noch nicht alles sein. Die Macher der Bux-App planen bereits Erweiterungen: «Es gibt zwei Richtungen, die App weiterzuentwickeln: Entweder man nimmt weitere Städte in die Liste auf oder aber ergänzt die Spaziergänge um Themen wie Architektur, Musik oder der Geschichte der Stadt. Die App lässt sich auch gut in den Schulunterricht einbauen», so Grubenmann.