Der Zürcher Mieterverband kritisiert die Entwicklung von Zürich West scharf. Grossinvestoren hätten profitiert auf Kosten der Allgemeinheit.
Für den Zürcher Mieterverband ist der Stadtteil Zürich West mit seinen glänzenden Hochhäusern das Paradebeispiel einer Fehlentwicklung. Das machte er kürzlich an einer Informationsveranstaltung klar, mit der er einen Kontrapunkt setzen wollte zur Jubelstimmung, die vor einem halben Jahr an der Eröffnung der neuen Tramlinie durchs Trendquartier herrschte.
Oft Zweitwohnsitze
«Hier sehen wir zum ersten Mal, was dabei herauskommt, wenn die Stadt grosse Investoren ins Boot holt, um eine ‹global city› zu bauen», sagte Mediensprecher Walter Angst. Die öffentliche Hand habe viel Geld aufgeworfen, um die Infrastruktur auszubauen und so das Quartier aufzuwerten. Profitiert hätten davon aber in erster Linie ein paar wenige Grossfirmen wie Mobimo oder Allreal, nicht die Allgemeinheit.
Zürich West, seit den späten 1990er-Jahren Inbegriff des Zürcher Trendquartiers, hat einen neuen Treffpunkt. Auf einer Brache hinter dem Containerturm der Gebrüder Freitag hat vor kurzem «Frau Gerolds Garten» eröffnet. Es handelt sich um ein gezielt provisorisch wirkendes Gartenrestaurant mit 300 Sitzplätzen. Es setzt sich aus Schiffscontainern und Zelten zusammen und bedient gleichzeitig den Trend zum «urban gardening». In Holzkisten können die Städter hier Gemüse und Kräuter ziehen, die später in der Küche verwertet werden. Im Herbst sollen Mode- und Designläden dazukommen. Ein Team von erfahrenen Zürcher Szenegastronomen und Veranstaltern hat «Frau Gerolds Garten» in wenigen Monaten mit Beteiligung der Maag-Event-Hall aus dem Boden gestampft. Es ist ein Treffpunkt auf Zeit. In einigen Jahren soll gleichenorts das neue Kongresszentrum der Stadt entstehen, wenn es nach den Plänen des Zürcher Stadtrats geht. (hub)
Zwei Stadtgeografen, die im Auftrag des Mieterverbandes eine Studie über Zürich West erarbeiten, bezifferten die investierten Steuergelder auf 600 bis 900 Millionen Franken, die Gewinne der Immobilienunternehmen dagegen auf 3 bis 5 Milliarden. Die Bauherren hätten vor allem Wohnraum im Luxussegment geschaffen, der sich an Singles und Doppelverdiener richte; das seien schlechte Voraussetzungen für ein belebtes Quartier.
Zudem würden die teuren Wohnungen oft als Zweitwohnsitze genutzt, dort zögen also keine neuen Steuerzahler ein. Die Stadt habe ihre Chance verpasst, sich für eine bessere Durchmischung und mehr bezahlbaren Wohnraum starkzumachen.
Resignative Seufzer
Mit ihren Ausführungen lösten die Studienverfasser im Publikum wiederholt empörtes Gemurmel aus. Etwa als sie erzählten, dass die ZKB das Toni-Areal 2005 für 30 Millionen gekauft habe, um es nur zwei Jahre später für 95 Millionen an die Allreal weiterzuverkaufen – die die dortigen Räume künftig für gutes Geld an den Kanton vermieten wird. Zum Teil ertönte aber auch Hohngelächter. Etwa als die Studienverfasser aus einer Werbebroschüre für Wohnungen zitierten, die sich explizit an weibliche Singles richten – genauer: an «Versicherungsexpertinnen», die gerne noch etwas Raum hätten für ein «kreatives Hobby» vor der Staffelei oder auf der Yogamatte. Nicht zu überhören waren aber auch ein paar resignative Seufzer. Schliesslich sei der Zug in Zürich West schon vor Jahren abgefahren.
Weiter als bis zum Hardturm
Dieser Ansicht widersprach Walter Angst. Zürich West ende nicht beim Hardturm, sondern erstrecke sich noch weiter bis nach Altstetten. Was hier passiert sei, habe eine enorme Ausstrahlung auf die Nachbarquartiere. Deshalb müsse man jetzt die Lehren daraus ziehen. «Es braucht eine grundlegende Neuorientierung der Stadtentwicklung.» Den Kurs vorgegeben hat letztes Jahr das Zürcher Stimmvolk, als eine Dreiviertelmehrheit an der Urne beschloss, dass der Anteil gemeinnütziger Wohnungen in der Stadt bis 2050 von einem Viertel auf einen Drittel steigen solle.