Luftfahrt
Meyer: «Für das Swissair-Grounding braucht es keine Verschwörungstheorien»

Ausgerechnet der gute Ruf und die lange guten Finanzen der Swissair könnten die Airline ins Verderben gestürzt haben, sagt der Historiker Benedikt Meyer. Er hat die Schweizer Airlines erstmals wissenschaftlich untersucht.

Oliver Graf
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Schauspielerin Audrey Hepburn und Ehemann Mel Ferrer laufen am 30. April 1959 nach einem Flug mit einer Propellermaschine der Swissair übers Rollfeld.

Schauspielerin Audrey Hepburn und Ehemann Mel Ferrer laufen am 30. April 1959 nach einem Flug mit einer Propellermaschine der Swissair übers Rollfeld.

KEYSTONE

Herr Meyer, Sie begründen den Erfolg der Swissair in Ihrem Buch unter anderem mit dem Fehlen einer einheimischen Flugzeugindustrie.

Benedikt Meyer: Ja, so konnte die Swissair von Beginn an selbst entscheiden, welche Maschinen sie anschaffen will. Sie konnte auf modernes, passendes Material setzen. Andernorts wurden die nationalen Airlines zum Schutz der einheimischen Wirtschaft verpflichtet, die eigenen Flugzeuge zu kaufen. Das war vor dem Zweiten Weltkrieg sehr stark der Fall, teilweise aber auch noch danach. Mit der sagenhaft unrentablen Concorde mussten Air France und British Airways ja fliegen. Keine Gesellschaft ist je freiwillig mit einem Überschallflugzeug geflogen.

War die Swissair auch sonst frei?

Im Vergleich mit anderen nationalen Fluggesellschaften in Europa wurde sie von Beginn an weniger stark subventioniert. Der Einfluss des Bundes war damit automatisch geringer. Andere Airlines mussten auch, politisch vorgegeben, in die eigenen Kolonien fliegen. Ob sich das nun lohnte oder nicht. Derartige Zwänge hatte die Swissair nicht.

Eigentlich war es doch ein einfacher Markt. Der Luftverkehr nahm ja ab 1920 von Jahr zu Jahr zu.

Steigt die Zahl der Passagiere jährlich um 15 Prozent, ist es natürlich schon einfacher, Chef einer Fluggesellschaft zu sein. Aber man muss die sich bietenden Chancen auch erkennen und packen. Die Swissair hat das enorm gut gemacht. Das zeigen die Zahlen. Trotz ihres kleinen Heimmarktes war sie zehnmal so gross wie die österreichische Nationalfluglinie, sie war fast halb so gross wie die grosse Lufthansa. Dass die Swissair eine derartige Rolle einnehmen konnte, kam nicht einfach so. Sie hat geschickt agiert. Etwa mit ihrem Entscheid, als erste Gesellschaft in Europa Stewardessen einzusetzen.

Stewardessen als Erfolgsfaktor?

Das war ein sehr guter Schachzug. Denn in seinen Anfängen hatte der Luftverkehr keinen guten Ruf. 1930 endete noch jeder zehnte Flug der «Luft Hansa» mit einer unvorhergesehenen Landung. Manche Airlines warben mit Statistiken, dass jährlich immer weniger Tote zu beklagen seien. Das lockt keine Passagiere an. Indem die Swissair auf Stewardessen setzte, sandte sie ein Zeichen an die Geschäftsmänner aus: Fliegen, so die Botschaft, könne nicht so schlimm sein, wenn junge Frauen täglich und erst noch lächelnd mitfliegen.

Aber die Swissair erntete doch auch Kritik – ihr wurde fehlende Weitsicht vorgeworfen, weil sie bezüglich US-Flügen lange skeptisch war.

Es stimmt schon, dass die Swissair diesbezüglich vergleichsweise spät und eher zögerlich vorging. Andere Airlines waren schneller. Aber diese haben auch hohe Verluste eingefahren. Die Swissair hat stark auf die Kosten geachtet. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Bankern geführt. Das waren sehr vorsichtige Leute. Solange sich Nordatlantikflüge nicht rechneten, nahm sie die Swissair nicht auf. Auch wenn der Bundesrat aus volkswirtschaftlichen Überlegungen darauf drückte. Erst als Tests ab 1947 zeigten, dass die Flüge gewinnbringend durchgeführt werden könnten, wurden sie ab 1949 mal versuchsweise, danach definitiv eingeführt. Dann setzte eine unglaubliche Entwicklung ein. Am Ende waren es diese Nordatlantikflüge, die das Wachstum und den Erfolg der Swissair ermöglichten.

Weshalb?

Die Flüge von Zürich und Genf in die USA waren die ertragsreichsten der Swissair. Die Nachfrage war praktisch unbegrenzt. Die Ticketpreise waren lange sehr hoch, die Kosten vergleichsweise tief. 1965 reichte ein halb gefüllter Flieger aus, um schwarze Zahlen zu schreiben. 1994 mussten dafür drei Viertel aller Sitze von zahlenden Passagieren belegt sein.

Warum wurde die Swissair hier nicht stärker konkurrenziert?

Im stark regulierten Markt konnten auf Linienflügen zwischen der Schweiz und den USA nur Schweizer oder amerikanische Airlines fliegen. US-Gesellschaften wie TWA oder Pan Am vernachlässigten den Schweizer Markt. Ihnen schienen Destinationen wie Paris und London wichtiger zu sein. Zudem könnte sie der gute Ruf der Swissair auch etwas eingeschüchtert haben. In den 1970er-Jahren beförderte die Swissair zwei Drittel der Passagiere zwischen der Schweiz und den USA, die US-Airlines lediglich ein Drittel.

Ab den 1970er-Jahren verschlechterten sich die Rahmenbedingungen.

Ja, wobei den Verantwortlichen der Swissair weniger die Ölkrise im Jahr 1973, sondern vielmehr ab 1971 der starke Schweizer Franken zusetzte. Dieser drückte auf die Gewinne.

Der Beginn des Niedergangs?

Nach einem jahrzehntelangen Steigflug ging es für die Swissair zumindest nicht mehr weiter in die Höhe. Und ab 1990 haben sich die Ergebnisse dann massiv verschlechtert. Andere Fluggesellschaften haben in dieser Zeit energischer eingegriffen. Bei der Swissair könnten ausgerechnet der gute Ruf und die lange guten Finanzen dazu geführt haben, das sie eine entschlossene Anpassung an die neue Zeit verschlafen hat.

In einer Fussnote halten Sie fest, dass am Ende äussere Faktoren und missglückte Strategien ausreichen würden, um den Kollaps zu erklären. Reicht eine solch nüchterne Erklärung im hochbrisanten Swissair-Fall aus?

Es braucht zumindest keine Verschwörungstheorien. In emotional gefärbten Büchern und Filmen wird stark auf Personen fokussiert. Der Einfluss von Einzelfiguren wird aber generell überschätzt. Und wer nun dem kranken Patienten am Ende das falsche Medikament verschreibt, ist nicht die entscheidende Frage. Wichtig ist, warum er überhaupt krank geworden ist.

Das Buch «Im Flug» wirft einen wohltuend nüchternen Blick auf die Geschichte der Schweizer Airlines:

Benedikt Meyer, Historiker. Er hat mit «Im Flug» die erste wissenschaftliche Aufarbeitung von Angebot und Nachfrage der Schweizer Luftverkehrsgeschichte vorgelegt. Das Buch, das aus seiner Dissertation hervorgegangen ist, zeichnet die Geschichte der verschiedenen (wenigen) Schweizer Airlines von 1919 bis 2002 nach. Die Kapitel, die jeweils einen Zeitabschnitt von rund zehn Jahren umfassen, gliedert Meyer stets gleich: Zunächst stellt er die Periode in einen globalen Kontext (Politik, Wirtschaft, Technik). Danach beleuchtet er einerseits die Entwicklung der Schweizer Luftfahrtgesellschaften. Andererseits versucht er auch, die Kunden zu beschreiben, die in jener Zeit die Dienste der Fluggesellschaften in Anspruch genommen haben. Dieser Ansatz bewährt sich – lässt sich die Entwicklung einer nationalen Airline doch nicht ohne globale Sicht erklären; so führt etwa eine Ölkrise zu höheren Kosten, der Eiserne Vorhang wirkt sich auf die Zahl der möglichen Destinationen aus. Und der Blick von aussen – jener über die bislang wenig erforschten Passagiere – ermöglicht es, nicht nur harte, statistisch belegte Fakten zu erfassen, sondern auch weicheren, gesellschaftlichen Trends nachzuspüren.Anders als in bereits publizierten Büchern zur Swissair, die in anklagendem, kämpferischem oder gar polemischem Ton abgehalten sind, wirft Meyer als Historiker einen wohltuend nüchternen, klaren und klärenden Blick auf die Geschichte der Schweizer Airlines.Das zeigt sich insbesondere auch im letzten Kapitel, das den Zeitraum von 1990 bis 2002 und damit das Ende der Swissair umfasst. «Unter dem Strich ist die Geschichte der Swissair in den 1990er-Jahren die eines Unternehmens, dem es nicht gelang, sich an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen», schreibt der 32-jährige Meyer. «Die Verantwortlichen trafen dabei Entscheidungen, die in der Zeit als kühn galten, im Rückblick jedoch als verheerend erscheinen.» Je neuer die Quellen, desto heikler Das letzte Kapitel ist übrigens überraschenderweise ein kurzes – denn der Historiker hatte hier mit einer ungenügenden Quellenlage zu kämpfen. Viele Dokumente sind noch unter Verschluss, weil sie juristisch heikel sind. Andere sind unzuverlässig. So bezeichnet Meyer die Geschäftsberichte der Swissair ab 1990 als chaotisch; «Struktur und Layout wechselten beinahe jährlich, die Daten lassen sich kaum mehr über mehrere Jahre hinweg vergleichen und darüber hinaus bestehen erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit diverser Angaben.» Mit dem ruhigen Ton des Wissenschafters schafft es Meyer, die Geschichte der Schweizer Fluggesellschaften detailliert nachzuzeichnen, ohne sich dabei jedoch in Geschäftszahlen oder Passagierdaten zu verlieren. Die Swissair, die 1931 aus der Fusion von Ad Astra und der ersten Balair hervorgegangen war, steht dabei natürlich im Zentrum. Aber Meyer geht auch der Berner «Alpar» (Wortspiel aus Alpen und Aare) oder der Basler Chartergesellschaft «Globe Air» nach. Mit dem Einschub verschiedener Anekdoten und Details gelingt es ihm, die Entwicklung packend und auch überraschend darzustellen. Aus heutiger Sicht wirkt etwa der Umstand unvorstellbar, dass die Swissair bis 1975 eine Altersguillotine kannte; Stewardessen wurden mit 36 Jahren aus dem Dienst gedrängt — eine Heirat oder eine Schwangerschaft waren ebenfalls ein Kündigungsgrund. «Im Flug» ist der zweite Band der «Verkehrsgeschichte Schweiz», die der Chronos Verlag herausgibt. Der erste Band — «Die Erschliessung der dritten Dimension» von Sandro Fehr — widmet sich der zivilen Luftfahrtinfrastruktur. Benedikt Meyer: «Im Flug. Schweizer Airlines und ihre Passagiere, 1919–2002.» Chronos Verlag (2015), 370 Seiten, 58 Franken.

Benedikt Meyer, Historiker. Er hat mit «Im Flug» die erste wissenschaftliche Aufarbeitung von Angebot und Nachfrage der Schweizer Luftverkehrsgeschichte vorgelegt. Das Buch, das aus seiner Dissertation hervorgegangen ist, zeichnet die Geschichte der verschiedenen (wenigen) Schweizer Airlines von 1919 bis 2002 nach. Die Kapitel, die jeweils einen Zeitabschnitt von rund zehn Jahren umfassen, gliedert Meyer stets gleich: Zunächst stellt er die Periode in einen globalen Kontext (Politik, Wirtschaft, Technik). Danach beleuchtet er einerseits die Entwicklung der Schweizer Luftfahrtgesellschaften. Andererseits versucht er auch, die Kunden zu beschreiben, die in jener Zeit die Dienste der Fluggesellschaften in Anspruch genommen haben. Dieser Ansatz bewährt sich – lässt sich die Entwicklung einer nationalen Airline doch nicht ohne globale Sicht erklären; so führt etwa eine Ölkrise zu höheren Kosten, der Eiserne Vorhang wirkt sich auf die Zahl der möglichen Destinationen aus. Und der Blick von aussen – jener über die bislang wenig erforschten Passagiere – ermöglicht es, nicht nur harte, statistisch belegte Fakten zu erfassen, sondern auch weicheren, gesellschaftlichen Trends nachzuspüren.Anders als in bereits publizierten Büchern zur Swissair, die in anklagendem, kämpferischem oder gar polemischem Ton abgehalten sind, wirft Meyer als Historiker einen wohltuend nüchternen, klaren und klärenden Blick auf die Geschichte der Schweizer Airlines.Das zeigt sich insbesondere auch im letzten Kapitel, das den Zeitraum von 1990 bis 2002 und damit das Ende der Swissair umfasst. «Unter dem Strich ist die Geschichte der Swissair in den 1990er-Jahren die eines Unternehmens, dem es nicht gelang, sich an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen», schreibt der 32-jährige Meyer. «Die Verantwortlichen trafen dabei Entscheidungen, die in der Zeit als kühn galten, im Rückblick jedoch als verheerend erscheinen.» Je neuer die Quellen, desto heikler Das letzte Kapitel ist übrigens überraschenderweise ein kurzes – denn der Historiker hatte hier mit einer ungenügenden Quellenlage zu kämpfen. Viele Dokumente sind noch unter Verschluss, weil sie juristisch heikel sind. Andere sind unzuverlässig. So bezeichnet Meyer die Geschäftsberichte der Swissair ab 1990 als chaotisch; «Struktur und Layout wechselten beinahe jährlich, die Daten lassen sich kaum mehr über mehrere Jahre hinweg vergleichen und darüber hinaus bestehen erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit diverser Angaben.» Mit dem ruhigen Ton des Wissenschafters schafft es Meyer, die Geschichte der Schweizer Fluggesellschaften detailliert nachzuzeichnen, ohne sich dabei jedoch in Geschäftszahlen oder Passagierdaten zu verlieren. Die Swissair, die 1931 aus der Fusion von Ad Astra und der ersten Balair hervorgegangen war, steht dabei natürlich im Zentrum. Aber Meyer geht auch der Berner «Alpar» (Wortspiel aus Alpen und Aare) oder der Basler Chartergesellschaft «Globe Air» nach. Mit dem Einschub verschiedener Anekdoten und Details gelingt es ihm, die Entwicklung packend und auch überraschend darzustellen. Aus heutiger Sicht wirkt etwa der Umstand unvorstellbar, dass die Swissair bis 1975 eine Altersguillotine kannte; Stewardessen wurden mit 36 Jahren aus dem Dienst gedrängt — eine Heirat oder eine Schwangerschaft waren ebenfalls ein Kündigungsgrund. «Im Flug» ist der zweite Band der «Verkehrsgeschichte Schweiz», die der Chronos Verlag herausgibt. Der erste Band — «Die Erschliessung der dritten Dimension» von Sandro Fehr — widmet sich der zivilen Luftfahrtinfrastruktur. Benedikt Meyer: «Im Flug. Schweizer Airlines und ihre Passagiere, 1919–2002.» Chronos Verlag (2015), 370 Seiten, 58 Franken.

Bild: zvg