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Zürich
Ausgerechnet der gute Ruf und die lange guten Finanzen der Swissair könnten die Airline ins Verderben gestürzt haben, sagt der Historiker Benedikt Meyer. Er hat die Schweizer Airlines erstmals wissenschaftlich untersucht.
Benedikt Meyer: Ja, so konnte die Swissair von Beginn an selbst entscheiden, welche Maschinen sie anschaffen will. Sie konnte auf modernes, passendes Material setzen. Andernorts wurden die nationalen Airlines zum Schutz der einheimischen Wirtschaft verpflichtet, die eigenen Flugzeuge zu kaufen. Das war vor dem Zweiten Weltkrieg sehr stark der Fall, teilweise aber auch noch danach. Mit der sagenhaft unrentablen Concorde mussten Air France und British Airways ja fliegen. Keine Gesellschaft ist je freiwillig mit einem Überschallflugzeug geflogen.
Im Vergleich mit anderen nationalen Fluggesellschaften in Europa wurde sie von Beginn an weniger stark subventioniert. Der Einfluss des Bundes war damit automatisch geringer. Andere Airlines mussten auch, politisch vorgegeben, in die eigenen Kolonien fliegen. Ob sich das nun lohnte oder nicht. Derartige Zwänge hatte die Swissair nicht.
Steigt die Zahl der Passagiere jährlich um 15 Prozent, ist es natürlich schon einfacher, Chef einer Fluggesellschaft zu sein. Aber man muss die sich bietenden Chancen auch erkennen und packen. Die Swissair hat das enorm gut gemacht. Das zeigen die Zahlen. Trotz ihres kleinen Heimmarktes war sie zehnmal so gross wie die österreichische Nationalfluglinie, sie war fast halb so gross wie die grosse Lufthansa. Dass die Swissair eine derartige Rolle einnehmen konnte, kam nicht einfach so. Sie hat geschickt agiert. Etwa mit ihrem Entscheid, als erste Gesellschaft in Europa Stewardessen einzusetzen.
Das war ein sehr guter Schachzug. Denn in seinen Anfängen hatte der Luftverkehr keinen guten Ruf. 1930 endete noch jeder zehnte Flug der «Luft Hansa» mit einer unvorhergesehenen Landung. Manche Airlines warben mit Statistiken, dass jährlich immer weniger Tote zu beklagen seien. Das lockt keine Passagiere an. Indem die Swissair auf Stewardessen setzte, sandte sie ein Zeichen an die Geschäftsmänner aus: Fliegen, so die Botschaft, könne nicht so schlimm sein, wenn junge Frauen täglich und erst noch lächelnd mitfliegen.
Es stimmt schon, dass die Swissair diesbezüglich vergleichsweise spät und eher zögerlich vorging. Andere Airlines waren schneller. Aber diese haben auch hohe Verluste eingefahren. Die Swissair hat stark auf die Kosten geachtet. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Bankern geführt. Das waren sehr vorsichtige Leute. Solange sich Nordatlantikflüge nicht rechneten, nahm sie die Swissair nicht auf. Auch wenn der Bundesrat aus volkswirtschaftlichen Überlegungen darauf drückte. Erst als Tests ab 1947 zeigten, dass die Flüge gewinnbringend durchgeführt werden könnten, wurden sie ab 1949 mal versuchsweise, danach definitiv eingeführt. Dann setzte eine unglaubliche Entwicklung ein. Am Ende waren es diese Nordatlantikflüge, die das Wachstum und den Erfolg der Swissair ermöglichten.
Die Flüge von Zürich und Genf in die USA waren die ertragsreichsten der Swissair. Die Nachfrage war praktisch unbegrenzt. Die Ticketpreise waren lange sehr hoch, die Kosten vergleichsweise tief. 1965 reichte ein halb gefüllter Flieger aus, um schwarze Zahlen zu schreiben. 1994 mussten dafür drei Viertel aller Sitze von zahlenden Passagieren belegt sein.
Im stark regulierten Markt konnten auf Linienflügen zwischen der Schweiz und den USA nur Schweizer oder amerikanische Airlines fliegen. US-Gesellschaften wie TWA oder Pan Am vernachlässigten den Schweizer Markt. Ihnen schienen Destinationen wie Paris und London wichtiger zu sein. Zudem könnte sie der gute Ruf der Swissair auch etwas eingeschüchtert haben. In den 1970er-Jahren beförderte die Swissair zwei Drittel der Passagiere zwischen der Schweiz und den USA, die US-Airlines lediglich ein Drittel.
Ja, wobei den Verantwortlichen der Swissair weniger die Ölkrise im Jahr 1973, sondern vielmehr ab 1971 der starke Schweizer Franken zusetzte. Dieser drückte auf die Gewinne.
Nach einem jahrzehntelangen Steigflug ging es für die Swissair zumindest nicht mehr weiter in die Höhe. Und ab 1990 haben sich die Ergebnisse dann massiv verschlechtert. Andere Fluggesellschaften haben in dieser Zeit energischer eingegriffen. Bei der Swissair könnten ausgerechnet der gute Ruf und die lange guten Finanzen dazu geführt haben, das sie eine entschlossene Anpassung an die neue Zeit verschlafen hat.
Es braucht zumindest keine Verschwörungstheorien. In emotional gefärbten Büchern und Filmen wird stark auf Personen fokussiert. Der Einfluss von Einzelfiguren wird aber generell überschätzt. Und wer nun dem kranken Patienten am Ende das falsche Medikament verschreibt, ist nicht die entscheidende Frage. Wichtig ist, warum er überhaupt krank geworden ist.
Das Buch «Im Flug» wirft einen wohltuend nüchternen Blick auf die Geschichte der Schweizer Airlines: