Kantonsrat
Menschen mit Beistandschaft im Kanton Zürich sollen stimmen und wählen dürfen

Mit seiner Praxis, Menschen mit einer Beistandschaft das Stimmen und Wählen zu verbieten, verstösst der Kanton Zürich gegen die UNO-Behindertenrechtskonvention. Der Kantonsrat möchte dies nun ändern.

Sven Hoti
Drucken
In der Schweiz dürfen Menschen mit Behinderung lediglich im Kanton Genf politisch mitbestimmen.

In der Schweiz dürfen Menschen mit Behinderung lediglich im Kanton Genf politisch mitbestimmen.

Themenbild: Christian Beutler/Keystone

Im Kanton Zürich beanspruchten per Ende 2021 über 14’000 Personen eine Beistandschaft. Das sind meist Menschen mit einer psychischen oder kognitiven Beeinträchtigung, denen die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) einen sogenannten Beistand vermittelt, der beispielsweise die Aufsicht über deren Finanzen und Liegenschaften übernimmt, Rechnungen bezahlt oder den Einkauf für sie erledigt. Menschen, die besonders hilfsbedürftig sind, erhalten eine sogenannte umfassende Beistandschaft oder einen Vorsorgeauftrag. Ihre Zahl wird auf ein paar Hundert geschätzt.

Letztere dürfen im Kanton Zürich weder abstimmen noch wählen gehen. Das sei nicht nur demokratiepolitisch heikel, sondern verstosse auch gegen die UNO-Behindertenrechtskonvention, war sich am Montag eine Mehrheit im Kantonsrat einig. Mit 96 Stimmen überwies Links-Grün zusammen mit der Mitte deshalb eine entsprechende Behördeninitiative des Stadtzürcher Gemeinderats, mit der er eine kantonale Rechtsgrundlage schaffen will, damit auch Menschen mit einer dauerhaften Urteilsunfähigkeit abstimmen und wählen dürfen.

«Diskriminierend und unnötig»

Es gebe durchaus Personen, die nicht in der Lage seien, ihr Vermögen zu verwalten, jedoch die Fähigkeit besässen, eine politische Meinung zu bilden und diese zum Ausdruck zu bringen, sagte Kantonsrätin Mandy Abou Shoak (SP, Zürich). «Es ist diskriminierend und unnötig, Menschen pauschal die demokratischen Rechte zu entziehen.»

Benjamin Krähenmann (Grüne, Zürich) erinnerte daran, dass zahlreiche Länder wie etwa Italien, Frankreich, Österreich und Schweden bereits ein allgemeines Wahlrecht für Menschen mit Behinderung kennen würden, in der Schweiz ist es bis jetzt nur der Kanton Genf, der ein solches 2020 einführte. «Das 175-Jahr-Jubiläum der Bundesverfassung wäre ein guter Zeitpunkt, unsere Demokratie weiterzuentwickeln», so Krähenmann. Dabei gehe es aber nicht nur um die Demokratie, sondern auch um Menschenrechte.

Beiständinnen und Beistände unterstützen hilfsbedürftige Menschen bei den unterschiedlichsten Aufgaben.

Beiständinnen und Beistände unterstützen hilfsbedürftige Menschen bei den unterschiedlichsten Aufgaben.

Symbolbild: FG Trade/E+/Getty

Die Einschränkung politischer Rechte müsse mit grösster Zurückhaltung erfolgen, fand Gabriel Mäder (GLP, Adliswil). «Dass dabei gerade eine Massnahme, die zum Wohl und Schutz einer Person ausgesprochen wird, dazu führt, dass diese Person vom politischen Geschehen ausgeschlossen wird, ist störend.» Eine Verknüpfung der Erwachsenenschutzmassnahme mit den politischen Rechten erachtet Mäder daher als nicht notwendig. «Die Ausübung politischer Rechte ist eine Wertschätzung, die auch Personen mit einer Behinderung verdient haben.»

Die AL störte sich an der ihrer Meinung nach generell langsam laufenden Umsetzung der UNO-Behindertenrechtskonvention. «Es drückt sich eine paternalistische Haltung aus, die wirklich sehr von oben herab kommt. Die Gleichstellung wird nur widerwillig umgesetzt», sagte Anne-Claude Hensch (AL, Zürich).

«Zusätzliches Stimm- und Wahlrecht für Beistände»

FDP und SVP sprachen sich gegen die Behördeninitiative aus der Stadt Zürich aus. Für sie wäre das Missbrauchspotenzial zu hoch, insbesondere im Falle von Beistandschaften bei Personen mit andauernder Urteilsunfähigkeit. «Es handelt sich hierbei um ein zusätzliches Stimm- und Wahlrecht für Beiständinnen und Beistände», warnte Isabel Garcia (FDP, Zürich).

Die SVP stiess ins gleiche Horn. Susanne Brunner aus Zürich sagte: «Hier kann nicht mit Inklusion, Antidiskriminierung oder vermehrter Teilhabe argumentiert werden. Es würde sich um eine Aufweichung der verfassungsmässigen Grundsätze handeln.» Konkret würde das Prinzip der politischen Gleichheit verletzt, könnten Beiständinnen und Beistände indirekt mehrmals stimmen und wählen.

«Politische Beeinflussung kann immer stattfinden, wenn Menschen zusammenkommen und diskutieren», sagt Janine Vannaz (Mitte, Aesch).

«Politische Beeinflussung kann immer stattfinden, wenn Menschen zusammenkommen und diskutieren», sagt Janine Vannaz (Mitte, Aesch).

Bild: Andrea Zahler

Janine Vannaz (Mitte, Aesch) hielt einen allfälligen Missbrauch des Stimm- und Wahlrechts durch Beiständinnen und Beistände für «eher weit hergeholt». Die Beiständinnen und Beistände legten periodisch einen Rechenschaftsbericht bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde ab. «Das Amt wird in aller Regel vertrauenswürdig ausgeübt.» Darüber hinaus könne politische Beeinflussung immer stattfinden, wenn Menschen zusammenkämen und diskutierten.

Der Kantonsrat hat die Behördeninitiative der Stadt Zürich mit 96 von 60 notwendigen Stimmen überwiesen. Der Regierungsrat hat nun 18 Monate Zeit, Bericht und Antrag über die Gültigkeit und den Inhalt der Initiative zu verfassen. Danach entscheidet der Kantonsrat definitiv darüber.