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Region (LiZ)
Zürich
Nirgends ist der Alltag so hart wie in den Untersuchungsgefängnissen. Manche Insassen brechen nach kurzer Zeit zusammen. Nun reagiert das kantonale Amt für Justizvollzug auf Kritik gegen das restriktive Haftregime. Wer im Kanton Zürich längere Zeit in Untersuchungshaft steckt, soll intensiver betreut werden und mehr Zeit ausserhalb der Zelle verbringen.
Wer in Untersuchungshaft sitzt, ist noch nicht verurteilt. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung. Trotzdem bekommt er die volle Härte des Justizvollzugs zu spüren. Besonders hart ist der Aufenthalt im Untersuchungsgefängnis Zürich.
Es ist deutlich älter als jene in Dielsdorf, Dietikon, Pfäffikon und Winterthur. Markéta Hora, die stellvertretende Direktorin, führt durch die alten Gemäuer des vierstöckigen, beim Bezirksgericht gelegenen Gebäudes. Kabel und schiefe Lampen hängen von der Decke, die Luft ist dick. Erst recht in den kleinen Zellen.
Wer eine Doppelzelle belegt, teilt mit seinem Mitinsassen Lavabo, WC, TV-Gerät und einen kleinen Tisch mit Bänkchen und Stuhl. An Wochenenden verbringen die Insassen teils bis zu 23 Stunden in der acht Quadratmeter kleinen Zelle. An den Wochentagen, wenn mehr Personal im Einsatz ist, sind es 18 Stunden. Mehr als eine Stunde auf dem Spazierhof liegt nicht drin.
7.00 Wecken über den Zellenruf, Frühstück in der Zelle
7.45 Spazieren im Hof
9.00 Arbeitsbeginn in den Arbeitsräumen
11.00 Arbeitsende und Einschluss in der Zelle
11.30 Mittagspause mit Mittagessen in der Zelle
13.00 Arbeitsbeginn, z.B. in der Wäscherei oder im Kiosk
13.30 Beginn Gruppenvollzug (an 2 Tagen die Woche): Dabei können sich Insassen frei im Korridor bewegen und sich gegenseitig besuchen, die Zelle reinigen, duschen, Haare schneiden usw.
15.30 Ende Gruppenvollzug
15.45 Arbeitsende, Einschluss in der Zelle und Abendessen in der
Zelle.
(hz)
Im Durchschnitt verbringen die Insassen 54 Tage in Untersuchungshaft. Bei manchen dauert der Aufenthalt sogar Jahre. Eine Obergrenze gibt es in der Schweiz nicht. Hauptzweck ist es, zu verhindern, dass der oder die Inhaftierte flüchtet, rückfällig wird, sich absprechen oder auf Beweismittel einwirken kann.
In U-Haft werden Kontakte mit Personen ausserhalb des Gefängnisses strikter gehandhabt als in Institutionen mit rechtskräftig verurteilten Häftlingen. Da sie noch auf ihr Urteil warten, dürfen sie auch nicht an Resozialisierungsprogrammen teilnehmen. Am schwierigsten seien die ersten Tage, sagt Jérome Endrass, Forensiker und Stabschef beim Amt für Justizvollzug. Manche erlebten einen regelrechten Haftschock.
Die Suizidgefahr sei dann am grössten. Gegenüber einem herkömmlichen Gefängnis erhöhe sich das Risiko um den Faktor zehn. Das schwierige Umfeld sei sicherlich mit ein Grund.
Laut Endrass kämen immer mehr Insassen bereits belastet ins Gefängnis. Sei es, weil sie an psychischen Erkrankungen wie Depression oder Schizophrenie leiden oder Drogen konsumieren.
«Gegenüber früheren Jahren ist zu beobachten, dass sie tendenziell schlechter zwäg sind und mehr Betreuung beanspruchen.» Das verdeutlicht die Zahl der psychiatrischen Konsultationen in den Zürcher Gefängnissen. 2013 waren es 4700, seither stieg die Zahl kontinuierlich auf 6730 im Jahr 2017.
Die Aufenthaltstage in den 13 Institutionen des Zürcher Justizvollzugs sind 2017 gegenüber dem Vorjahr leicht gesunken. Die Auslastung der über 1300 Plätze lag bei 87,8 Prozent (Vorjahr 89 Prozent). «Wir sind stabil unterwegs», sagt Thomas Manhart, Chef des Amts für Justizvollzug. Einer der Gründe sei wohl, dass die Kriminalität allgemein abgenommen habe.
Zufrieden ist Manhart auch, weil letztes Jahr spektakuläre Fälle und Pannen ausblieben; 2016 sorgten die Kesb-Akten, die im Pöschwies landeten, sowie der Fall Kiko/Magdici für Schlagzeilen. 2017 floh dagegen niemand aus einem Zürcher Gefängnis. Und der Tscheche, der letzten Monat aus dem Gefängnis Horgen entkam und sich dabei verletzte, wurde gleich wieder gefasst. Zudem kam es nur noch dreimal vor, dass jemand im geschlossenen Regime nicht mehr aus dem Urlaub zurückkehrte (9 im Jahr 2016).
Zugenommen haben dagegen schwere Disziplinarvergehen wie etwa Schlägereien. 2017 gab es wie 2016 einen Suizid in den Zürcher Gefängnissen. 2015 waren es fünf. (HZ)
Nun reagiert das Amt für Justizvollzug. Es will die U-Haft lockern. Laut Roland Zurkirchen, Direktor der Zürcher Untersuchungsgefängnisse, werde man unter anderem die Betreuung verbessern, heisst: Die Aufseher sollen offener auf die Insassen zugehen. «Etwas, das traditionell nicht unbedingt zu den Stärken der Mitarbeitenden zählt», sagt Zurkirchen. Zudem sollen noch mehr Sozialarbeiter eingesetzt werden. Diese würden sich künftig nicht nur um die Häftlinge kümmern, sondern auch um deren familiäres Umfeld.
Der Ausbau soll durch anderweitige Einsparungen finanziert werden. Weiter kündigt Zurkirchen per Ende Jahr die Einführung eines Zweiphasenmodells an. Inhaftierte, bei denen keine Verdunkelungsgefahr besteht, sollen mehr Zeit ausserhalb der Zelle verbringen können.
Dafür geeignet sei der Standort Dietikon. Das Gefängnis Limmattal ist das modernste der fünf Untersuchungsgefängnisse. Ein lockereres Regime lässt sich dort einfacher umsetzen. Im Gefängnis Limmattal wird ausserdem per Anfang 2019 – mit einem Jahr Verzögerung – eine Abteilung für Krisenintervention eröffnet.
Profitieren sollen Insassen, die sich in einer akuten Krise befinden, aber nicht so stark suizidal gefährdet sind, als dass sie in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden müssten. In diesen werde je länger, je mehr erwartet, dass der Justizvollzug diese Patienten nach Möglichkeit selber betreue, sagt Endrass.
Die neue Abteilung im Limmattal bietet Platz für neun Häftlinge. Sie sollen nicht nur mehr Freiraum haben, sondern auch mehr soziale Kontakte pflegen und beispielsweise gemeinsam essen dürfen.