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Region (LiZ)
Zürich
Tobias K. war am 23. Juni nicht aus seinem Urlaubstag in die Strafanstalt Pöschwies zurückgekehrt. Erst neun Tage später informierte die Polizei die Öffentlichkeit über den geflohenen Häftling, was zu Kritik führte. Im „Talk Täglich“ äussert sich Justizdirektorin Jacqueline Fehr zu den Vorwürfen.
Die Zürcher Justizvorsteherin Jacqueline Fehr geriet gemeinsam mit ihrer Direktion in Folge des Verschwindens von Tobias K. unter Beschuss. Die SVP kritisierte insbesondere, dass die Bevölkerung nicht unmittelbar über den untergetauchten Häftling, welcher am 23. Juni die Strafanstalt Pöschwies für einen unbegleiteten Urlaubstag verlassen durfte, informiert worden war. Ebenfalls stellte SVP-Fraktionspräsident Jürg Trachsel klar: „Es geht nicht an, dass Schwerkriminelle unbegleitet Urlaub erhalten.“
Jacqueline Fehr, die sich bereits am Montag in einer Medienorientierung der Kritik stellte, betont im „Talk Täglich“ mit Moderator Markus Gilli, wie wichtig es ist, Häftlinge zu beurlauben: „Die Häftlinge bis zum Ende ihrer Strafe einzusperren, wäre zwar einfacher, aber es wäre sehr viel gefährlicher.“ Schliesslich müsse ein Häftling auch wieder auf den Alltag in Freiheit vorbereitet werden. Er müsse wieder lernen, Regeln zu akzeptieren und diese zu befolgen.
Auch in ihrer Amtsleitung schreibt die Direktion der Justiz und des Inneren: „Gefangene unvorbereitet in die Freiheit zu entlassen, hiesse viel mehr Risiken in Kauf zu nehmen. Zumal der Straftäter nach Absitzen seiner Strafe zwingend in die Freiheit entlassen wird.“
K. stand unter Aufsicht
„Im Fall K. hat die Justiz eng und sehr verbindlich mit seiner Familie zusammengearbeitet. Es wurden genaue Abmachungen getroffen“, sagt Fehr und stellt im nächsten Atemzug vehement klar: Unbegleiteter Urlaub bedeute nicht, der Häftling werde alleine gelassen – im Gegenteil: Es sei ein ganz präzises Programm mit noch viel genaueren Vorgaben als bei einem begleiteten Urlaub, bei welchem Beamte den Häftling begleiten.
Tobias K. stand den ganzen Tag unter Aufsicht eines Familienangehörigen, bis er diesen – seinen Vater – am Abend davon überzeugen konnte, dass er alleine in die Haftanstalt zurückkehrt.
Pro Jahr werden laut Manhart rund 500 Urlaube oder Ausgänge aus dem geschlossenen Vollzug gewährt. 98,5 Prozent davon werden "absolut korrekt absolviert". Bei den übrigen 1,5 Prozent handle es sich um Fälle, in denen Gefangene einige Minuten oder Stunden verspätet zurückkehren. "Eine Nichtrückkehr fand in den letzten Jahren nicht statt." Bis jetzt.
Justiz und Polizei getrennt
Eine Woche nach K.'s Flucht war es im Zürcher Seefeld zu einem Tötungsdelikt gekommen. Die Auswertung von Spuren hatten den 23-jährigen Häftling mit dem Delikt in Verbindung gebracht. Daraufhin hatte die Polizei K. zur Fahndung ausgeschrieben und als gewaltbereit eingestuft - dies geschah jedoch erst neun Tage nach dessen Verschwinden.
Nicht nur die SVP findet dieses Vorgehen dubios, sondern auch Gilli. Er will von Fehr wissen, ob die Polizei alles unter den Teppich habe kehren wollen und stattdessen lieber auf eine gute Wende gehofft habe. "Er wurde nicht gefasst, eine Woche später kam es zum Tötungsdelikt; das ist fatal!", sagt er empört.
Fehr stimmt ihm resigniert zu, stellt aber auch klar, dass Polizei und Justiz im Kanton Zürich getrennt sind; sie hatte also keinen Einblick in die polizeilichen Entscheidungen und wieso diese sich erst gegen eine öffentliche Fahndung entschieden hatten. Allerdings sei bereits am Abend des 23. Juni eine Zielfahndung eingeleitet worden, sowohl national wie auch international. In erster Linie sei von einer Flucht ausgegangen worden, nicht von einem drohenden Gewaltdelikt, wie es am Donnerstag, 30. Juni, passiert war. "Danach wurde die Öffentlichkeit sofort informiert."
Risikoeinschätzung schwierig
Die SP-Regierungsrätin wirkt während dem Gespräch mit Gilli, das zuweilen auch in intensive Diskussionen übergeht, zunehmend mitgenommen, fast erschöpft. Die ganze Situation scheint ihr unangenehm, schliesslich liege auch eine Falscheinschätzung der Justiz vor, gab sie bereits am Montag zu. Experten sind bei K. von einem nur geringen Risiko ausgegangen, da er in Haft ein starkes familiäres Umfeld besass; so hatte ihn seine Familie in den letzten Monaten mehr als 80 Mal besucht.
"Die Schwachstelle liegt darin, dass man mit Menschen zu tun hat, die ihr Innerstes nie ganz offenbaren." Das erschwere eine Risikoeinschätzung, dennoch müsse in einem Fall wie Tobias K., welcher zu einer endlichen Strafe – Ende 2017 wäre er voraussichtlich freigekommen – verurteilt wurde, eine solche erfolgen. Beim Umgang mit Menschen bestehe immer ein gewisses Restrisiko, erklärt Fehr. Die Justiz gehe zwar vom schlimmsten Fall aus, versuche dann aber einzuschätzen, wie wahrscheinlich dieser ist.