Zürich
Jacqueline Fehr plant ein Gesetz für Muslime

Zürich will als erster Kanton der Schweiz eine gesetzliche Grundlage für nicht-anerkannte Religionsgemeinschaften prüfen.

Katrin Oller
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Ohne professionelle Geschäftsstellen, wie sie Reformierte und Katholiken besitzen, könnten die Gemeinschaften unmöglich den gesellschaftlichen Erwartungen nachkommen, sagte Fehr.

Ohne professionelle Geschäftsstellen, wie sie Reformierte und Katholiken besitzen, könnten die Gemeinschaften unmöglich den gesellschaftlichen Erwartungen nachkommen, sagte Fehr.

MICHELE LIMINA

Wer sind die Menschen, die im Kanton Zürich einer anderen Religionsgemeinschaft angehören als der reformierten und der katholischen Kirche? Wie sind die Gemeinschaften organisiert und finanziert? Wo soll sich der Kanton einbringen? Dies wollte Regierungsrätin Jacqueline Fehr (SP) herausfinden und hat eine Studie in Auftrag gegeben. Am Dienstag hat sie die Ergebnisse mit den Autoren vom religionswissenschaftlichen Seminar der Universität Luzern und dem Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft der Universität Freiburg vorgestellt.

Die Studie konzentriert sich auf die beiden grössten Gemeinschaften, die christlich-orthodoxen Kirchen mit 40'000 Mitgliedern und die 100'000 Muslime. Beiden Dachverbänden fehlt es an Ressourcen und Strukturen. Alle Tätigkeiten lasten auf den Schultern von wenigen ehrenamtlichen Mitarbeitern. Ohne professionelle Geschäftsstellen, wie sie Reformierte und Katholiken besitzen, könnten die Gemeinschaften unmöglich den gesellschaftlichen Erwartungen nachkommen, sagte Fehr. Oft sei niemand da, um Auskunft zu geben oder Unterstützung zu leisten. Das führe zu Missverständnissen und Enttäuschungen.

Durch die mangelhafte Organisation sei auch die Finanzierung intransparent – oft sogar für die Mitglieder selbst, sagte Martin Baumann von der Universität Luzern. Allerdings seien Gelder aus dem Ausland die Ausnahme. Für gewöhnlich sei die Spendenbereitschaft der Mitglieder hoch. Auffallend sei auch, dass Frauen selten in den Organisationen vertreten seien.

Mehr Toleranz gewünscht

Die befragten Imame predigten zu zwei Dritteln auf Deutsch oder auf Deutsch und eine andere Sprache, seien aber ganz unterschiedlich ausgebildet, sagte Hansjörg Schmid von der Universität Freiburg. Sie interessierten sich sehr für Weiterbildungen und Qualitätszertifizierungen. «Viele Gemeinschaften wünschten sich mehr Toleranz und Offenheit», sagte Baumann. Die gesellschaftliche Akzeptanz sei ihnen wichtiger als die finanzielle Unterstützung ihrer Leistungen in Seelsorge, Jugendarbeit und Beratung.

Handlungsbedarf sieht Fehr in erster Linie bei den Muslimen, da sie im Zentrum der politischen Debatte stehen. Der Verband der orthodoxen Kirchen werde bereits von der katholischen Kirche unterstützt, die ihm eine Sekretariatsstelle finanziert. Deswegen plant Fehrs Departement eine Weiterbildung für Imame, da sie Vorbilder seien und mit den hiesigen gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Bedingungen vertraut sein müssten. Geplant sei ein CAS auf universitärem Niveau, sagte Fehr. In einem zweiten Schritt will sie die Strukturen stärken. Da die öffentlich-rechtliche Anerkennung der Religionsgemeinschaften politisch in den Hintergrund gerückt ist, will Jacqueline Fehr einen Zwischenweg beschreiten. Sie lässt eine gesetzliche Grundlage für nicht-anerkannte Religionsgemeinschaften prüfen. Ein solches Gesetz gebe es schweizweit noch nicht, «wir machen Pionierarbeit».

Gesetz schafft Verbindlichkeit

Heute seien die Religionsgemeinschaften wie Fussballclubs organisiert, ohne Transparenz über Mittel oder Strukturen, sagte Fehr. Sie erhalten dadurch auch keine Gelder für ihre Leistungen. Ein Gesetz würde mehr Verbindlichkeit schaffen und zugleich das Bedrohungspotenzial von bestimmten Gemeinschaften schmälern.

Vorstellbar wäre ein ähnliches Konstrukt wie bei der katholischen Körperschaft, losgelöst ist von der religiösen Leitung. Als Geltungsbereich sei eine Hürde von zwei Prozent der Bevölkerung denkbar, die eine Gemeinschaft repräsentieren muss. Auch unklar ist, ob es eine freiwillige oder zwangsweise Unterstellung braucht. Bis im Sommer 2020 wird ein Papier erstellt als Diskussionsgrundlage, ob ein solches Gesetz überhaupt der richtige Weg ist.