Zürich
«Im Gegensatz zu den Ärzten und Pflegenden bringen wir Zeit mit»: Seelsorger im Kinderspital

Im Kinderspital stehen Familien in Extremsituationen Seelsorger bei.

Drucken
Aushalten, was nicht auszuhalten ist: Im Kinderspital Zürich stehen Seelsorger den Patienten und Familien in schwierigen Situationen bei. (Archivbild)

Aushalten, was nicht auszuhalten ist: Im Kinderspital Zürich stehen Seelsorger den Patienten und Familien in schwierigen Situationen bei. (Archivbild)

Keystone

«Warum trifft es unser Kind? Warum lässt Gott das zu?» Immer wieder treffen die Seelsorger am Universitäts-Kinderspital Zürich auf die Frage nach dem Warum. «Das ist eine rhetorische Frage», sagt Pascale Killias, reformierte Pfarrerin und Spitalseelsorgerin. «Die Familien wollen meist keine Antwort, aber sie wollen die Frage stellen können.»

Die zwei reformierten und zwei katholischen Seelsorger am Kispi können nur versuchen, gemeinsam mit den Familien deren Lösungen zu suchen. «Im Gegensatz zu den Ärzten und Pflegenden bringen wir Zeit mit», sagt Sabine Bohnert. Zeit, um mit einer Patientin «Uno» zu spielen, am Bett eines schwerkranken Kleinkindes ein Lied zu singen, mit den Eltern über ihr Gottesbild zu reden und auch einmal mit den Geschwistern auf dem Gang zu spielen.
Sabine Bohnert ist katholische Theologin und stammt aus Freiburg im Breisgau. Sie teilt sich die Seelsorgestelle der Katholiken mit ihrem Stellenpartner Beat Röösli. Pfarrerin Pascale Killias aus Lenzburg und Pfarrer Hanspeter Schärer, der zuvor Pfarrer in Schönenberg war, teilen sich die reformierte Stelle. Täglich ist ein Seelsorger jeder Konfession im Kinderspital. Am Wochenende gibt es einen Pikettdienst.

 Hanspeter Schärer
4 Bilder
 Pascale Killias
 Beat Röösli
 Sabine Bohnert

Hanspeter Schärer

Limmattaler Zeitung

Wer im Anmeldeformular vermerkt, katholisch oder reformiert zu sein, bekommt Besuch einer Seelsorgerin oder eines Seelsorgers. Alle anderen werden auf Hinweis hin aufgesucht, denn sie sollen auch vom durch die Landeskirchen finanzierten Angebot profitieren. Der Kontakt entsteht etwa zur Familie des Kindes im Nachbarbett, oder die Seelsorger sprechen einen Vater an, der vor der OP weint. Oft empfehlen die Behandlungsteams, bei einer Familie vorbeizuschauen.

Abgewiesen werden sie selten: «Manchmal ist der Kontakt kurz, aber die Familien nehmen wahr, dass wir da sind», sagt Pascale Killias. Wenn die Eltern sich Sorgen machen, weil einem Kind etwas widerfahren ist, seien sich alle ähnlich, sagt Killias. Unabhängig von Konfession und Religion.

Glaubenssituation der Familie

Dennoch sind die Seelsorger manchmal die falschen Ansprechpartner, etwa bei orthodoxen Juden oder Zeugen Jehovas. Wo möglich, vermitteln sie einen Ansprechpartner. Eine Hilfe wären muslimische Kollegen, sagt Sabine Bohnert. Dies könnte bald Realität werden, da der Kanton ein Pilotprojekt angestossen hat zum Aufbau einer muslimischen Spital- und Notfallseelsorge.

Der Kontakt zu jeder Familie sei anders, sagt Sabine Bohnert: «Wir können nicht mit einem Plan an sie herantreten oder gar versuchen, den lieben Gott ans Bett zu bringen.» Die Seelsorger achten auf die Glaubenssituation der Familie. Hängt da ein Traumfänger? Ist es eine afrikanische Familie mit einer überschwänglichen Religiosität oder spielt Gott keine Rolle? «Für eine Abschiedsfeier eines Kindes, dessen Therapie abgebrochen worden war, bat mich die Mutter, bloss nicht mit Gott zu kommen», erzählt Bohnert. Sie habe auf traditionelle Gebete verzichtet. Die Anwesenden konnten eine Schwimmkerze in einer Glasschale anzünden und so dem sterbenden Kind ihre Wünsche mitgeben.

Auch bei Taufen – oft kurz vor dem Abschalten der lebenserhaltenden Maschinen, die surren, läuten und pfeifen – müssen sie erfinderisch sein. Auf der Intensivstation könne man kein Kind ins Leben taufen, sagt Pascale Killias. «Vielmehr wird es unter den Segen Gottes gestellt für den letzten Schritt, den es gehen muss.»

Mit den Spitalseelsorgern können die Familien über alles sprechen. Dass sie den Geschwistern gegenüber Schuldgefühle haben, weil sie so viel Zeit im Spital sind, dass sie sich sorgen, weil die Schwiegermutter gerade den Haushalt umorganisiert und auch über den Spitalbetrieb selber. «Wir haben eine Schweigepflicht», sagt Hanspeter Schärer. Da sie nicht am Spital, sondern von den Kirchen angestellt seien, könnten sie vermitteln.

«Manchmal sind wir auch nur da, um auszuhalten, was fast nicht auszuhalten ist», sagt Pascale Killias. Die Seelsorger sind nicht nur für die Patienten und deren Familien da, sondern auch für das Spitalpersonal. Zum einen für interne Weiterbildungen und interdisziplinäre Absprachen. Zum anderen auch seelsorgerisch: Kürzlich wurden sie vom Team der Onkologie angefragt, weil es ausnehmend viele Todesfälle gegeben habe, erzählt Pascale Killias. «Sie brauchten etwas, um diese Kinder verabschieden zu können.» Killias organisiert ein Ritual, wobei die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem Bach hinter dem Kispi Rosenblätter mitgaben. Einmal im Jahr findet auch ein Feuerritual statt, wobei Anliegenzettel aus dem Raum der Stille, Dankesbriefe, Fotos und Andenken verbrannt werden, die sich auf den Stationen angesammelt haben.

Kinder seien direkter als Erwachsene, sagen die Seelsorger. Sie sagen deutlich, was sie wollen und was nicht. «Sie schicken uns auch mal weg, weil sie das bei uns, anders als beim Spitalpersonal, tun können», sagt Bohnert.

Wie eine warme Decke

Auch zum Tod hätten Kinder oft einen anderen Zugang. Schärer erzählt von einer 15-Jährigen auf der Onkologie. Sie ärgerte sich darüber, dass ihre Eltern mit der Frage nach dem Warum haderten. Sie sehe das ganz anders: «Ich träumte einmal, ich sei mit meinen Brüdern beim Schlitteln, als wir plötzlich reinkommen mussten, obwohl wir gerne weitergemacht hätten. Wir waren wütend. Aber drinnen gab es heisse Schokolade, und wir durften unter eine warme Decke kriechen. Da wusste ich, so ist sterben.»