Startseite
Region (LiZ)
Zürich
Neu sind die Zimmer des ehemaligen Viersternehotels als Wohnungen vermietet. Die Lobby und das frühere Restaurant dienen als Gemeinschaftsräume. Der WG-Groove lässt aber noch auf sich warten.
Die rote Rumpelkiste kämpft sich den Hang hinauf und fährt in die Station Waldhaus Dolder ein. Dort öffnet das Zahnradbähnchen die Türen und spuckt eine Handvoll junger Fahrgäste aus. Sie eilen sofort auf den Ausgang der Haltestelle zu, huschen über den asphaltierten Vorplatz und verschwinden in einem der beiden Türme nebenan.
Grau und abweisend stehen die zwei Hochhäuser des einstigen Waldhauses Dolder da, obwohl sie bereits abgerissen sein sollten. Ein Rekurs verhindert jedoch den geplanten Neubau der Dolder Hotel AG (siehe Kasten links). Bis die rechtlichen Fragen geklärt sind oder eine Einigung erzielt ist, werden deshalb die einstigen Hotelzimmer als Wohnungen vermietet. Bis Ende 2019 wohnen Zwischenmieter darin.
Die beiden Betonhochhäuser des Waldhauses Dolder wurden 1975 anstelle eines bisherigen Hotels eröffnet. Die Dolder Hotel AG um Milliardär Urs E. Schwarzenbach will sie nun ersetzen, weil sie nicht mehr den Ansprüchen der Hotelgäste entsprächen. Der Entwurf des Architekturbüros Meili, Peter & Partner sieht für 100 Millionen Franken einen Neubau mit rund 100 Hotelzimmern, bedienten Appartements sowie einigen Mietwohnungen vor. Architektonisch lehnt sich der Bau mit seiner geschwungenen Form am The Dolder Grand an, dem exklusiven Mutterhaus. Ende vergangenen Jahres hätte das Waldhaus abgerissen werden sollen, doch ein Rekurs verzögert das Vorhaben. Was der Rekurrent, ein Nachbar, bemängelt, gibt die Dolder Hotel AG mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht bekannt. Sie versucht sich mit ihm aussergerichtlich zu einigen und hat den Baustart vorsorglich um zweieinhalb Jahre verschoben. Damit das Waldhaus nicht leer steht, hat sie die Firma Projekt Interim mit der zwischenzeitlichen Vermietung der Räume beauftragt. Per 1. Juli sind die ersten Mieter eingezogen. Sie haben einen Vertrag bis Ende 2019. (miw)
Das Grüppchen, das eben die Dolderbahn verlassen hat, gehört zu den Ersten, die eingezogen sind. Die Firma Projekt Interim, die auf die Zwischennutzung leerstehender Liegenschaften spezialisiert ist, hat die 70 Wohneinheiten zwar bereits per 1. Juli vermietet. Noch sind die meisten Zimmer aber nicht bezogen. «Es ist erst etwa ein Viertel der Leute da», schätzt Francis Gunzinger, ein Mieter, der erst eingezogen ist und beobachtet, wie sich das Waldhaus langsam mit Leben füllt.
Worauf er sich eingelassen hat, weiss Gunzinger selber noch nicht. Klar ist nur: Hier zu wohnen, ist ungewöhnlich. Die Räume sind eigentlich als Hotelzimmer konzipiert und werden nun als Wohnungen genutzt. Und sie haben einen gewissen Reiz. Denn die beiden wuchtigen Bauten aus den 1970er-Jahren befinden sich hoch über Zürich. Somit haben die meisten Zimmer und Wohnappartements des einstigen Viersternehotels Blick auf den Zürichsee. Dies alles zu einem fast unschlagbaren Preis: Ein rund 50 Quadratmeter grosses Hotelzimmer mit Balkon, Bad und Kochnische beispielsweise kostet monatlich rund 800 Franken.
Die Kehrseite der Medaille: Das Gebäude ist alt, und das bekommt man überall zu spüren. «Wenn der Mieter unter mir kocht, dann kann ich riechen, was es bei ihm zum Abendessen gibt», sagt Gunzinger. Er lebt mit zwei Freunden in einer Wohngemeinschaft mit vier Räumen, die insgesamt aus drei zusammenhängenden Hotelzimmern besteht. Der Vorteil: Jeder hat ein Bad für sich.
Apropos Bad: Auch davon bekommt Gunzinger viel mit. Wenn einer der WG-Kollegen oder ein Nachbar die WC-Spülung betätigt, hört er es. Den 32-Jährigen, der als Account Manager in einer Firma für Medizinaltechnik arbeitet, stört dies aber nicht. «Wer sich auf ein solches Projekt einlässt, sollte sich nicht über Lärm oder Gerüche beklagen», sagt er.
Für die WG im Waldhaus haben sich Gunzinger und seine Kollegen aus einer Notlage heraus beworben, weil sie aus ihrer bisherigen Wohnung ausziehen mussten. «Wir waren froh um jede Unterkunft, die wir bekommen konnten», sagt er. «Wohnungsnot ist in Zürich Realität.»
Am Beispiel Waldhaus zeigt sich dies eindrücklich: Für die 70 Wohnungen bewarben sich 2500 Personen. «Wir mussten manche Überstunden leisten, um all die Dossiers zu prüfen», sagt Lukas Amacher, Finanzchef von Projekt Interim. Bei der Auswahl achtete die Firma auf eine gute Durchmischung sowie Quartierverträglichkeit. Das Waldhaus – neu nennt es sich Waldhuus – sollte nicht zu einer reinen Studentenbude werden. «Wichtig ist, dass sich die Leute bewusst sind, in welches Quartier sie ziehen», sagt Amacher. Es sei eine ruhige Gegend. Wilde Partys im Waldhuus würden nur die Nachbarn vergraulen.
Die Bewohner, die berücksichtig wurden, sind zwischen 20 und 60 Jahre alt und üben die verschiedensten Berufe aus. Singles, Paare und Wohngemeinschaften befinden sich ebenso darunter wie geschiedene Männer und alleinerziehende Mütter. Mit dieser Mischung wird das Waldhuus so etwas wie ein soziales Experiment. «Hier sollen sich Leute treffen, die sich sonst nicht begegnen würden», sagt Amacher. «Zwischennutzungen sind meistens wie eine grosse WG.»
Noch ist davon aber wenig zu spüren. «Im Moment ist es sehr ruhig», sagt Francis Gunzinger. Immerhin: «Wenn man jemanden auf dem Nachbarbalkon sieht, grüsst man sich.» Im Moment begegnet der 32-Jährige anderen Mietern am ehesten im Gang – obwohl es im Erdgeschoss, wo einmal das Restaurant war, Gemeinschaftsräume gäbe. Ein Billardtisch und ein Töggelikasten stehen da, eine Lese- und Fernsehecke ist eingerichtet sowie eine Küche eingebaut für all jene, die nicht die kleine Kochnische im eigenen Zimmer nutzen wollen. Eine Mieterin hat die Küche bereits einmal ausprobiert: «Ich hatte Gäste bei mir, und da wir viele Leute waren, assen wir im Gemeinschaftsraum», erzählt sie. «Meine Freunde haben gestaunt, was es hier alles gibt.»
Bald soll es noch mehr geben, einen Fitnessraum zum Beispiel. Und dann ist da noch die leer geräumte Bähnli-Bar, die mit Initiative der Bewohner wieder zum Leben erweckt werden könnte.
Etwas mehr Leben im Haus – genau dies würde sich Francis Gunzinger noch wünschen. «Es wäre toll, wenn etwas mehr laufen würde und man die Nachbarn kennt», sagt er. Rauschende Feste feiern will allerdings auch er nicht. In erster Linie ist er zum Wohnen hier, und er schätzt auch die eigenen vier Wände.
Was also wird das Waldhuus letztlich werden? Eine WG oder doch eher ein Hotel? Vermutlich beides. So, wie jeder eben will.