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In den 1970er- und 80er-Jahren wurde Harald Naegeli wegen seinen Strichmännchen und -weibchen als «Sprayer von Zürich» bekannt und polizeilich verfolgt. Später fand er als Künstler internationale Anerkennung. Jetzt kann der 78-Jährige in Zürich ein langersehntes Projekt realisieren: einen gesprayten Totentanz in den Türmen des Grossmünsters.
Allerdings stellt der Kanton als Liegenschaftsbesitzer eine spezielle Bedingung: Nach vier Jahren muss das Werk wieder vollständig entfernt werden, weshalb ein Graffitischutz darunter angebracht wird, wie der «Tages-Anzeiger» gestern meldete. Jetzt spricht Naegeli darüber.
Harald Naegeli: Es kommt für mich überraschend, dass ich die Zusage doch noch erhalten habe. Und es ist nicht unproblematisch: Bisher habe ich immer autonom gearbeitet. Jetzt ist eine Koordination mit den Behörden unabdingbar.
Ich mache erst Skizzen. Es wird ein Totentanz sein, der unsere moderne Zeit mit all ihren Insignien der Macht beinhaltet, vielleicht mit einer grosse Wanze als Metapher der Waffenschieberei in der Politik. Aber es ist mir unmöglich, das in Worten auszudrücken. Ich ziehe deshalb Bilder vor. Ich habe mit dem Skizzieren von möglichen Konzepten bereits angefangen. Im Zeitraum bis nächsten Frühling soll das Werk dann abgeschlossen sein.
Vielleicht sind die Beamten Utopisten und der Meinung, ein Totentanz könnte ihren treuen Glauben an die Ästhetik und Bedeutung von nackten Steinen nach vier Jahren ernsthaft infrage stellen. Man könnte auch fragen: Warum werden die Grossmünster-Fenster von Sigmar Polke und Augusto Giacometti nicht ebenfalls wieder entfernt? Die bemalten Fenster stellen nichts infrage. Sie bestätigen nur, was schon lange ist.
Die Gründe für die erwähnte Vierjahresfrist könnten auch in meinem neuen Kunstbegriff liegen. Ich bin ja nicht ein etablierter Künstler, sondern ein Pionier der Street Art. Ich galt lange als Staatsfeind und war mit internationalem Haftbefehl ausgeschrieben. Gleichzeitig ist jetzt die Zusage für das Totentanz-Projekt auch eine Öffnung gegenüber mir.
Es ist die Antwort der Kunst vor der Realität des Todes. Das Unvermeidliche wird beantwortet mit der menschlichen Geste der Gestaltung. Damit zeigt der denkende Mensch, dass er den Tod ebenso wie das Leben als unendlichen Prozess der Natur verstanden hat.