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Zürich
Für Hetze gegen Säkulare gebe es im Koran keine Grundlage, sagt Samuel Behloul, Islamwissenschafter und Fachleiter im Zürcher Institut für interreligiösen Dialog. Er verweist aber auf scheinbare Widersprüche in den Heiligen Schriften.
Samuel Behloul: Über den Einzelfall kann ich nicht aus eigener Erfahrung sprechen. Ich selbst bin schon jungen Menschen von der Koranverteilaktion «Lies!» begegnet, die mir sagten, dass sie die An’Nur-Moschee besuchen. Wenn sich im Dunstkreis dieser Moschee konservative Muslime bewegen, müssen sie deswegen nicht automatisch gefährlich sein. Aber es können dort Menschen Anschluss finden, welche die Gesellschaft ablehnen und die auch gewalttätig werden können. Wir wissen, dass aus ihrem Umfeld schätzungsweise 40 bis 50 junge Menschen nach Syrien und in den Irak gereist sind.
Bilder von der Polizeiaktion vom Mittwochmorgen in der An'Nur Moschee in Winterthur:
Das entspricht sicher nicht den Ausführungen im Koran. Solche Regeln kann ich mir dort vorstellen, wo der Islamische Staat herrscht. In meiner langjährigen Forschung zu Muslimen und dem Islam in der Schweiz ist mir aber nicht ein einziger Imam begegnet, der so etwas gesagt hätte. Im Gegenteil, für sie ist jeder Mensch frei und es werde niemand zur Religion gezwungen. Es ist also jedem selber überlassen, wie häufig er betet.
Einen unmittelbaren Missionsauftrag kennt der Islam nicht, aber dafür das Konzept der Dawa, der Einladung zum Islam. Nach der raschen Ausbreitung des Islam ab dem 7. Jahrhundert wurde die nichtmuslimische Bevölkerung unter muslimischer Herrschaft eingeladen, den Islam anzunehmen. Es ist historisch belegt, dass man ihnen den Islam in der Regel nicht aufzwang, wenngleich ihnen eine Sondersteuer auferlegt wurde. Ein anderes Konzept besagt, dass ein Muslim die Nichtmuslime von der Richtigkeit des Islam überzeugen soll, indem er mit einer guten Lebensführung und einem guten Umgang mit den Mitmenschen vorangeht.
Dazu gibt es widersprüchliche Aussagen im Koran. Einerseits wird dem Propheten Mohammed offenbart: Wer sich vom Islam verabschiedet hat, über den soll Gott das letzte Urteil sprechen – und nicht der Mensch. Andererseits gibt es tatsächlich Aussagen im Koran aus Mohammeds medinensischer Phase, dass die vom Islam Abgefallenen ein Todesurteil verdienen. Man muss das aber im Kontext des Kriegszustands sehen: Abfall vom Islam kam damals Fahnenflucht gleich, weil man zum Feind überlief, und Fahnenflucht wurde in allen Kriegen mit dem Tode bestraft.
Wie er seinen Job dort erhalten hat, weiss ich nicht. Wichtig zu wissen scheint mir, dass es in Äthiopien seit Jahrhunderten ein friedliches Miteinander zwischen Muslimen und Christen gibt. Wegen geografischer Nähe gibt es aber auch Versuche von der Arabischen Halbinsel aus, die Muslime mit dem Wahhabismus religiös zu beeinflussen. Auch die radikale islamistische Bewegung al-Shabbab versucht von Somalia aus, an Einfluss in Äthiopien zu gewinnen. Viele Muslime in Äthiopien können aus historischen Gründen Arabisch. Und für einen Arabisch sprechenden Muslim im Grossraum Zürich ist es naheliegend, in die An’Nur-Moschee zu gehen, wo Arabisch gepredigt wird, statt in eine bosnische oder albanische Moschee.
Natürlich. Sie müssen bedenken, dass jemand in Äthiopien als Muslim ganz anders sozialisiert wird als auf dem Balkan oder in Westeuropa. Auch das Koranstudium, wenn der Imam denn studiert hat, unterscheidet sich in Sarajevo stark von der Ausbildung auf der Arabischen Halbinsel.
Mir sind die Bedingungen, unter denen die Imame dort angestellt wurden, nicht bekannt. Das könnten wie in vielen bosnischen oder albanischen Moscheen behördlich zugelassene Ausländer mit Arbeitsbewilligung sein. Oder es könnten «Touristenimame» mit Touristenvisa sein.
In den Moscheen, die ich in meiner Forschung untersucht habe, waren die Abläufe klar und transparent geregelt. Wenn wir den bosnischen Moscheeverein als Beispiel nehmen: Dieser stellt bei der Religionsbehörde in Sarajevo einen Antrag, und wenn die Bedingungen erfüllt sind, schickt diese einen Imam. Bei diesem gibt es dann die Garantie, dass er den bosnischen Islam vertritt. Das Gleiche gilt für Kosovo, Mazedonien und die Türkei.
Und wenn sie dann noch von besonders wertkonservativen Muslimen besucht wird, kann der Anspruch entstehen, einen entsprechenden Imam zu wählen. Dazu kommt ein weiterer Aspekt: Solange Religion an eine Kultur gebunden ist, wird sie nicht radikal. Wenn sie aber von kulturellen Einflüssen «gesäubert» wird, ist man schnell beim Fundamentalismus. Das kennt man auch von einzelnen christlichen Gruppen.
Das islamische Recht schreibt vor, dass sich Muslime an fremden Orten an die dort geltenden Gesetze halten müssen, solange die religiöse Freiheit gegeben ist. Sonst sollen sie das Land verlassen. Aber das bezieht sich vor allem auf Händler, die früher unterwegs waren. Im Koran war nicht vorgesehen, dass eines Tages so viele Muslime ausserhalb muslimischer Staaten leben. Grundsätzlich bietet das islamische Recht aber so viel Spielraum, dass es kein Problem ist, muslimisches Leben in einem anderen Kontext aufzubauen. Die Geschichte des Islam zeigt, dass sich in verschiedenen Kulturen verschiedene Spielarten des Islam entwickelt haben. Und ähnlich wird es auch in Europa sein.
Die Herausforderung ist es, die Bedingungen auszuhandeln. Mit den lokalen Behörden und unter den Muslimen selbst, nicht zuletzt, weil es keine religiösen Autoritäten und keine Institutionen wie die Kirche gibt und vor allem weil Muslime in Westeuropa eine sehr vielfältige Gemeinschaft mit unterschiedlichen Meinungen und Erwartungen bilden.