Virtual Reality Cinema
Das Kino am Kopf wird "das nächste grosse Ding"

Corinne Oschwald hat in Zürich eine neue Kinosparte mit lanciert.

Matthias Scharrer
Drucken
Das neue Kino ist tragbar. Hier präsentiert Corinne Oschwald es im Zürcher Hauptbahnhof.

Das neue Kino ist tragbar. Hier präsentiert Corinne Oschwald es im Zürcher Hauptbahnhof.

Matthias Scharrer

Corinne Oschwald setzt mir die überdimensionale Brille auf, in die sie ihr Handy eingespannt hat. Ich befinde mich nun inmitten eines Sees. Drehe ich mich um, sehe ich, wie sich das Wasser hinter mir kräuselt. Rechts geht gerade die Sonne auf. Vorne zuckelt eine Dampflok am Ufer an, biegt ins Wasser ab und rast plötzlich auf mich zu. Mein Verstand weiss: Es ist nur ein Film. Doch meine Wahrnehmung warnt: Achtung, Gefahr! Im letzten Augenblick, bevor der Zug mich zu überrollen droht, schliesse ich die Augen. Als ich sie wieder öffne, löst sich der Zug in einen Vogelschwarm auf. Zugvögel. Noch Minuten, nachdem ich die Kinobrille weggelegt habe, schwirrt mir der Kopf.

In echt sitzen wir im Restaurant «Imagine» im Hauptbahnhof Zürich. Doch dank Oschwalds Handy und der grossen Brille ist eine andere Welt zum Greifen nahe: Es ist die Welt des Virtual Reality Cinemas, das Oschwald zusammen mit ihren Kollegen Dimitri Nabatov und Nicola Staub in Zürich lanciert hat.

Kino spielte schon immer virtuelle Realitäten vor. So sollen Besucher eines Cafés in Paris angeblich aus Angst die Flucht ergriffen haben, als dort 1895 der Kurzfilm der Brüder Auguste und Louis Lumière über die Ankunft eines Zuges im Bahnhof La Ciotat uraufgeführt wurde. Doch wohl noch nie wirkte die virtuelle Realität des Films so raumgreifend real wie jetzt.

Punkto Pixel ist die Bildqualität im herkömmlichen Kino zwar besser als bei heutigen Virtual-Reality-Filmen. Aber dass der Zuschauer mit dem Kino am Kopf durch seine Bewegungen nach vorne, hinten, rechts, links, oben und unten im Film seine eigene Perspektive wählen kann, ist neu. Dazu dient unter anderem eine Produktionstechnik, bei der Digitalkameras dutzendweise im Kreis angeordnet werden, sodass sich die bewegten Bilder im 360-Grad-Radius zusammenfügen lassen. Entwickelt wurde sie von der Porno- und der Gameindustrie.

Corinne Oschwald hörte erstmals letztes Jahr davon. Anfang dieses Jahres eröffnete in Amsterdam das nach eigenen Angaben erste Virtual-Reality-Kino der Welt. Bald folgte ein Nachahmer in Berlin. Und im vergangenen Mai schrieb Oschwald via Facebook erstmals einen Virtual-Reality-Kinoabend in Zürich aus – nur, um zu sehen, ob es eine Nachfrage gäbe. Es gab sie: «Wir hatten 700 Anmeldungen», sagt die 29-Jährige. Da ahnten Oschwald, Nabatov und Staub, dass sich damit ein Geschäft machen liesse.

Schreiendes Publikum

Sie kauften 20 Spezialbrillen, dazu geeignete Handys, Drehstühle, Filmlizenzen und lancierten im Juli in den Zürcher Clubs «Aura» und «Mascotte» ihre ersten Virtual-Reality-Kinoabende. Mit Erfolg: «Es war immer ausverkauft.» Nun sind am 3. und 24. September im «Kaufleuten»
(13 bis 19 Uhr) weitere Veranstaltungen ihres Virtual Reality Cinemas geplant. Und ab 5. September findet es jeweils am Montag- und Dienstagabend (18 bis 22 Uhr) im Club Icon nahe beim Paradeplatz statt.

Gezeigt werden rund zehnminütige Kurzfilme aus den Sparten «Inspirational» – wie die eingangs geschilderte See-Sequenz –, Dokumentarfilm, Horror- und Animationsfilm. Für 19 Franken darf man sich während gut 30 Minuten die Kinobrille mit eingespanntem Handy aufsetzen. «Länger würde man es kaum aushalten», sagt Oschwald. Bei Horrorfilmen schrien die Zuschauer unter den Brillen bisweilen. Ihr selbst sei es ähnlich ergangen. Und nach dem Ablegen der Kinobrille sei das Bedürfnis stark, sich mit anderen auszutauschen. Wohl auch deshalb stossen die Veranstaltungen in Clubs auf regen Anklang.

Das Angebot an Virtual-Reality-Filmen ist laut Oschwald noch nicht allzu gross: In der Schweiz gebe es erst zwei Produktionsfirmen, die sie herstellen. «Die meisten Filme kommen aus den USA und Grossbritannien», so Oschwald. Ab Dezember seien auch Hollywood-Blockbuster erhältlich. Ob es sich dabei dann um abendfüllende Produktionen in Kinofilmlänge handelt, weiss sie noch nicht.

Doch die Jungunternehmerin ist überzeugt vom Virtual-Reality-Kino: «Das ist das nächste grosse Ding.» Um sich dem verstärkt zu widmen, reduziert sie demnächst ihr Jobpensum als MarketingManagerin auf 80 Prozent. Zusammen mit Nabatov und Staub plant sie zudem bereits Ableger des Virtual Reality Cinemas in Bern und Olten. Auch Anfragen aus Skigebieten lägen vor. Und an Ideen für spezielle Themenabende, etwa mit Star-Wars-Filmen, mangelt es laut Oschwald nicht. Obwohl die Abschottung mit den Virtual-Reality-Brillen maximal ist, sei das Bedürfnis gross, sich gemeinsam mit anderen Menschen zwischen echter und virtueller Realität hin- und herzubewegen.