Die erste Partnervermittlung für Menschen mit einer Behinderung gibt es seit Anfang des Jahres – die Verantwortlichen erzählen über ihre Beweggründe.
Gerade für Menschen mit einer Behinderung ist es schwierig, Kontakte zu knüpfen oder einen Partner zu finden. Sehr oft beschränkt sich ihr Umfeld nämlich auf die Institution, in der sie leben oder arbeiten. Lange Zeit war dieses Thema tabu. Doch nun gibt es in Zürich Altstetten eine Partnervermittlung – die Schatzkiste– für diese Menschen. Es ist die erste in der Schweiz.
Die Wohnstätten Zwyssig im Zürcher Kreis 9 konnten das Konzept aus Deutschland übernehmen. Jürg Schocher, 45, betreut das Projekt. Zudem ist er Geschäftsführer der Wohnstätten Zwyssig. «Wir haben das EDV-Programm für die Kartei von der Schatzkiste aus Deutschland zur Verfügung gestellt bekommen», sagt Schocher.
Francesco Tunzi, 21, wohnt im Heim in Altstetten und ist einer der sechs Mitarbeiter der Schatzkiste. Mit der Partnervermittlung versucht das Team um Schocher nun die Berührungspunkte für die Bewohner über die sozialen Institutionen hinaus zu vergrössern.
Das Projekt gibt es erst seit Anfang dieses Jahres. «Das Eröffnungsfest fand im Mai statt», sagt Francesco Tunzi. Aber die Arbeit für die Schatzkiste hätte natürlich schon früher begonnen, sagt der junge Mann im Rollstuhl. Seine Aufgabe umfasst das beantworten von E-Mails, auch ist er bei Terminen dabei, wenn sich jemand in die Kartei der Partnervermittlung aufnehmen lassen will. Die Registrierung kostet einmalig 10 Franken. Den Betrag verlangen die Verantwortlichen nicht um damit Geld zu verdienen, sondern der geleisteten Arbeit der Beteiligten einen Gegenwert zu geben.
Damit eine Kontaktanzeige gemacht werden kann, müssen alle Interessierten zum einen mindestens 18 Jahre alt sein und für die Aufnahme in die Kartei nach Altstetten ins Büro der Schatzkiste kommen. Jürg Schocher erklärt, warum das so ist: «Übergriffe und Missbrauch sind bei Menschen mit Behinderungen immer noch ein aufmerksam zu beachtendes Thema. Durch den persönlichen Kontakt versuchen wir, das Risiko unter falschen Vorwänden eine Kontaktanzeige aufzugeben, zu minimieren.»
«Wir haben geschaut, dass die Menschen zueinander passen.»
Mit den Interessierten wird beim Termin ein Interview geführt. Sie beantworten Fragen zu ihren Wünschen und Bedürfnissen. Also ob sie eine Freundin oder einen Freund suchen oder einfach an einem Kontakt Interesse haben, um ihr Hobby zu teilen. Wichtig ist auch das gewünschte Alter des Partners und ob es eine Frau oder ein Mann sein soll. Fragen, ob man sexuellen Kontakt sucht und welche Gesinnung man hat, gehören ebenfalls zum Fragebogen dazu. Die Beweggründe, sich bei der Partnervermittlung zu melden, sind vielfältig.
Während Sexualität in der sogenannten «normalen Gesellschaft» kaum noch ein Tabuthema ist, hat sich diese Diskussion für Menschen mit Behinderungen in den letzten Jahren erst etwas geöffnet, fügt Schocher an. «Partnerschaften von Menschen mit Behinderung war lange ein Tabuthema. Einfach weil man es diesen Menschen nicht zugetraut hat», sagt Schocher. Dabei würden sich ihre Bedürfnisse kaum von jenen der Menschen ohne Behinderung unterscheiden, ist sich der gelernte Sozialpädagoge sicher. Das Sexualität bei Menschen mit Behinderung mittlerweile ein Thema ist, hätte auch damit zu tun, dass eine neue Generation von Eltern heranwachse – die gesellschaftliche Normalität halte Einzug.
Deshalb haben die Wohnstätten Zwyssig vor sechs Jahren ein Büro zum Thema Sexualität und Partnerschaft eingerichtet. Die Mitarbeiter übernehmen derweil die Aufklärung in der täglichen Arbeit. Eltern oder Angehörige können sich über Fragen rund um das Thema informieren.
Die Schatzkiste aber ist nicht für alle da. «Nur Menschen mit einer Behinderung dürfen sich anmelden», sagt Tunzi. Und Schocher ergänzt: «Unser Projekt richtet sich an Menschen mit einer geistigen oder psychischen Behinderung.» Für jene mit einer körperlichen Beeinträchtigung seien wohl die gängigen Partnervermittlungen bereits ausreichend, vermutet Schocher.
Mittlerweile sind etwa 50 Personen in der Kartei. Bereits zwei Vermittlungsversuche hat Schochers Team gestartet. Tunzi erklärt, wie sie die Paare ausgesucht haben: «Wir haben geschaut, dass die Menschen zueinander passen.» Schocher hackt nach: «Wie findet man das denn heraus, Francesco?» Es sei wichtig, dass sie ähnliche Interessen und Hobbies angeben würden, erinnert sich Tunzi.
In erster Linie treffen die Betreuer eine Auswahl. Ob diese passt und es zu einem Treffen kommen soll, entscheiden die Suchenden dann selber. Was trivial klingt, ist in Tat und Wahrheit aber viel schwieriger. «Weil es erst wenige Personen in unserer Kartei gibt, müssen sich die Suchenden gedulden, bis wir jemand passendes gefunden haben», sagt der 45-jährige Projektleiter. Auch weil Vorstellung und Realität dann oft auseinander gingen. Etwas, das jeder, der eine Partnerschaft sucht, nur allzugut kennt.
Weil der Personenkreis noch relativ klein ist, möchte das Projekt gerne wachsen. «Schön wäre, wenn es in der ganzen Schweiz Ableger der Schatzkiste geben würde», so Schocher. Gerade weil es bei Personen mit Beeinträchtigung eben auch Mobilitätshürden zu überwinden gebe. So mache es beispielsweise wenig Sinn, zwei Menschen aus Schaffhausen und Basel miteinander zu verbinden.
Schocher ist zuversichtlich: «Erst kürzlich war eine Institution aus dem Aargau bei uns, die sich ebenfalls für das Konzept interessiert.» Dem Geschäftsführer ist es wichtig, dass Menschen mit einer Beeinträchtigung die Möglichkeit bekommen, so autonom wie eben möglich Kontakte zu knüpfen. Deswegen legt er auf die Mitarbeit der Wohnstätten-Bewohner, wie jener von Francesco Tunzi, grossen Wert.
Als der 21-jährige Mann in die Wohnstätten Zwyssig zog, war es sein grosser Wunsch, arbeiten zu können: «Ich habe viele Interessen und mag den Kontakt zu den Menschen», sagt er. Neben der Schatzkiste hilft er noch bei einem Kommunikationsprojekt mit. Er hat sogar eine Arbeitsstelle ausserhalb der Wohnstätten Zwyssig. Und mit all diesen Tätigkeiten verdient der junge Mann sein eigenes Geld.