Winterthur
Angeklagter im An'Nur-Prozess verstrickt sich in Widersprüche: "Ich war dort niemals Imam"

Der 25-jährige Äthiopier, der in der Winterthurer An'Nur-Moschee zu Gewalt aufgerufen haben soll, hat am Donnerstag jegliche Tätigkeit als Imam abgestritten. "Ich war dort niemals Imam", sagte er vor dem Bezirksgericht. Er verstehe den Koran inhaltlich gar nicht.

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Razzia in der An'nur-Moschee: Die Kantonspolizei Zürich durchsuchte im November 2016 zusammen mit der Stadtpolizei Winterthur die An'Nur-Moschee.
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Die Moschee im Winterthurer Stadtteil Hegi geriet zuvor mehrmals wegen mutmasslicher Radikalisierung von Jugendlichen in die Schlagzeilen.
Mehrere Jugendliche waren nach Syrien gereist und hatten sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen.
Razzia in An'nur-Moschee in Winterthur (02.11.2016)
Stefan Oberlin, Mediensprecher der Kantonspolizei Zürich, beantwortet Fragen nach der Polizei-Razzia.
Auch Corinne Bouvard, Sprecherin der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich stellte sich den Fragen der Medienschaffenden.

Razzia in der An'nur-Moschee: Die Kantonspolizei Zürich durchsuchte im November 2016 zusammen mit der Stadtpolizei Winterthur die An'Nur-Moschee.

Beat Kälin/newspictures

In kurzen, knappen Aussagen gab der Beschuldigte an, dass er den Koran zwar auswendig kenne, den Inhalt aber nicht verstehe. Er verstehe die Sprache dazu nicht gut genug. Er habe in der An'Nur-Moschee zwar gelegentlich vorgebetet, aber mehr auch nicht. "Ich war dort niemals Imam." Die 600 Franken, die er von der Moschee als Lohn erhalten haben soll, seien ein Geschenk gewesen.

Er gab zwar zu, die umstrittene Freitagspredigt im Oktober 2016 gehalten zu haben. Wie er auf den Text kam, wollte er am Donnerstag aber nicht mehr sagen. In einer früheren Aussage gab er an, den Text aufgrund mangelnder Kenntnisse im Internet zusammengesucht zu haben.

Text "geradezu souverän" gemeistert

Ein Gutachten, das den Text und eine Tonaufnahme auswertete, kommt jedoch zum Schluss, dass der Beschuldigte sehr gute Kenntnisse des klassischen Arabischen besitzt und auch den Inhalt versteht. Die Anzahl der Fehler sei gering, der Text sei "geradezu souverän" gemeistert worden.

Bei den brutalen Propaganda-Aufnahmen, die er auf Facebook geliked und geteilt haben soll, verstrickte sich der Beschuldigte in Widersprüche. Zuerst gab er an, er habe nichts geteilt sondern nur den Kommentar geschrieben, dass ihn Gewalt traurig mache. Dann gab er das Teilen trotzdem zu. Zu den Fotos von abgetrennten Gliedmassen, die auf seinem Handy waren, wollte er nichts mehr sagen.

Seine Freitagspredigt vom 21. Oktober 2016 war der Auslöser für die Razzia in der An'Nur-Moschee: Der Äthiopier somalischer Ethnie rief vor rund 60 Zuhörern dazu auf, Muslime, die nicht in Gemeinschaft beten, zu meiden, zu verleumden und in ihren Häusern zu verbrennen.

Die Staatsanwaltschaft fordert eine bedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten und einen Landesverweis von 15 Jahren. Den Landesverweis zu vollziehen, dürfte allerdings schwierig werden. Die Schweiz hat derzeit kein Rückübernahmeabkommen mit Äthiopien. Der Beschuldigte sitzt wegen Fluchtgefahr derzeit in Sicherheitshaft.

Sofort aus Haft entlassen

Der Anwalt des 25-jährigen Äthiopiers hat in seinem Plädoyer einen vollumfänglichen Freispruch gefordert. Zudem sei der Beschuldigte sofort aus der Sicherheitshaft zu entlassen. Sein Mandant sei kein radikaler Muslim, sondern ein einfacher, junger Mann.

Die Staatsanwältin, die eine bedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten fordert, zeichnete in ihrem Plädoyer ein anderes Bild des jungen Mannes. "Mit seinen religiösen Ansichten stellt er eine Gefahr für die Öffentlichkeit dar." Die Aussagen in seiner Predigt seien eine klare Anweisung gewesen, entsprechend zu handeln.

Hoch infektiöse Krankheit

Ob der Prozess am Winterthurer Bezirksgericht überhaupt stattfinden konnte, war lange unklar. Der Beschuldigte leidet an Lymphknotentuberkulose, einer hoch ansteckenden Krankheit. Ärztliche Abklärungen ergaben jedoch, dass für Journalisten und Publikum keine Ansteckungsgefahr besteht. Als Vorsichtsmassnahme stellte das Gericht Atemschutzmasken für das Publikum zur Verfügung.