Triemlispital
Abtretender Direktor Carigiet: «Vielleicht schreibe ich den nächsten Krimi unter meinem richtigen Namen»

Der abtretende Direktor des Stadtspitals Triemli, Erwin Carigiet, über die Herausforderungen in seiner Tätigkeit und warum gerade jetzt der richtige Zeitpunkt ist, in Rente zu gehen.

Lina Giusto (Text) und Alex Spichale (Foto)
Drucken
Der abtretende Stadtspital-Triemli-Direktor Erwin Carigiet hat für seinen Nachfolger keine Ratschläge auf Lager – stattdessen gibt er ihm Wünsche auf den Weg.
3 Bilder
Carigiet
Erwin Carigiet

Der abtretende Stadtspital-Triemli-Direktor Erwin Carigiet hat für seinen Nachfolger keine Ratschläge auf Lager – stattdessen gibt er ihm Wünsche auf den Weg.

Alex Spichale

Herr Carigiet, nach 36 Jahren im Dienst des Service public, neun davon als Direktor des Stadtspitals Triemli: Welches war die grösste Prüfung, die Sie zu bestehen hatten?

Erwin Carigiet: Ich glaube, von einer einzelnen grossen Prüfung kann ich nicht reden. Selbstverständlich war der Bau des neuen Bettenhauses des Stadtspitals Triemli eine grosse Herausforderung. Die anspruchsvollste Aufgabe in meiner Tätigkeit waren aber immer die Menschen. Es war eine Freude, Talente zu entdecken und zu fördern. Es kam auch vor, dass ich mich in Menschen täuschte. Personelle «Fehlgriffe» waren zwar die Ausnahme. Dennoch haben mir diese Momente zu schaffen gemacht.

Erwin Carigiet

Der Stadtzürcher Jurist arbeitet seit mehr als 36 Jahren in der öffentlichen Verwaltung der Stadt Zürich. Seit 2008 leitete er als Direktor das Stadtspital Triemli. Neben seinen früheren und aktuellen Lehraufträgen als Dozent an der Universität Fribourg und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Zürich schreibt der 62-jährige Carigiet als wissenschaftlicher Autor über die soziale Sicherheit und Gerechtigkeit sowie über mögliche Weiterentwicklungen im Gesundheitswesen.

Welche Herausforderungen gab es im Umgang mit der Stadt Zürich?

Wir sind natürlich in ein Geflecht von Interessen eingebettet. Ein Spital mit 3000 Mitarbeitenden zu führen, hat auch immer mit Beziehungen zu tun. Sei dies zu Vorgesetzten oder zu Behörden. Wie das so ist: Beziehungen sind spannend, können aber auch nervenaufreibend sein. Darin sind sich das Privat- und das Berufsleben sehr ähnlich.

Sie würden rückblickend nichts anders machen?

Ich habe ungemein viel gelernt in meinen 36 Jahren im Dienste der Stadt Zürich. Und ich würde es wieder tun. Die Arbeit für das Gemeinwesen ist meine Leidenschaft. Rückblickend ist man natürlich öfters gescheiter. Aber glücklicherweise lernt man aus Fehlern.

Das «Programm Stadtspital 2020» steht in den Startlöchern. Warum gehen Sie jetzt?

Gerade weil die Spitälerstrategie nun erst beginnt, ist es der richtige Moment, mein Amt als Direktor abzugeben. Sonst würde ich altershalber in der Halbzeit dieses Projektes in den Ruhestand gehen müssen. Es ist somit auch für meinen Nachfolger André Zemp ein guter Zeitpunkt, einzusteigen.

Welche Herausforderung muss Ihr Nachfolger zuerst in Angriff nehmen?

Herausforderungen gibt es viele. Für jeden Menschen sind diese aber unterschiedlich. Was Herrn Zemp besonders beschäftigt, darüber kann er in ein paar Wochen selber Auskunft geben.

Welchen Ratschlag geben Sie ihm mit auf den Weg?

Keinen Ratschlag, sondern Wünsche. Ich hoffe, er hat bei der Zusammenarbeit mit den Menschen im Triemli ebenso viel Freude wie ich. Ich wünsche ihm, dass er in seiner neuen Aufgabe Erfüllung findet und jeden Morgen wieder gerne ins Spital kommt.

Das Triemli machte wiederholt Schlagzeilen wegen hoher Defizite. Für das Jahr 2017 erwartet die Stadt 30 Millionen Franken Verlust. Wo liegt das Problem?

Wir sind als Teil der öffentlichen Verwaltung ein eigenartiges Konstrukt. Ein «Sonderfall», denn wir haben kein Eigenkapital. Wir müssen in diesem Jahr – bildhaft gesprochen – aus dem Hosensack des Spitals 55 Millionen Franken bar der städtischen Finanzverwaltung bezahlen. Die Summe setzt sich mehrheitlich aus Zinsen und Abschreibungen des neuen Bettenhauses zusammen.

Sagten Sie eben «in bar»?

Ja, das ist ebendiese Eigenart des Spitals als Teil der öffentlichen Verwaltung. Deshalb brauchen wir schon bald eine neue Lösung. Die Stadtspitäler müssen mit Eigenkapital ausgestattet werden. Zudem braucht es eine Verselbstständigung des Triemli. Solange wir durch langsame Behördenprozesse gebremst werden, solange leidet unsere Wirtschaftlichkeit.

Sie reden vom Schuldenschnitt, den SP-Stadträtin Claudia Nielsen vorgeschlagen hat.

Es braucht eine Kapitalisierung, wie dies bei anderen Spitälern 2012 mit dem neuen Finanzierungsgesetz passiert ist. Beim Schuldenschnitt ginge es darum, dem Spital Eigenkapital zu geben. Leider wird das Wort «Verschuldung» oft mit «Schuld» gleichgesetzt. Stellen Sie sich vor, Sie würden ein Haus ohne Eigenkapital bauen. Dann hätten Sie unglaublich viele Schulden und hohe Hypothekarzinsen. Genau das passiert dem Triemli gerade, weil wir lediglich mit fremdem Kapital arbeiten können.

Wäre also die Privatisierung des Spitals die richtige Lösung?

Nein. Verselbstständigung bedeutet, dass das Spital eine gemeinnützige Aktiengesellschaft oder eine öffentlich-rechtliche Anstalt wird. Früher oder später wird das wohl auch so kommen. Dabei ist wichtig, dass das Spital immer im Eigentum der Stadt Zürich oder einer Stiftung bleibt. Nur das garantiert, dass es auf lange Sicht keine Zweiklassenmedizin gibt. Sie sehen, ich bin ein überzeugter Anhänger des Service public. Und dennoch: Profit zu erwirtschaften, ist nicht ehrenrührig. Man agiert nun mal anders, wenn man das, was man erwirtschaftet, auch wieder in den eigenen Betrieb investieren kann.

Warum plädieren Sie für diese unternehmerische Flexibilität?

Das Gesundheitswesen ist natürlich nicht mit dem Automarkt zu vergleichen. Die Gesundheit ist ein besonderes Gut. Je nach Disziplin kommen bis zu 90 Prozent der Patienten über den Notfall zu uns. Bei Wahleingriffen aber gibt es einen gewissen Wettbewerb. Dieser hängt von persönlichen Beziehungen zwischen Ärzten ab. Beispielsweise wählt der zuweisende Arzt ein Spital, wo er bereits Ärzte kennt. Aber auch schlicht die Zufriedenheit mit dem Service, den ein Spital erbringt, kann eine Zuweisung von aussen beeinflussen.

Dann wäre eine Fusion mit dem Waidspital für das Triemli besser?

Diese Idee ist Teil der Spitälerstrategie, die nun anläuft. Die Diskussion, was zusammengelegt werden soll oder was weiterhin in beiden Spitälern angeboten wird, ist in vollem Gange. Eine gemeinsame Leitung erachte ich als Vorteil, denn das Waid- ist unser Schwesterspital. Man darf aber die Patientenströme nicht unterschätzen. War die Geburtserfahrung im Triemli gut, kommt die Patientin vielleicht auch beim Knieproblem wieder zu uns.

Auf die Spitäler kommt in Zukunft einiges zu: Der ambulante Tarif wurde vom Bund gekürzt. Der Kanton hat festgelegt, was künftig nur noch ambulant und nicht mehr stationär behandelt wird. Welche Folgen haben diese Massnahmen?

Dieses Spannungsfeld ist klassisch für unser Gesundheitswesen. Der medizinische Fortschritt ermöglicht uns, heute gewisse Behandlungen ambulant durchzuführen, die noch bis vor wenigen Jahren stationär behandelt wurden. Für jüngere Patienten funktionieren diese Massnahmen, bei älteren Patienten wird das schwieriger. Man muss hier definitiv differenzierte Anwendungen möglich machen. Die Patienten sollen unter diesen Umstellungen nicht leiden.

Von den Kosten hängt auch die Qualität ab. Glauben Sie wirklich, dass es keine Einbussen geben wird?

Wir haben einen hohen Standard in der Schweiz. In der Übergangsphase kann es vorkommen, dass gewisse Dienstleistungen nicht mehr kostendeckend erbracht werden können. Es wird ein «Hosenlupf». Aber ich bin zuversichtlich, dass es sich mit der Zeit einpendelt.

Wie sieht die Spitallandschaft in 20 Jahren aus?

Wenn ich das mit Garantie sagen könnte, würde ich mich vor Jobangeboten kaum retten können. Der Trend geht aber hin zu grösseren Spitälern, weil die Spezialisierung zunehmen wird. Entsprechend wird die Suche nach ausgebildetem Personal schwieriger. In grösseren Häusern kann man aber Abläufe effizienter gestalten. Zudem werden Kooperationen zwischen Spitälern zunehmen. Die Entwicklung hängt aber vom medizinischen Fortschritt und der Alterung der Gesellschaft ab.

Sie gehen in einer Woche in den Ruhestand – was kommt nun auf Sie zu?

Ich habe viele Interessen. Beispielsweise werde ich öfters meine zweite Heimat Neuseeland besuchen. Zudem schreibe ich sehr gerne. Ich habe einmal einen Krimi unter einem Pseudonym geschrieben.

Unter welchem?

Das verrate ich Ihnen nicht. Aber vielleicht schreibe ich den nächsten Krimi ja unter meinem richtigen Namen. Also langweilig wird es mir bestimmt nicht. Ich freue mich, weitere Talente entfalten zu können.