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Dank dem Projekt «snow for free» tauchen auch Kinder aus dem Limmattal kostenlos in die Welt des Wintersports ein. Einen Nachmittag lang konnten sie Bergluft schnuppern und gemeinsam mit Schneesportlehrern das Ski- und Snowboardfahren üben.
Als Ramona Scheidegger den Kindern sagt, sie könnten nun ihre Ski anschnallen, blickt sie in eine ganze Reihe von fragenden Gesichtern. «Wie geht das?», kommt prompt die Frage aus der vordersten Reihe der Anfängergruppe. Kein Wunder: Für einige Kinder bietet der Nachmittag mit der Schneesportschule Sattel-Hochstuckli eine der ersten Gelegenheiten, Wintersportluft zu schnuppern.
Dies ist ein wichtiges Ziel des 2005 gestarteten Projektes «snow for free», das jährlich rund 3000 Kindern einen Tagesausflug in zehn verschiedenen Schweizer Wintersportregionen ermöglicht. Die Idee für den kostenlosen Ausflug geht zurück auf die Schweizer Skisportlegende Bernhard Russi. Durchgeführt wird das Projekt für 9- bis 13-Jährige von der Cleven-Stiftung, deren Hauptsitz in Baar liegt. Mithilfe eines Netzwerkes von Sponsoren und Partnern führt die Stiftung jeweils an Mittwochnachmittagen im Januar Ausflüge durch. Neben der Fahrt und der zur Verfügung gestellten Ausrüstung erhalten die teilnehmenden Kinder auch ein Nachmittagsprogramm, das von einer im Gebiet ansässigen Skischule organisiert wird.
Für die beiden Geschwister Maria Giovanna und Domenico Costantino aus Dietikon führte die Reise gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus dem Raum Zürich zur rund eine Fahrstunde entfernten Pistenlandschaft Sattel-Hochstuckli. Während die Fortgeschrittenen unter den rund 100 Teilnehmern und Teilnehmerinnen sich gleich den steileren Hängen widmen, stehen die Kinder in Scheideggers Gruppe mit gekreuzter Beinhaltung in der Bremsübung.
Maria Giovanna
Diese Bewegung findet die zehnjährige Maria Giovanna am schwierigsten: «Ich fahre ständig nach hinten und das Bremsen ist nicht ganz einfach», sagt sie. Es sei zwar nicht das erste Mal, dass sie in Skischuhen stecke, aber doch hätten sie und ihr Bruder es bis anhin nie richtig gelernt. «Das Gefühl kenne ich, aber ich habe es nur einmal ausprobiert», ergänzt der neunjährige Domenico, der am Ende feststellt, dass ihm Fussball dann doch besser gefällt.
Seine Schwester hat etwas mehr Erfahrung und lässt sich bereits nach kurzer Zeit vom grösseren Tellerlift transportieren. Gut zwei Stunden lernen die Kinder von den Profis, sicher den Anfängerhang hinunterzufahren und sich vom Tellerlift wieder nach oben befördern zu lassen. «Es ist cool», lautet das einstimmige Urteil beider Geschwister. Auch wenn sie zum Schluss – mit einem Lächeln – doch etwas über ihre schmerzenden Füsse in den ungewohnt harten Skischuhen klagen.
«Es ist sehr viel möglich an einem solchen Nachmittag», sagt Scheidegger. «Man kann ein Gefühl für den Sport entwickeln, allein bremsen und die kleinen Hügel hinunterfahren.» Es komme natürlich auf die Kinder an, aber sie sehe fast immer Fortschritte und auch mit grossen Gruppen, wie an diesem Tag, laufe es meist sehr gut.
Jeder Moment auf dem Schnee zahle sich aus, sagt auch die in Oberengstringen aufgewachsene Doris Baldini. Sie leitet seit vielen Jahren den Leseklub im Schulhaus Sihlfeld in Zürich und nimmt jedes Jahr gleich mit mehreren Kindern am Projekt teil. Ein solches Angebot löse auch gleich das Problem, dass nur eine Minderheit überhaupt über eine Skiausrüstung zu Hause verfüge. Manchmal müsse sie zwar Überzeugungsarbeit leisten: «Es sind auch Kinder dabei, die die Berge neu kennenlernen und erstmals überhaupt Schnee unter den Füssen haben.» Aber sie ist überzeugt, dass es mehr «solche wunderbare Angebote» geben sollte.
«Es ist eine sehr gute Sache. Nachdem Domenico den Flyer über die Schule erhalten hat, habe ich gleich beide Kinder angemeldet», sagt Mariacarmela Costantino, die Mutter von Maria Giovanna und Domenico. Zwar sei die Organisation etwas schwierig gewesen, weil der Reisecar mitten in der Woche und zur Mittagszeit starte. Aber die Aktion ermögliche den Kindern ein tolles Erlebnis, so Costantino.
Ivan Ott, Coach und Begleiter
Zum ersten Mal als Coach dabei und damit auch bei Hin- und Rückfahrt im Bus für die Kinder verantwortlich ist der in Sattel wohnhafte Student Ivan Ott. Man merke jedes Mal die Gruppendynamik nach einem solchen Nachmittag, bei dem die Kinder sich zu Beginn nicht kennen. «Bei der Rückreise ist meist wesentlich mehr los als noch bei der Anreise», sagt der 20-Jährige, der normalerweise als Skilehrer auf der Piste steht, lächelnd. Diesmal hat er die Zwischenverpflegung vorbereitet und verteilt anschliessend den warmen Punsch, bevor es wieder zurück nach Hause geht.
Obwohl einige auf der Rückfahrt im Car müde einnicken, ist es auch dieses Mal so, dass sich die fröhlichen und zufriedenen Kinder auf der Rückfahrt kichernd im Car unterhalten. Den meisten wird das Erlebnis noch lange in Erinnerung bleiben. Und wer weiss, vielleicht werden Maria Giovanna und Domenico beim nächsten grösseren Schneefall auch den Hügel beim kleinen Skilift in Dietikon runterflitzen.
Das jährlich im Januar durchgeführte «snow for free» ist eines von zahlreichen Projekten, welche die Cleven-Stiftung durchführt. Dabei steht stets das gleiche Ziel im Vordergrund: Kinder und Jugendliche dazu bringen, sich im Alltag mehr zu bewegen, um auf diese Weise einen förderlichen Beitrag zur Gesundheit zu leisten. Der Hauptsitz der Stiftung liegt in Baar. Schweizweit führt die Stiftung in mittlerweile an jeder fünften Schule die Initiative «fit4future» durch, die sich an Primarschüler, Eltern sowie Lehrpersonen richtet.
«Dank dem Goodwill verschiedener Unternehmen lässt es sich erreichen, ein Gratisangebot umzusetzen», sagt Anita Feierabend, Projektleiterin von «snow for free». Dennoch würden sich stets auch Ausgaben anhäufen, sodass auch Geldsponsoren einen wichtigen Beitrag leisten müssen. Werbung für den Schneetag wird mittels Flyer in den Schulen gemacht. Weil die Nachfrage in den vergangenen Jahren deutlich anstieg, gibt es mittlerweile Wartelisten. «Es gibt auch Kinder, die mehrmals dabei sind. Da versuchen wir schon, jenen den Vortritt zu lassen, die sich das erste Mal angemeldet haben», so Feierabend. Projekt-Initiator Bernhard Russi sei selbst nach wie vor involviert und mindestens einmal im Jahr dabei.