Startseite
Region (LiZ)
Die Rotbuche im Stadtzentrum von Schlieren ZH muss der Limmattalbahn weichen. Quartierbewohner haben für die Rettung des Baumes gekämpft. Gestern wurde er in den nahe gelegenen Park verpflanzt. So lief das Spektakel ab.
Knapp nach 15 Uhr 20 setzt sich am Montag die Rotbuche auf dem Schlieremer Stadtplatz in Bewegung in Richtung Norden direkt auf das Gebäude der ehemaligen Drogerie Locher zu. Im Schritttempo liess der blätterlose Baum Meter um Meter hinter sich. Gestern fand im Schlieremer Stadtzentrum statt, wovon seit Monaten gesprochen wird.
Die rund 70 bis 80 Jahre alte Buche wurde um rund 150 Meter in Richtung Westen versetzt. Laut den Verantwortlichen handle es sich dabei um die schweizweit grösste Baumverpflanzung der Geschichte. So verfügt der Baum über rund 20 Tonnen Gehölz und 60 bis 70 Tonnen Wurzelballen. Das mediale Interesse war immens. Zeitweise verfolgten bis zu 40 Medienvertreter das Geschehen rund um die Blutbuche bis der rund 20 Meter hohe Baum auf der Ringstrasse in Richtung neuer Heimat fuhr.
20 Tonnen wiegt das Gehölz der Rotbuche im Schlieremer Zentrum.
10 Tonnen wiegt der Transportcontainer, der um den Wurzelballen des Baums verlegt wurde.
60 bis 70 Tonnen wiegt der Wurzelballen, also die 7 auf 7 Meter Fläche und 80 Zentimeter tiefe Bereich, in welchem der Baum wurzelt.
150 Meter in Richtung Westen wurde die Buche versetzt. In den Bereich, in welchem die Ring- in die Badenerstrasse einspurt.
18 Meter beträgt der Kronendurchmesser der Buche auf der Nord-/Süd-Achse, 16 Meter auf der Ost-/West-Achse.
Sechs Stunden bevor die Buche ihre ersten Meter auf der Ringstrasse zurücklegte, war man anlässlich der Medienorientierung im Info-Pavillon der Limmattalbahn AG noch optimistischer bezüglich des Zeitplans. Eigentlich hätte der Baum seinen neuen Standort bereits um halb eins erreichen sollen. Doch dauerte das Anlegen der Hebeketten länger, als die Projektverantwortlichen sich erhofft hatten. Der Grund war, dass man den Baum nicht habe beschädigen wollen.
Im vergangenen Oktober entbrannte eine wilde Diskussion um den Baum im Schlieremer Zentrum. Dieser sollte dem Bau der Limmattalbahn und dem Flügeldach weichen. Nachdem ein laminiertes Schild mit der Bitte, den Baum weiterleben zu lassen, angebracht wurde, entwickelte sich eine Welle der Solidarität weit über die Stadtgrenze hinaus. Die Schwestern Liliane Hagen und Susanne Porchet sammelten gemeinsam mit zahlreichen Helfern rund 4600 Unterschriften für den Baumerhalt. Verhandlungen zwischen Vertretern der Stadt, der Limmattalbahn AG und den Baumschützern starteten. «Diese Diskussion wurde teils gehässig geführt, hatte teilweise aber auch einen philosophischen Charakter», sagte der Schlieremer Bauvorstand Markus Bärtschiger (SP) gestern vor den Medien.
«Aus philosophischer Sicht lässt sich sagen, dass Bäume ein Symbol der Vergangenheit sind. Ob wir mit der Versetzung nun rational oder irrational agieren, ist eine Frage, die sich nicht so einfach beantworten lässt», sagte er weiter. Erst Mitte Januar entschied man, der Versetzung eine Chance zu geben. Vorbereitungsarbeiten, wie etwa die intensive Bewässerung, starteten.
Gestern stiess die Buche auf grosses Interesse, nicht nur vonseiten der Medien. Zeitweise waren es Hunderte von Schaulustigen, die sich die Versetzung nicht entgehen lassen wollten und jede Bewegung mit ihren Smartphones festhielten. «Wie kann man nur so viel Geld für einen Baum in die Hand nehmen», tönte es von einer älteren Dame. Ihre Bekannte erwiderte: «Stell dir vor, was man mit dieser Summe sonst alles hätte anstellen können.»
Die Kosten werden auf rund 160'000 Franken veranschlagt, daran beteiligten sich die Stadt Schlieren und die Limmattalbahn AG mit je 40'000 Franken. Die restlichen 80'000 Franken wurden einerseits von der Baumverpflanzungsfirma selber getragen, andererseits stellten auch Sponsoren namhafte Beträge zur Verfügung. Neben Elisabeth und Ernst Schäppi aus Zürich war dies die Genossenschaft Migros Zürich.
Flankiert wurde der Baum gestern von zwei Pneukranen, die zwischen 350 und 500 Tonnen zu heben vermögen. Rund zehn Tonnen schwer war der Transportcontainer, in dem der Wurzelballen der Buche eingepfercht wurde. Der Projektverantwortliche, Andreas Bernauer von der BMB Group, bemerkte stets, wie wichtig es sei, dass der Wurzelballen kompakt gehalten werde. Rund zwei Dutzend Arbeiter waren zugegen.
Dass die Befestigung der Stahlseile am Container länger dauerte als erwartet, hat mit dem Schutz des Baums zu tun, wie Bernauer ausführte. «Uns war es wichtig, dass die Äste der Buche nicht beschädigt werden.» So wurde in vorsichtiger Feinarbeit darauf geachtet, ob das Holz der Buche Schaden nimmt, wenn die Stahlträger den Container mit dem Baum anheben würden.
Schon bald zeichnete sich ab, dass dies länger dauern würde. Daher spendierte die Stadt Schlieren einige Gratisbratwürste, was trotz der eisigen Kälte eine gewisse Volksfest-Atmosphäre aufkommen liess. Kurz vor halb zwei war es dann soweit und die beiden Pneukrane hoben den Baum an, sodass dieser langsam aus dem Boden schweben konnte.
Wenige Minuten später fuhr ein Tieflader vor, direkt unter den Container mit dem Baum. Bevor die Fracht jedoch auf die Ladefläche platziert werden konnten, verteilten die Arbeiter noch zahlreiche Holzklötze unter dem Container, sodass sich das Gewicht der Buche gleichmässig verteilte.
In den kommenden zwei Stunden wurde der Baum fixiert. Mehrere Seile, die ein Umkippen verhindern sollten, wurden angebracht. Nachdem der Tieflader seine Fahrt jedoch startete, kam die Buche vor der ehemaligen Drogerie Locher und vor dem Eingang der Migros Parkside bedrohlich ins Wanken: «In diesen Momenten hätte man mit dem hydraulischen Fahrwerk des Tiefladers wohl besser ausbalancieren können», sagte Bernauer lachend. Mit jedem Meter Fortschritt zeigte sich auch die Sonne stärker und stärker, sodass auf den angrenzenden Gebäuden das surreale Bild eines vorbeiziehenden Baumschattens entstand.
«Ich habe heute gemischte Gefühlte», sagt Susanne Porchet, die das Geschehen auf dem Balkon des Lilienzentrums verfolgt. «Einerseits trieb es mir die Tränen in die Augen, als ich den Baum vorhin besuchte, andererseits bin ich hoffnungsvoll, dass wir in fünf, sechs Jahren feststellen, dass der Baum sehr vital ist», sagte sie weiter.
Die neue Heimat der Rotbuche wirkt bis anhin noch wenig einladend. Denn es handelt sich um ein vom Beton befreites Stück der Ringstrasse kurz vor der Badenerstrasse. «Die Strasse wird dereinst zurückgebaut und die Umgebung des Baums mit Kies ausgestattet,» so Bernauer. Beleuchtet von zahlreichen Scheinwerfern wurde die Buche kurz vor 19 Uhr in den Boden gelegt. Sie zeigt in dieselbe Himmelsrichtung wie am alten Ort. Nach der Versetzung wird der Baumcontainer demontiert und die Pflegearbeiten der BMB Group starten.